Arbeitsmarkt Bei Entlassung kaum Chancen? Das sagt das Seco zur Generation Ü50

Von Silvana Guanziroli

6.2.2018

Sie brauchen 1,5 Mal länger für die Stellensuche als Jüngere. Ü50-Jährigen droht bei Entlassung immer häufiger die Aussteuerung oder sogar der Gang aufs Sozialamt. Und genau diese Bevölkerungsgruppe wächst in Zukunft deutlich an. Hilft der Bund stellensuchenden ü50-Jährigen zu wenig?

Sie sind heute schon die grösste Gruppe im Schweizer Arbeitsmarkt: Die ü50-Jährigen. Wer in diesem Alter seine Stelle verliert, hat es auf dem Schweizer Arbeitsmarkt schwer. Die Gründe sind schnell gefunden: Ü50-Jährige gelten bei den Arbeitgebern wegen der hohen Lohnkosten und der Pensionskassenbeiträge als zu teuer. Zudem traut man ihnen das Mithalten im Zeitalter der Digitalisierung einfach nicht mehr zu.

Eine Entwicklung, die Arbeitsrechtler zunehmend sorgt. In einem kürzlich auf «Bluewin» erschienen Artikel schlugen sie Alarm und sprachen von einer «systematischen Entsorgung». Der Artikel löste viele Reaktionen aus, Direktbetroffene bestätigten gegenüber der Redaktion, dass auch sie wegen ihres Alters keine Stelle mehr finden würden.

So schätzt der Bund das Problem ein

Umso erstaunlicher ist der Entscheid der Rechtskommission des Nationalrates Ende Januar. Dieser bodigte den Vorstoss des SP-Nationalrat Corrado Pardini (52), der einen besseren Kündigungsschutz für die Altersgruppe bringen sollte. Der Gewerkschafter forderte, dass ü50-Jährige, die mindestens zehn Jahre in einer Firma gearbeitet hatten, nicht einfach auf die Strasse gestellt werden können. Vielmehr wollte er, dass der Arbeitgeber die Kündigung stichhaltig begründet.

Doch daraus wird nun nichts. «Bluewin» wollte deshalb wissen, mit welchen Massnahmen der Bund das Problem angehen will und fragte beim Seco, dem Staatssekretariat für Wirtschaft nach. «Es ist bekannt, dass ältere Stellensuchende im Durchschnitt länger brauchen, bis sie wieder eine passende Stelle finden», bestätigt Antje Baertschi, Leiterin Kommunikation beim Seco.

Von einer «systematische Entsorgung» der Altersgruppe will sie aber nichts wissen. «Es gibt keine Anhaltspunkte für die These. Im Gegenteil: Jüngere Arbeitnehmende befinden sich häufiger als ältere in befristeten und relativ instabilen Arbeitsverhältnissen.»

Betreuung durch die Arbeitsvermittlungszentren

Dennoch stimmt auch das Seco darin zu, dass bei einmal Betroffenen eine enge Betreuung wichtig ist. Und diese übernehmen die regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV). «Es ist somit in der Verantwortung der Kantone, wie sie die zur Verfügung stehenden Instrumente einsetzen und welche Schwerpunkte sie in der Weiterbildung und Schulung setzen», erklärt Baertschi.

Folgende Massnahmen stehen als Instrumente zur Verfügung:

- Eine zielführende Beratung und Vermittlung abgestimmt auf die spezifischen Bedürfnisse des Stellensuchenden.

- Arbeitsmarktliche Massnahmen, wie Einzelcoaching zur Förderung des Selbstmarketings und Selbstbewusstseins.

- Einarbeitungszuschüssen, mit denen ältere Stellensuchende individuell unterstützt werden.

Fachanwälte sprechen von Verharmlosung des Problems

Für Fachanwalt SAV Arbeitsrecht Denis G. Humbert macht es sich der Bund zu einfach. Zum einen bedauert er den Entscheid der Rechtskommission des Nationalrates gegen den Kündigungsschutz, zum anderen sieht er beim Seco eine Verharmlosung der Problematik. «Es sieht fast so aus, als wolle man nicht wahrhaben, dass ein gesellschaftliches Problem bei den älteren Arbeitnehmern vorliegt und die Generation ü55 eines besonderen Schutzes bedarf.»

Mit einer intensiveren Betreuung durch die Regionalarbeitsvermittlungszentren ist es deshalb für Humbert nicht getan. «Ich sehe einen zweigleisigen Lösungsansatz: Einerseits braucht es Anreize, welche die Arbeitgeber motivieren, ältere Mitarbeiter zu behalten oder einzustellen, andererseits braucht es gesetzliche Regelungen, die dafür sorgen, dass die Folgen der Kündigung abgefedert werden.» Konkret spricht Humbert hier von einer punktuellen Revision des Obligationenrechts, des Beruflichen Vorsorgegesetzes BVG und des Arbeitslosenversicherungsrechts.

Zudem fordert er Anreize für die Arbeitgeber, damit dort die Bewerbung des ü50-Jährigen nicht gleich sofort auf den Absagen-Stapel kommt. Hier hat Humbert drei Vorschläge parat:

- Die Steuervergünstigung: Unternehmen, die über 50-jährige Stellensuchende einstellen, sollen dies von der Steuer abziehen können. Pro neuem Mitarbeiter dürften sie in der Steuererklärung einen Altersabzug von jeweils 20'000 Franken tätigen. Damit kann das Unternehmen rund 5000 Franken an Steuern pro Mitarbeiter und Jahr sparen.

- Heruntersetzung des altersdiskriminierenden BVG-Beitragssatzes: Der Beitragssatz von 9 Prozent, die der Arbeitgeber für die über 55-jährigen Arbeitnehmer jeden Monat zusätzlich in die Pensionskasse zahlen muss, sollte massiv reduziert werden und zwar derart, dass er nicht mehr altersdiskriminierend wirkt. Es könnte zum Beispiel eine Angleichung an den Beitragssatz von 7.5 % erfolgen, welche die Arbeitgeber für die 45 bis 54-jährigen Arbeitnehmer zu bezahlen haben.

- Erhöhung und Verlängerung der Einarbeitungszuschüsse: Diese bekommt der Arbeitgeber grundsätzlich heute schon für die Neueinstellung eines über 50-jährigen Stellensuchenden. So übernimmt die Arbeitslosenversicherungen in den ersten 6 Monaten 60 % des Lohnes und vom 7. bis zum 12. Monat 40 %. Humbert fordert hier eine Verlängerung auf eineinhalb Jahren und einen Zuschuss von 60 Prozent über das ganze erste Jahr

Düstere Prognosen für ü50-Jährigen 

Dass es Handlungsbedarf gibt, zeigen die Prognosen für den Arbeitsmarkt. Auch das Seco rechnet damit, dass sich die Situation bei den ü50-Jährigen nicht entspannt.

«Die Personen ab 50 Jahren waren bereits in den letzten Jahren die am stärksten wachsende Altersgruppe in der Erwerbsbevölkerung. Dies wird sie voraussichtlich auch in den kommenden rund 10 Jahren sein, wenn die sogenannte Babyboomer Generationen sich dem Rentenalter nähern», erklärt Baertschi. «Die beschriebenen relativen Nachteile von älteren Stellensuchenden dürften deshalb auch in den kommenden Jahren eine Rolle spielen.»

Vorbeugen, um gar nicht in die Arbeitslosigkeit zu geraten, sei deshalb laut Seco die wichtigste Massnahme. «Alle Erwerbspersonen sollten darauf achten, sich ständig beruflich weiterzuentwickeln und neuen Technologien und Entwicklungen gegenüber positiv eingestellt zu bleiben», sagt die Mediensprecherin.

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