Oberster Kantonsarzt «Ungeimpfte müssen die Massnahmen verstärkt einhalten»

Von Lukas Meyer

20.8.2021

Angespannte Lage: Die Intensivabteilung im Zürcher Triemli-Spital im Dezember 2020.
Angespannte Lage: Die Intensivabteilung im Zürcher Triemli-Spital im Dezember 2020.
KEYSTONE

Die Schweiz ist in der vierten Corona-Welle, und die Lage in den Spitälern ist angespannt. Was das bedeutet, sagt der oberste Kantonsarzt Rudolf Hauri im Gespräch mit «blue News».

Von Lukas Meyer

20.8.2021

Herr Hauri, sind wir nun in der vierten Welle?

Das würde ich schon so sagen. Es spielt aber keine Rolle, wie man es nennt – die Virenaktivität steigt so oder so. Allerdings ist noch unklar, welcher Teil des Anstiegs auf Reiserückkehrer zurückzuführen ist und ob es schon eine neue Dynamik des Virus in der Schweiz gibt.

Wie schätzen Sie die Lage momentan ein?

Die Lage ist angespannt, die Zahlen steigen deutlich an. Es gibt zahlreiche Neuansteckungen, und auch die Hospitalisationen steigen. Dabei sind wenig Hochbetagte betroffen, weil diese Gruppe sehr gut durchgeimpft ist. Neu stecken sich vor allem Personen unter 60 an. Das ist eine andere Ausgangslage, als wir sie in früheren Wellen hatten.

Rudolf Hauri
Rudolf Hauri, Kantonsarzt Zug, Praesident der Vereinigung der Kantonsaerztinnen und Kantonsaerzte, spricht waehrend einer Medienkonferenz zur aktuellen Situation des Coronavirus, am Dienstag, 5. Januar 2021 in Bern. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)
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Rudolf Hauri ist Kantonsarzt in Zug und Präsident der Vereinigung der Kantonsärztinnen und Kantonsärzte.

Spitäler haben diese Woche vor einer Überlastung der Intensivstationen gewarnt. Was halten Sie davon?

Die Zahl der Covid-Patienten auf den Intensivstationen nimmt zu. Wenn die Zahlen nicht abflachen, könnte es wieder kritisch werden. Die Patienten sind aber jünger als vorher und die Verläufe meistens nicht ganz so schwer. Wir sind weit weg von einer Situation wie in der zweiten Welle, die Belastung der Stationen ist aber da. Aus dem letzten Herbst wissen wir zudem, dass sich die Situation sehr schnell verschlechtern kann, wenn die Fallzahlen ungebremst ansteigen.



Wenn man die Statistik anschaut, sieht man, dass etwa in Zug die Intensivbetten zu 87,5 Prozent ausgelastet sind – es sind aber nur acht Betten. Was sagen diese Zahlen aus?

Diese Zahlen sind keine 1:1-Abbildung. Viele Spitäler wie etwa das Zuger Kantonsspital haben kleine Kapazitäten. Zudem haben wir in Zug nicht nur Patienten aus dem Kanton, sondern auch aus angrenzenden Regionen, die Spitäler helfen sich gegenseitig aus. Doch Tatsache ist: Die Intensivstationen sind bereits gut gefüllt mit Nicht-Corona-Patienten, und bei kleinen Spitälern können schon zwei bis drei neue Patienten der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt. Dann muss man anfangen zu verlegen – das ist aber nicht unbegrenzt möglich.

Wie lange bleiben Covid-Patienten mit schwerem Verlauf im Spital?

Das ist schwierig zu sagen und nicht überall gleich. Im Zuger Kantonsspital bleiben Covid-Patienten in der Regel ein paar Tage, und ganz allgemein weitaus die meisten müssen nicht intubiert oder beatmet werden. Wir haben auch gelernt und die Behandlungsverfahren angepasst und verbessert. Die Situation ist nicht vergleichbar mit dem, was wir in früheren Wellen hatten.

Muss der Bundesrat schon handeln und Massnahmen verschärfen?

Das überlasse ich dem Bundesrat. Ich denke, es ist noch zu früh, um zu entscheiden. Es ist sicher richtig, dass man momentan nicht weiter lockert. Wir müssen die Situation mit den Reiserückkehrern weiter beobachten und auch die Resultate aus Tests in Schulen anschauen – erst dann kann man eine Aussage machen.



Was wären denn milde und wirksame Massnahmen?

Der Einzelne kann viel machen und sich an milde Massnahmen halten – etwa Abstand und Hygieneregeln beachten und die Maske tragen, auch wenn es nicht unbedingt vorgeschrieben ist. Ich finde es auch legitim, wenn man darüber nachdenkt, den Einsatz des Covid-Zertifikats auszudehnen. Das ist im Vergleich etwa zu einem Lockdown eine kleine Massnahme.

Und an Ungeimpfte geht weiterhin der Aufruf: Lassen Sie sich impfen! Die Impfung wirkt und ist sicher. Über 90 Prozent der Hospitalisierten sind nicht geimpft. Das stimmt mit dem überein, was man im Zusammenhang mit den bisherigen Lockerungsschritten kommuniziert hat.

Mit der Delta-Variante können auch Geimpfte stark ansteckend sein. Macht eine Unterscheidung in Geimpfte und Ungeimpfte dann noch Sinn?

Delta ist mittlerweile Standard in der Schweiz. Dass Geimpfte ansteckend sein können, gilt auch für andere Varianten. Die Symptomausprägung und die Übertragung sind bei Ungeimpften aber immer noch viel stärker, der Effekt des Impfschutzes ist nachgewiesenermassen gross. Es ist sicher nicht falsch, wenn Ungeimpfte die Schutzmassnahmen verstärkt einhalten müssen.