Munitionsblockade empört deutsche Politik«Das hat nichts mit Neutralität zu tun, sondern mit Anstand»
Von Jan-Niklas Jäger
4.11.2022
Gepard-Panzer: Schweiz verweigert Munitionslieferung an die Ukraine
Die Schweiz hat Deutschland die Weiterlieferung ihrer Munition für den Gepard-Panzer an die Ukraine verboten. Dies ist aufgrund der Schweizer Neutralität und Gesetzgebung zu Kriegsmaterialexporten nicht möglich.
03.11.2022
Auch nach einer erneuten Anfrage Berlins möchte der Bundesrat die in der Ukraine benötigte Panzermunition nicht zur Weitergabe freigeben. Deutsche Politiker zeigen sich empört.
Von Jan-Niklas Jäger
04.11.2022, 19:57
Von Jan-Niklas Jäger
Auch nach einer erneuten Anfrage der deutschen Verteidigungsministerin blockiert der Bundesrat die Weitergabe von Panzermunition an die Ukraine: Diese war ursprünglich an Deutschland gegangen und ist mit einem Wiederausfuhrverbot belegt.
Wirtschaftsminister Guy Parmelin von der SVP begründete die Absage mit dem «neutralitätsrechtlichen Gleichbehandlungsgebot», das es der Schweiz nicht erlaube, der «Weitergabe von Kriegsmaterial mit Schweizer Ursprung» an «Länder, die in einen internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt» sind, zuzustimmen.
Effektiv gegen Drohnen
Bereits im April hatte Berlin der Lieferung von Panzern des Typs «Gepard» an die Ukraine zugestimmt. Dieser Typ kommt vor allem in der Flugabwehr zum Einsatz. Zuletzt hatte er sich für den Abschuss iranischer Drohnen bewährt, die Russland zunehmend nutzt, um zivile Ziele in der Ukraine anzugreifen. Diese intensiven Einsätze der Panzer haben laut Kiew nun zu einem Munitionsmangel geführt.
In Deutschland kommt die schweizerische Blockade gar nicht gut an. Während sich das Verteidigungsministerium in Schweigen hüllt, fordern andere einflussreiche Politiker*innen offen ein Ende jeglicher Rüstungsgeschäfte mit der Schweiz. Der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter vergleicht die Entscheidung Berns im «Tages-Anzeiger» mit «unterlassener Hilfeleistung». So jemand könne «im Bereich der Rüstung kein verlässlicher Partner sein».
«Wenn Wiederausfuhren in einem Fall wie diesem unmöglich sind, können wir aus meiner Sicht künftig keine Rüstungsgüter mehr aus der Schweiz beziehen», sagt auch Marcus Faber, der für die FDP im deutschen Verteidigungsausschuss sitzt. Auf Twitter kommentiert er sarkastisch: «Wenn in Charkiw heute Nacht wieder Raketen in Wohnblöcke einschlagen, kann man in der Schweiz nochmal drüber nachdenken, den Überfallenen Munition für den Gepard zu liefern.»
Wenn in #Charkiw heute Nacht wieder Raketen in Wohnblöcke einschlagen, kann man in der #Schweiz nochmal drüber nachdenken den Überfallenen #Munition für den #Gepard zu liefern. Die Überfallenen würden sich sehr freuen den Beschuss der #Invasionstruppen abwehren zu können. #WTF
Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Fabers Parteigenossin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, weitet die Forderung auf die ganze Nato aus. Diese müsse die Beschaffung von Munition in der Schweiz überdenken, denn diese helfe Russland mit ihrer Blockadehaltung dabei, «die ärmsten Länder auszuhungern». Das habe «nichts mit Neutralität» zu tun, «sondern mit Anstand», wie der «Blick» die Politikerin zitiert.
Damit argumentiert Strack-Zimmermann ähnlich wie Verteidigungsministerin Lambrecht, die in einem Brief einen moralischen Appell an die Schweizer Regierung gerichtet hatte. Schliesslich würden die Gepard-Panzer zum Schutz kritischer Infrastruktur vor Luftangriffen eingesetzt werden. Das gälte auch für die Häfen, die für den Getreideexport benötigt würden.
Applaus für die Entscheidung gab es hingegen von den politischen Rändern: So lobt die linke Aussenpolitikerin Sevim Dağdelen die Schweiz dafür, dass sie sich «auch in Kriegszeiten der eigenen Grundsätze besinnt und Neutralität verteidigt». Hans-Thomas Tillschneider von der rechtspopulistischen AfD sieht das ähnlich, wenn er schreibt: «So geht Neutralität! Die deutsche Bundesregierung sollte sich daran ein Beispiel nehmen!»
Merci! Gut & richtig, dass sich die #Schweiz (anders als Schweden & Finnland) auch in Kriegszeiten der eigenen Grundsätze besinnt und Neutralität verteidigt. Mehr Diplomatie für #Verhandlungsfrieden statt "Supergeil"-Panzer für mehr Krieg, Tod, Zerstörung. https://t.co/ZenJ4SPy2y
Auch in der Schweiz ist Parmelins Entscheidung umstritten. Die SP sieht in Kriegsmaterialgesetz und Neutralitätsrecht wenig Spielraum. Wie Pressesprecher Nicolas Haesler blue News mitteilt, betrachtet die Partei den Fall nicht als Wertungsfrage, sondern als juristische: «Insofern stellt sich die Frage eigentlich gar nicht – ob man das jetzt gut findet oder nicht. Der Bundesrat hat diese Kompetenz gar nicht.»
Stattdessen müsse die Schweiz andere Aufgaben übernehmen, indem sie etwa «als wichtiger Rohstoff- und Finanzplatz konsequent die Finanzierung der russischen Kriegsmaschine» abstellt, «grosszügig flüchtende Personen aus der Ukraine» aufnimmt, «mehr humanitäre Hilfe» leistet und «als Mitglied des UN-Sicherheitsrates die Durchsetzung des Völkerrechts» stärkt.
FDP-Präsident Thierry Burkart sähe in einer Erlaubnis ebenfalls einen «Bruch mit der Neutralität», wie er dem «Blick» sagte. Burkart sprach sich allerdings auch dafür aus, «das Gesetz so anzupassen, dass wir solche Fälle künftig verhindern können».
Fehlende politische Wertung
Laut Mitte-Chef Gerhard Pfister wäre das gar nicht nötig: Er sieht durchaus eine rechtliche Möglichkeit, die Weitergabe der Munition an die Ukraine zu erlauben. Im Gegensatz zur SP bemängelt Pfister gerade das Fehlen einer politischen Wertung: «Niemand versteht, wenn die neutrale Schweiz zwar direkt Waffen an Saudi-Arabien liefert, das im Jemen-Krieg mitmacht – wir aber gleichzeitig Deutschland nicht ermöglichen, seine Munition, die es vor Jahren bei uns gekauft hat, an die Ukraine weiterzugeben.»
Auch Jürg Grossen, Chef der Grünliberalen, spricht sich für eine Weitergabe der Munition aus. Diese solle gleich mit einer generellen Anpassung der Wiederausfuhrpraxis einhergehen, wie Grossen dem «Tages-Anzeiger» erklärte: «Für Staaten, die unseren Werten verpflichtet sind und über ein Exportkontrollregime verfügen, das mit dem unseren vergleichbar ist, ist auf eine solche Erklärung zu verzichten, sofern die Wiederausfuhr an einen anderen Staat geht, der dieselben Kriterien erfüllt.»
Keine Ersatzmunition aus Norwegen und Brasilien
Überraschend ist der Munitionsengpass indes nicht. So gingen die ursprünglichen Lieferungen der Gepard-Panzer bereits mit einer geringen Verfügbarkeit passender Munition einher. Der Grund: Die deutsche Bundeswehr hat den Panzer bereits vor zehn Jahren aussortiert. Um dem Mangel entgegenzuwirken, sollte neue Munition in Norwegen und Brasilien hergestellt werden.
Bis auf Weiteres sind sämtliche Hoffnungen auf Hilfe von aussen jedoch geplatzt: Die norwegischen Geschosse zeigten sich bei Testversuchen als fehleranfällig und Brasiliens frisch abgewählter rechtspopulistischer Präsident Jair Bolsonaro lehnte die Lieferung an die Ukraine ab. Ob Berlin bei Bolsonaros erfolgreichem Herausforderer Lula da Silva mehr Erfolg hat, wird sich zeigen.