CO2-Gesetz gescheitert Die Suche nach den Ursachen – und nach einer neuen Klimapolitik

Von Gil Bieler

14.6.2021

CO2-Gesetz gescheitert, SVP jubelt

CO2-Gesetz gescheitert, SVP jubelt

Beim CO2-Gesetz stand die SVP einmal mehr allein gegen alle anderen Parteien – und setzte sich am Ende durch. Das Gesetz wurde am Sonntag mit 51,6 Prozent abgelehnt.

13.06.2021

Das CO2-Gesetz ist gescheitert. Wie konnte die SVP im Abstimmungskampf über alle anderen Parteien triumphieren? Und wie geht es weiter mit der Schweizer Klimapolitik? Eine Suche nach Antworten in Bern.

Von Gil Bieler

14.6.2021

Verkehrte Welt an diesem Abstimmungssonntag in Bern – zumindest, was die Kulisse betrifft: Im Saal des Restaurants zum äusseren Stand, wo die Gegner des CO2-Gesetzes sich treffen, hängt ein riesiger Kronleuchter von der Decke, schwer und irgendwie unheilvoll. Als ob Ungemach drohe. 

Das Ja-Komitee dagegen trifft sich auf der sommerlich eingerichteten Dachterrasse des Restaurants Grosse Schanze. Doch kurz nach 17 Uhr verhallt der aus den Boxen schallende Partysound hier in der betrübten Atmosphäre: Das CO2-Gesetz ist definitiv gescheitert. Ein paar Mitstreiter*innen sitzen noch beisammen, die Aushängeschilder der Kampagne dagegen sind bereits weitergezogen.

Monatelang haben Bundesrat und alle grossen Parteien mit Ausnahme der SVP für ein Ja zum CO2-Gesetz geworben. In einer spannungsgeladenen Abstimmung werfen dann aber 51,6 Prozent der Stimmenden ein Nein in die Urne. Wie ist das möglich? Und wie geht es nun mit dem Klimaschutz weiter?



Absage der FDP-Basis an Kosten für Umweltschutz

Im Laufe des Abstimmungskampfes wurde immer wieder auf die FDP gezeigt. Die Parteileitung konnte die Basis nicht von einem Ja überzeugen, wie Befragungen gezeigt haben. «Das ist seltsam», sagt der Walliser FDP-Nationalrat Philippe Nantermod, den «blue News» nicht auf der Dachterrasse der Grossen Schanze, sondern am Telefon erreicht. Bei einer Mitgliederbefragung habe sich die Basis noch klar für den Umweltschutz ausgesprochen. «Doch wenn es um die konkreten Kosten geht, dann schrumpft die Zustimmung.»

Das CO2-Gesetz, so betont Nantermod, sei aber auch «kein FDP-Gesetz» gewesen, sondern ein überparteilicher Kompromiss. «Und für uns als Liberale war es schwieriger, diesen der Basis zu verkaufen, als etwa für die Grünen.» Auch daher sei es wohl nicht gelungen, die Parteibasis hinter der Vorlage zu vereinen. Dabei bestehe für ihn ganz grundsätzlich kein Zweifel daran: «Der Klimawandel wird uns etwas kosten.» Und zwar unabhängig davon, was die Politik nun tue oder eben nicht.

Die für das CO2-Gesetz zuständige Bundesrätin Simonetta Sommaruga rätselt ebenfalls über die Gründe für den erodierten Rückhalt in der Bevölkerung. «Die Vorlage war vermutlich überladen», sagt die SP-Magistratin vor den Bundeshausmedien.

Sommaruga verspricht Tempo

Den weiteren Weg will sie zusammen mit dem Parlament analysieren. Man müsse nun eine Basis für weitere Klimaschutz-Massnahmen finden. «Ich werde da nun sehr schnell vorwärtsmachen», verspricht die Umweltministerin, ohne konkret zu werden.

Die Suche nach den Ursachen für das Nein führt zwangsläufig auch zum Klimastreik. Die Bewegung konnte sich nicht auf eine gemeinsame Position zum CO2-Gesetz einigen, einige Sektionen haben sogar das Referendum unterstützt – weil das Gesetz ihnen zu wenig weit ging. Auf dem Bundesplatz tritt am Nachmittag eine Gruppe mehrheitlich junger Aktivist*innen vor die Medien. Sie spannen ein Transparent auf, auf dem es heisst: «Das ist kein Nein zu Klimaschutz.»

Was damit gemeint ist, erklärt Mia Nafz: Die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung stehe hinter dem Ziel Klimaneutralität per 2030 und damit zu mehr Umweltschutz, doch das gescheiterte Gesetz sei falsch aufgezogen gewesen. «Es kann nicht sein, dass die Klimakrise allein auf die Bevölkerung abgewälzt wird, während der Finanzplatz und die grossen Konzerne bewusst ausgeklammert werden.» Es brauche eine sozialere Lösung.

Parteien müssen Klimawandel bekämpfen

Befürchten die Klimstreikenden denn nicht, dass es nach dem Nein wieder Jahre dauern wird, bis neue Klimaschutz-Vorlagen auf dem Tisch liegen? «Wir sind nicht Teil der institutionellen Politik», entgegnet die junge Frau. Es sei an den Parteien, den Klimawandel endlich ernst zu nehmen und entschieden zu bekämpfen.

Cyrill Hermann und Mia Nafz vom Klimastreik ziehen auf dem Bundesplatz Bilanz zum Abstimmungssonntag. 
Cyrill Hermann und Mia Nafz vom Klimastreik ziehen auf dem Bundesplatz Bilanz zum Abstimmungssonntag. 
Bild: Keystone/Peter Klaunzer

Von eigenen Fehlern will man beim Klimastreik nichts wissen. Zum fehlenden Konsens hält Jonas Kampus, ebenfalls Teil der Bewegung, fest: «Als basisdemokratische Bewegung können wir nicht einfach eine Meinung für alle vorgeben.»

Trotzdem fällt auf: Bei den Pestizid-Initiativen oder beim Terrorismusgesetz konnte man sich ja auch zu klaren Parolen durchringen. Wieso nicht beim Kernthema, dem Klimawandel? «Bei allen anderen Themen war das einfacher. Wir haben ein Jahr lang über das CO2-Gesetz diskutiert, ohne eine einheitliche Meinung zu erzielen», so Kampus.

Den Grund für den knappen Ausgang sieht er vielmehr darin, dass das Portemonnaie-Argument der Gegnerseite gezogen habe. «Dabei sind deren Argumente, dass sozial benachteiligte Personen am meisten zur Kasse gebeten würden, verlogen.»

SVP sieht sich bestätigt

Bei ebendiesem Nein-Lager herrscht am Nachmittag gelöste, wenn auch nicht euphorische Stimmung. Während man im Restaurantsaal ganz coronakonform in kleinen Gruppen pro Tisch zusammensitzt, gehen beim Anstossen oder bei Gruppenfotos schon mal Schutzmaske oder Sicherheitsabstand vergessen.

Die Auszählung ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen, doch allein schon das knappe Rennen ist für die anwesenden SVP-Vertreter Grund zur Freude. Wieder einmal stand die Partei allein gegen alle anderen, und hat sich dennoch durchgesetzt – dank tatkräftiger finanzieller Unterstützung aus der Wirtschaft. «Auch der Hauseigentümerverband hat eine massive Kampagne geführt», sagt Albert Rösti. «Wir waren also nicht allein.»

Der Berner Nationalrat und Ex-Parteichef spricht von einer Genugtuung: «Die Gegnerseite kam mit dem alten Anti-SVP-Argument, hat uns diffamiert und vom Geld der Öllobby geredet», so Rösti. Doch die Bedenken der Bevölkerung habe man nicht ernst genommen. «Und die hat heute gesagt, dass sie ein solch teures Klimaschutzgesetz nicht will.» Gerade im ländlichen Raum habe seine Partei das schon länger gespürt.

Rösti erkennt im Wähler-Votum eine Absage an den Klimaschutz über Abgaben und Vorschriften. Ihm schwebt mehr Innovation vor – und keine Alleingänge der Schweiz: «Wenn eine Lenkungsabgabe nicht gleichzeitig im Ausland eingeführt wird, dann führt das nur zu Ausweichmanövern. Dem Klima ist damit nicht gedient.»

Die SVP-Nationalräte Christian Imark (ganz links) und Albert Rösti (2. v. l.) stossen in Bern mit weiteren Gegnern des CO2-Gesetzes auf ihren Abstimmungserfolg an.
Die SVP-Nationalräte Christian Imark (ganz links) und Albert Rösti (2. v. l.) stossen in Bern mit weiteren Gegnern des CO2-Gesetzes auf ihren Abstimmungserfolg an.
Bild: Keystone/Anthony Anex

Der Solothurner SVP-Nationalrat Christian Imark bilanziert: «Wir hatten einfach die besseren Argumente auf unserer Seite.» Das habe schliesslich zu einer regelrechten Nein-Welle geführt. «Ich musste in den letzten Wochen immer wieder den Kopf schütteln und dachte: Es kann doch nicht sein, dass wir als Einzige dagegen sind.» Das Abstimmungsresultat habe gezeigt, dass dem nicht so war.

Das Nein zum CO2-Gesetz sei aber kein Nein zum Klimaschutz, sagen sowohl Rösti als auch Imark: Das Problem müsse aber ganz anders angepackt werden. Die SVP sei für Diskussionen offen. Man müsse nun schauen, welche Aspekte des abgelehnten Gesetzes man weiterverfolgen könnte, so Imark. Hat er schon etwas Bestimmtes im Sinn? «Das müssen wir sehen. Jetzt lassen wir das Ganze besser ein, zwei Tage ruhen.»

Grüne richten Blick nach vorne

Wenig zu hören ist an diesem Abstimmungstag von den Grünen. Weder Fraktionschefin Aline Trede noch Parteichef Balthasar Glättli sind für «blue News» zu erreichen. Auf Twitter schreibt die Partei: «Die Öl- & Gasindustrie hat heute gewonnen & wird sich auf Kosten des Klimas weiterhin die Taschen vollstopfen.» Den Kampf dagegen soll jetzt eine Klima-Allianz für einen klimafreundlichen Finanzplatz aufnehmen. Man blickt also schon wieder nach vorn.

Dasselbe macht der Klimastreik: Der Kampf gegen den Klimawandel müsse weitergehen, unabhängig vom CO2-Gesetz, sagt Jonas Kampus. Doch hier kommt das Gesetz für Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus ins Spiel, das mit 56,6 Prozent Ja-Stimmen angenommen wurde. Klimaaktivist*innen befürchten, dass auch sie bald unter Terrorverdacht geraten könnten.

«Das Gesetz löst bei uns Angst und Schrecken aus», sagt Kampus. Nicht nur müsse man sich als Klimaschützer wegen einer Zukunft mit «Millionen an Toten und Vertriebenen» aufgrund des Klimawandels sorgen, sondern nun auch noch darum, wie die Staatsgewalt auf Demonstrationen und Protestaktionen reagieren könnte. 

Dennoch: «Einschüchtern lassen wir uns bestimmt nicht», hält Kampus fest. An provokativen Aktionen und zivilem Ungehorsam werde man festhalten. «Sollte das Gesetz einmal gegen den Klimastreik angewendet werden, werden wir uns mit allen Mitteln zur Wehr setzen.»

Die Polizei behält die Klimastreik-Erklärung auf dem Bundesplatz im Auge, wenn auch aus der Distanz. Zumindest an diesem Abstimmungssonntag stellt die Bewegung offenkundig keine Bedrohung dar.