Die Auslandschweizer-Organisation (ASO) ist konsterniert über den Entscheid des Bundesrats, das E-Voting auf Eis zu legen. Ihrer Meinung nach werden der Fünften Schweiz damit ihre demokratischen Rechte verweigert.
In einer Mitteilung vom Donnerstag ist von einer «faktischen Diskriminierung» die Rede. Benachteiligt würden aber nicht nur Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer, sondern auch andere Bevölkerungsgruppen, etwa Menschen mit einer Sehbehinderung. Laut ASO ist die elektronische Stimmabgabe für die Betroffenen die einzige Möglichkeit, an Abstimmungen und Wahlen teilzunehmen.
Zwar misst auch sie der Systemsicherheit grosse Bedeutung bei. Sie befürchtet nun aber, «dass die betroffenen Akteure demobilisiert werden, was dem E-Voting ein endgültiges Ende setzen würde», wie es in der ASO-Mitteilung heisst.
Skeptische Parteien
Am Donnerstagmorgen hatte der Bundesrat mitgeteilt, dass das E-Voting vorläufig nicht als ordentlicher Stimmkanal zugelassen wird. Er reagierte damit auf die skeptischen Reaktionen in der Vernehmlassung.
Die Mehrheit der Kantone hatte sich zwar für die Überführung des E-Voting in den ordentlichen Betrieb ausgesprochen, wie Bundeskanzler Walter Thurnherr vor den Bundeshausmedien erklärte. Bei den Parteien jedoch ist die vorgeschlagene Änderung des Bundesgesetzes über die politischen Rechte durchgefallen.
Mit Ausnahme der SVP sprachen sich zwar alle grossen Parteien grundsätzlich für E-Voting aus. Keine einzige unterstützte aber die Vorlage des Bundesrats. «Wir haben gegenwärtig keine Mehrheit für eine Überführung in den ordentlichen Betrieb», stellte Thurnherr fest.
Vor diesem Hintergrund lässt der Bundesrat die geplante Gesetzesänderung fallen. Diese sollte das E-Voting neben der Stimmabgabe an der Urne und per Brief als dritten ordentlichen Stimmkanal zulassen. Die Vorlage hätte das Zulassungsverfahren für die Kantone vereinfacht und die wichtigsten Anforderungen geregelt. Der Entscheid über die Zulassung des E-Voting hätte weiterhin bei den Kantonen gelegen.
Enttäuschung bei den Kantonen
Diese waren dafür mehrheitlich offen. Nach 15 Jahren Versuchsbetrieb wäre es Zeit gewesen, das E-Voting in den ordentlichen Betrieb zu überführen, sagte die Freiburger Staatskanzlerin Danielle Gagnaux-Morel. Sie zeigte aber Verständnis für den Entscheid des Bundesrats. Das System sei noch nie so sicher gewesen wie heute, aber auch noch nie so umstritten.
Wenn die Politik oder die Stimmbevölkerung nichts anderes beschliesse, bleibe es damit beim Versuchsbetrieb, erklärte Thurnherr. Dieser läuft seit 2004. Insgesamt 15 Kantone hatten in den letzten Jahren einem Teil der Stimmbevölkerung – vor allem Auslandschweizerinnen und Auslandschweizern – die elektronische Stimmabgabe ermöglicht.
Technische Probleme
Doch auch beim Versuchsbetrieb gibt es Hindernisse. Diese sind nicht politisch, aber technischer Natur. 2015 hatte der Bundesrat einem System eines Konsortiums von Kantonen die Zulassung verweigert. Grund dafür war eine Lücke beim Schutz des Stimmgeheimnisses. Vergangene Woche stellte der Kanton Genf den Betrieb seines Systems ein. Dieses war auch von Bern, Aargau und Luzern genutzt worden.
Damit verbleibt noch das E-Voting-System der Post. Dessen Schicksal ist aber gegenwärtig ebenfalls in der Schwebe. Die Post hatte dessen Quellcode im Februar 2019 offengelegt und einen Intrusionstest durchgeführt. Dabei waren schwerwiegende Mängel im Quellcode entdeckt worden.
Derzeit wird ein Audit eingeführt. Mitte August will die Bundeskanzlei entscheiden, ob das letzte verbleibende E-Voting-System bei den eidgenössischen Wahlen im Oktober eingesetzt werden kann. Bisher hat noch kein Kanton ein entsprechendes Gesuch gestellt.
Ganz aufgeben will der Bundesrat das E-Voting trotzdem nicht. Er hat die Bundeskanzlei beauftragt, bis Ende 2020 mit den Kantonen eine Neuausrichtung des Versuchsbetriebs zu konzipieren. Ziel ist ein stabiler Versuchsbetrieb. Dazu gehören laut Thurnherr der Ausbau unabhängiger Kontrollen, eine Stärkung von Transparenz und Vertrauen sowie der stärkere Einbezug der Wissenschaft.
Gegner machen Druck
Gleichzeitig wetzen die Gegner des E-Voting die Messer. Derzeit läuft die Unterschriftensammlung für eine Initiative, die ein fünfjähriges Moratorium verlangt. Nach Ablauf der Frist könnte dieses nur aufgehoben werden, wenn das E-Voting mindestens so sicher ist wie die persönliche Stimmabgabe.
Hinter der Initiative stehen Politiker und Politikerinnen von rechts und links, darunter der Luzerner SVP-Nationalrat und IT-Unternehmer Franz Grüter, Grünen-Nationalrat und IT-Spezialist Balthasar Glättli (ZH) und der ehemalige Waadtländer SP-Nationalrat Jean Christophe Schwaab. Zu den Gegnern des E-Voting gehören auch die Jungparteien und der Chaos Computer Club.
Das Initiativkomitee begrüsst den Entscheid des Bundesrats. Ein vorläufiger Verzicht reiche aber nicht aus, heisst es in einer Stellungnahme vom Donnerstag. Nur ein in der Bundesverfassung verankertes Moratorium garantiere, dass es zu keinen Manipulationen von Volksabstimmungen kommen könne. Das Initiativkomitee wirft dem Bundesrat vor, die Risiken von E-Voting nicht vollends erkannt und verstanden zu haben.
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