Kolumne Auf einmal fühlt sich deutsches Geld woanders wohler

Von Michael Angele

26.6.2020

Jersey wirbt mit Vieh und Landschaft – doch die meisten interessieren sich aus ganz anderen Gründen für diese britische Insel im Ärmelkanal.
Jersey wirbt mit Vieh und Landschaft – doch die meisten interessieren sich aus ganz anderen Gründen für diese britische Insel im Ärmelkanal.
Bild: Getty/AFP

Die Schweiz hat ihren Platz als liebste Steueroase der Deutschen verloren. Dank Steuerdaten-CD und dem automatischen Informationsaustausch fühlt sich das Geld auf einer britischen Kanalinsel nun wohler.

Erinnert man sich noch an die Zeiten, als in den Zeitungen ständig stand, dieses und jenes müsse sich «neu erfinden»? Man liest es nicht mehr so oft, obwohl man in Zeiten von Finanzkrise, Klimakrise und Corona-Krise schon fragen könnte, wann wenn nicht jetzt, müsste sich praktisch die ganze Welt neu erfinden?

Aber bleiben wir bei der Schweiz, die kann sich nämlich auch neu erfinden. Jedenfalls wenn es um den Finanzplatz geht. Jetzt ist es quasi amtlich: Die Schweiz ist für die deutsche Steuerflucht nicht mehr das Land ihrer Träume. «Mehr deutsches Geld in Jersey als in Schweiz oder Liechtenstein» titelte das Zentralorgan der Flüchtlingshilfe, Pardon, die altehrwürdige FAZ.

Auf eine Anfrage der Linksfraktion im deutschen Bundestag teilte das Bundesfinanzministerium dieser Tage mit, dass 2018 satte 180,8 Milliarden Euro auf Konten der britischen Insel geparkt, aber nur noch 133,1 Milliarden aus der Schweiz gemeldet wurden. Die Daten sind die Folge des automatisierten Informationsaustausches zwischen den Staaten. Über Legalität oder Illegalität ist damit streng genommen noch nichts gesagt. Das müssen die Steuerämter dann herausfinden.

Eine Flut von Selbstanzeigen

Wir erinnern uns: 2014 hatte Norbert Walter-Borjans das Ende des Schweizer Bankengeheimnis eingeläutet, in dem er sich als Finanzminister des Bundeslands Nordrhein-Westfahlen von einem IT-Mitarbeiter der Julius Bär Bank elf CDs mit steuerrechtlich sensiblen Daten beschaffte. Der Bankmitarbeiter kam in den Knast, Borjans an die Spitze der SPD. Stoff für ein Stück von Dürrenmatt, oder Brecht, je nachdem ob man eher zynisch oder dialektisch denkt, also die Widersprüche in einem besseren Ganzen aufgehoben sieht.

In der Folge von Borjans Daten-Ankauf zeigten sich rund 120’000 deutsche Steuersünder selbst an, und folgten damit dem Beispiel von Alice Schwarzer, die sich schon 2013 gemacht hatte. Sie trug in den 1980er-Jahren ihre Erlöse aus Büchern und Vorträgen am Fiskus vorbei in die Bank Leuthard, rund 4 Millionen Mark. Drei Jahre später stellte das Amtsgericht Köln allerdings Strafanzeige gegen Schwarzer, die Selbstanzeige war nicht korrekt.

Aber wir wollen nicht hämisch sein, es ist nun einmal sauschwer, ein guter Mensch nicht nur in Wort, sondern auch in Tat zu sein. Uli Hoeness, der sein Eingemachtes am deutschen Fiskus vorbei in die Bank Vontobel trug, war quasi der letzte deutsche Prominente, der geglaubt hatte, er käme mit einer Selbstanzeige straffrei davon, vergebens, die Zusammenarbeit zwischen Banken und Fiskus hatte sich da schon intensiviert. Heute werden Kontodaten miteinander geteilt. Ein Nummernkonto in der Schweiz ist kein Modell der Hinterziehung mehr.

Wo sich das Schwarzgeld wohlfühlt

Zurück zu Jersey. Nirgendwo scheint in Grossbritannien mehr die Sonne, nirgendwo ist es dank des Golfstroms milder. Trotzdem ist es eben eine britische Insel, bevölkert von britischen Käuzen, jedenfalls, als ich vor vielen Jahren mal dort einen Urlaub verbrachte und mich sehr wohl fühlte. Das Schwarzgeld fühlt sich hier natürlich aus anderen Gründen auf Jersey wohl.

Welche sind es? Mein Steuerberater muss es wissen, er sieht und lebt wie der letzte Hippie vom Prenzlauer Berg, ist aber ein scharfsinniger, historisch beschlagener und unbestechlicher Geist (leider auch was das Ausfüllen einer Steuerklärung anbelangt).

Seine Antwort: «Dazu muss man wissen, dass das Vereinigte Königreich immer schon mit gezinkten Karten gespielt hat. England tut so, als würden ihre Kanalinseln gar nicht zu ihnen gehören, Guernsey, Isle of Man, Jersey, die bekommen steuerrechtliche 'Sonderkonditionen'. Das war schon zu EU-Zeiten ein extrem unsolidarisches Verhalten und wird sich nun in den Austrittsverhandlungen noch verstärken. Was glauben Sie denn, wird da gerade verhandelt? Und Boris Johnson ist skrupellos. Notfalls eben ohne Verträge. Insofern ja: Der Schwarze Peter ist von der Schweiz an England übergegangen.»

Und was ist eigentlich mit Liechtenstein?


Der Berner Michael Angele liefert regelmässig eine Aussenansicht aus Berlin – Schweizerisches und Deutsches betreffend. Angele bildet zusammen mit Jakob Augstein die Chefredaktion der Wochenzeitung «Der Freitag». Er ist im Seeland aufgewachsen und lebt seit vielen Jahren in Deutschlands Hauptstadt. Berndeutsch kann er aber immer noch perfekt. Als Buchautor erschienen von ihm zuletzt «Der letzte Zeitungsleser» und «Schirrmacher. Ein Porträt».

In der Rubrik «Kolumne» schreiben Redaktorinnen und Redaktoren, freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von «Bluewin» regelmässig über Themen, die sie bewegen. Leserinnen und Leser, die Inputs haben oder Themenvorschläge einreichen möchten, schreiben bitte eine E-Mail an: redaktion2@swisscom.com

Zurück zur Startseite