Mehr ist mehrDarum testet Österreich so viel schneller als die Schweiz
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6.2.2022
In Wien setzt man auf Pipetierroboter. (KEYSTONE/DPA/Henning Kaiser)
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Österreich testet mit gepoolten Gurgel-Tests und einer Webapp achtmal so viel wie in der Schweiz. Anders als die Schweiz setzt das System auf Zentralismus und Quantität.
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06.02.2022, 09:15
07.02.2022, 15:12
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137 Millionen Tests hat Österreich seit Beginn der Pandemie durchgeführt. Die Schweiz hat erst vor Kurzem die 17-Millionen-Marke geknackt. Auch bei den PCR-Tests lässt uns der Nachbar klar zurück: Während die Schweiz derzeit pro Tag insgesamt knapp über 100'000 PCR-Tests stemmen kann, werden in Wien allein 300'000 Menschen pro Tag mit einem PCR-Test getestet, und es geht noch mehr.
Bis zu 500'000 weitere PCR-Proben pro Tag könnten verarbeitet werden, sagt Mario Dujaković, der Sprecher des Wiener Gesundheitsstadtrats, zum «Spiegel».
Gurgel-Test im Wohnzimmer statt im Testzentrum
Das Erfolgsrezept: Österreich gurgelt – in Teststrassen, aber vor allem auch zu Hause im Wohnzimmer, wobei die Kundschaft per Barcode registriert und der Test per Video überwacht wird. Wien ist der Vorreiter: Die Tests kann die Bevölkerung in Filialen der Drogeriekette Bipa beziehen und in verschiedenen Supermärkten und Tankstellen abgeben. Damit spart sich der Anbieter die Kosten für Testzentren und Testpersonal.
Wäre das Konzept auch in der Schweiz möglich? Die Firma Lead Horizon bejaht dies. Sie haben die speziellen Testkits sowie die zugehörige Webapp, die die Kommunikation zwischen Kunden und Labor komplett übernimmt, entwickelt.
Der PCR-Test des Kits könne von jedem medizinischen Labor ausgewertet werden, da er mit jedem PCR-Testverfahren kompatibel sei. Ihr Produkt sei bereits in 14 Ländern im Einsatz, «die Schweiz könnte das 15. sein», sagt eine Sprecherin auf Anfrage von blue News. Es hätten schon Verhandlungen mit möglichen Partnern stattgefunden. Doch konkrete Expansionspläne gibt es bisher nicht.
Auf die Gründe dafür angesprochen, kann die Sprecherin keine exakte Antwort geben. Das Angebot sei wohl bisher nicht interessant genug gewesen, und die Leute hätten darauf gehofft, dass die Pandemie bald vorbei sein wird.
Labor-Betreiber: Gross statt kleinräumig fahren
Klare Worte findet hingegen Michael Havel, Betreiber der Laborkette Lifebrain, die die Gurgel-Tests in Wien auswertet.
Das Problem der Schweiz liege in ihrer Kleinräumigkeit, sagt Michael Havel zum «Tages-Anzeiger»: «Jeder Kanton glaubt, er brauche sein eigenes Labor – niemand hat die Vision, grosse Strukturen zu schaffen.»
Ganz anders arbeitet man in Österreich: Das Zentrum bildet das Labor in Wien, das 2020 mit 30'000 Tests pro Tag gestartet ist. Heute werden 450'000 Proben in Wien von 1600 Mitarbeitenden pro Tag gepoolt analysiert, mit Unterstützung von technischen Gadgets: Pipettierroboter und PCR-Analysegeräte.
Der Laboranbieter Lifebrain hat in Wien ein grosses Labor mit 1600 Mitarbeitenden aufgebaut.
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Damit wird nicht nur Zeit, sondern auch Geld gespart. Die Stadt Wien und den österreichischen Staat koste es 6 Euro pro Test, all-inclusive, wie Havel betont, also einschliesslich Abnahmeset, Logistik, IT und Analyse. Im Vergleich: Labore erhalten in der Schweiz pro analysiertem PCR-Test 82 Franken, bei gewissen gepoolten Test sinkt der Betrag auf rund einen Viertel.
BAG: Mehrkosten wegen Personal und Qualität
Warum sind die Kosten in der Schweiz so hoch? Das Bundesamt für Gesundheit schreibt auf Anfrage, dass ein grosser Teil der möglichen Mehrkosten durch höhere Personalkosten als in anderen Ländern zustande komme. Zudem gälten in der Schweiz sehr hohe Qualitätsstandards.
Der Bund empfehle grundsätzlich den Einsatz von Speichel-PCR-Pool-Tests, da diese «einfacher, zuverlässiger, weniger unangenehm und breiter einsetzbar» seien. Wie und in welcher Grössenordnung die zum Einsatz kämen, liege aber in der Hand der Kantone.
In gewissen Kantone gebe es schon mit dem Angebot in Österreich vergleichbare Systeme – zum Beispiel im Bundeshaus: Den Nationalrätinnen und Ständeräten stehen ebenfalls PCR-Tests mit einer Salzlösung zum Gurgeln zur Verfügung. Die Kosten pro Test sind nach Angaben der Parlamentsdienste von anfänglich 100 auf 25 Franken gesunken, wie der «Tages-Anzeiger» schreibt.
Dies lässt Havel nicht gelten: Das Material für den PCR-Test koste auch in der Schweiz um die 5 Franken, und die höheren Lohnkosten machten ihn um 3 Franken teurer, hält Havel dagegen. Das seien insgesamt 8 Franken, nicht 180.
Preisüberwacher: Analyse-Kosten sind zu hoch
«Dass in der Schweiz nach wie vor 150 Franken oder mehr pro Test verlangt werden, liegt an der Geldgier der Schweizer Laborbetreiber», so Havel. Es gebe keine objektive Rechtfertigung, dass die Preise in der Schweiz so exorbitant höher seien als in jedem anderen europäischen Land.
Nicht nur bei den Corona-Test-Analysen fallen die Kosten hoch aus: Der Preisüberwacher kritisierte unlängst die hohen Analysekosten der Schweizer Medizin-Labore allgemein. Er hat die Preise der zehn kostspieligsten Analysen mit anderen europäischen Ländern verglichen. Dabei zeigte sich, dass alle untersuchten Tarife in der Schweiz höher als im Ausland sind. In einigen Fällen bezeichnet der Preisüberwacher die Unterschiede als «unverhältnismässig gross».