Falls alle Massnahmen fallen Stell dir vor, es ist Freudentag

Von Gil Bieler

10.2.2022

Bald wieder ganz normal? Dicht gedrängt geniessen die Menschen in Vor-Pandemie-Zeiten ihre Mittagspause am Zürichsee. 
Bald wieder ganz normal? Dicht gedrängt geniessen die Menschen in Vor-Pandemie-Zeiten ihre Mittagspause am Zürichsee. 
Archivbild: Keystone

Egal, welche Lockerungsoption der Bundesrat wählt: Die Schweiz wird heute in einer Woche eine andere sein. Geht er so weit wie möglich, ändert sich unser Alltag ganz erheblich. Ein Gedankenexperiment.

Von Gil Bieler

10.2.2022

Frau Müller ist spät dran. Den letzten Schluck Kaffee nimmt sie, während sie sich schon den Mantel überzieht. Ihr Mann ruft aus der Küche: «Tschüss, Schatz, und vergiss deine Maske nicht!» Kurz halten beide inne, dann müssen sie lachen: Es ist ja der Donnerstag, 17. Februar 2022 – der Tag, an dem die Maskenpflicht in der Schweiz Geschichte ist.

Noch hat der Bundesrat nicht entschieden, in welchem Tempo er die Corona-Massnahmen aufheben will. Er hat dazu zwei Varianten in die Vernehmlassung bei den Kantonen, Sozialpartnern und Verbänden gegeben: eine schnelle Variante, bei der alles auf einen Schlag gelockert wird. Und eine schrittweise Lockerung. Bundespräsident Ignazio Cassis sprach bei der Ankündigung von einem «Freudentag». 

Der Bundesrat könnte unterschiedlich stark aufs Tempo drücken. Was ändert sich, wenn er die Maximalvariante wählt? Dann sähe der Alltag von Herrn und Frau Müller – und ihren Landsleuten – nächste Woche ziemlich anders aus.

Die Maske bleibt an – aus Gewohnheit

Frau Müller sagt den beiden Kindern tschüss und erwischt den Zug ins Büro grade noch. Die Schutzmaske hat sie dabei, kann sie aber in der Tasche stecken lassen: Maske tragen in der vollen S-Bahn noch einige. Freiwillig, oder schlicht aus Gewohnheit – sie müssten eigentlich gar nicht mehr.

Ihr Arbeitgeber hatte die Angestellten bereits vor einigen Tagen aus dem Homeoffice geholt. Maske trägt hier ebenfalls keiner mehr, auch nicht der Tischnachbar von Frau Müller. Hat der sich etwa die Zähne gebleicht, denkt sie – oder hat sie die einfach lange nicht mehr gesehen?



Auch Herr Müller, der als Hausmann daheim bleibt, muss beim Gang in den Laden um die Ecke keine Maske mehr tragen. Die beiden Kinder hat er ein Stück weit noch auf dem Schulweg begleitet. Sie gehen in die Primarschule, daher ändert sich für sie nichts an diesem Tag. Das Ins-Röhrli-Spucken für die Reihentests wurde schon länger gestrichen.

Alles unkomplizierter

Mittagszeit, der Magen knurrt. Frau Müller geht mit einer Kollegin ins Restaurant um die Ecke. Das Smartphone kann sie in der Handtasche lassen, auch die Zertifikatspflicht ist passé. Daher kommt auch der ungeimpfte Kollege mit zum Zmittag. Ob er bei all den Lockerungen wohl auch denkt, dass das mit diesem Corona gar nie so schlimm gewesen sei? Sie würde gern fragen, wagt es aber nicht. Beide wissen mittlerweile, wie das Gegenüber bei diesem leidigen Thema tickt. 

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Bald sollen die Corona-Massnahmen fallen: Ist dir wohl bei diesem Gedanken?

Frau Müller freut sich vielmehr darüber, dass endlich niemand mehr seine gebrauchte Maske auf dem Tisch platziert. Gruusig. Das hatte ihr so manches Mal den Appetit verdorben.

Herr Müller geht über Mittag gern kurz ins Fitnessstudio. Viele Leute da, aber keine Masken mehr. Der Schweiss kann wieder frei fliessen.

Die Qual der Wahl am Abend

Abends, nach dem Znacht am Familientisch, wollen Herr und Frau Müller endlich wieder einmal ausgehen. Ins Theater, oder doch ins Kino? Dort läuft der Katastrophenfilm «Moonfall», dafür hat auch hier die Zertifikatspflicht ausgedient. Und das Popcorn schmeckt ohne Maske ohnehin wieder besser. Als die Babysitterin klingelt, will Frau Müller eigentlich mit der Faust grüssen – dann umarmen sie sich aber trotzdem. Es ist Zeit, sich locker zu machen.

Kaum sind sie losgelaufen, erhält Frau Müller eine SMS. «Oha, Peter aus dem Büro hat’s erwischt.» Er muss sich in Isolation begeben. Muss Frau Müller jetzt etwa zum Test? Nein, die Kontaktquarantäne gibt es ja schon länger nicht mehr. «Komm, gehen wir ins Kino», sagt sie. «Und nachher noch auf einen Drink in den Club?», fragt Herr Müller. Auch dort sind jetzt alle Beschränkungen weggefallen. «Weiss nicht. Wir sind ja keine 20 mehr», meint sie.



So sähe der neue Alltag aus, wenn sich der Bundesrat für die rascheste Lockerungsvarianten entscheidet. Doch die deutliche Mehrheit der Kantone hat in der Vernehmlassung erkennen lassen, dass sie die Maskenpflicht zumindest im ÖV und in den Läden beibehalten möchten.

Ohnehin könnte der Bundesrat auch die Variante mit dem schrittweisen Vorgehen wählen, falls die epidemiologische Entwicklung zu unsicher sein sollte. Auch in diesem Fall bliebe die Maskenpflicht im ÖV und den Läden bestehen. Und fürs Fitnesscenter bräuchte Herr Müller vorerst noch ein Zertifikat, ebenso für den Club – wenn sie denn hinwollen. Diese Massnahmen würden erst in einem zweiten Schritt aufgehoben. 

Wie die Schweiz am 17. Februar aussieht, darüber entscheidet der Bundesrat am kommenden Mittwoch.

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