Fragen und Antworten Wer bekommt die zusätzliche Milliarde aus den Konzern-Steuern?

SDA/uri

23.6.2022 - 13:45

Bundesrat schickt Umsetzung der OECD-Mindeststeuer ans Parlament

Bundesrat schickt Umsetzung der OECD-Mindeststeuer ans Parlament

Der Bundesrat treibt die Umsetzung der globalen Mindeststeuer für Konzerne voran. Er schlägt dem Parlament neu vor, dass ein Viertel der Mehreinnahmen an den Bund zurückfliessen soll. Die kantonalen und städtischen Finanzdirektorinnen und -direktoren sind mit an Bord.

23.06.2022

Mit einer weltweiten Mindeststeuer für internationale Konzerne wollen 137 Länder Steueroasen das Wasser abgraben. Auch der Bundesrat treibt die Umsetzung der Abgabe voran. Das sind die wichtigsten Punkte. 

Keystone-SDA, SDA/uri

Das Projekt zur Besteuerung der digitalen Wirtschaft der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und der Gruppe der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20) umfasst zwei Säulen. Die Antworten auf die wichtigsten Fragen im Überblick:

Warum sind Änderungen überhaupt nötig?

Die Steuerregeln passen nicht mehr zum Digitalzeitalter. Viele Unternehmen – besonders die Internetriesen – haben in Ländern, in denen sie prächtig Geld verdienen, keine physische Präsenz mehr – also etwa Fabriken wie klassische Industriekonzerne. Ihre Gewinne basieren auf Patenten, Software und Lizenzeinnahmen. Diese haben sie aber in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr in Niedrigsteuerländer verschoben. So zahlen die grössten Konzerne der Welt oft deutlich weniger Steuern als etwa ein Mittelständler oder der Bäcker von nebenan. Länder mit riesigen Bevölkerungen – Indien und Brasilien zum Beispiel – sind für grosse Konzerne wichtige Märkte, ihre Steuern zahlen diese aber in Irland oder auf den Kanal-Inseln südwestlichen Teil des Ärmelkanals.

Wolkenkratzer in Panama-City: Das mittelamerikanische Land Panama gilt als berüchtigte Steuroase. (Archiv)
Wolkenkratzer in Panama-City: Das mittelamerikanische Land Panama gilt als berüchtigte Steuroase. (Archiv)
Bild: Getty Images

Auch die Schweiz profitierte vom bisherigen Steuerregime. Der Entscheid der führenden Industrienationen für eine weltweite Mindeststeuer von 15 Prozent für Grosskonzerne ist daher nach Einschätzung von Ökonomen keine gute Nachricht für die Schweiz. Andere betonen, dass die Steuerlast für einen Unternehmer nur ein Kriterium von vielen sei, die über Investitionen und einen Standort entscheiden würden.

Wer ist von der Steuerreform betroffen?

Die neue Konzernsteuerregelung besteht aus zwei Säulen. Zum einen geht es um die weltweit hundert grössten Unternehmen. Diese sollen nach dem Willen der OECD-Mitgliedstaaten künftig nicht nur im Sitzstaat des Unternehmens besteuert werden, sondern auch dort, wo ihre Leistungen konsumiert werden. Betroffen davon sind laut der Bundesverwaltung zwischen drei und fünf Schweizer Unternehmen – darunter die Chemiekonzerne Novartis und Roche sowie der Nahrungsmittelriese Nestlé.

Zum anderen sieht die OECD künftig eine Minimalsteuer von 15 Prozent vor für Unternehmen, die einen weltweiten Jahresumsatz von über 750 Millionen Euro erzielen. Nach Angaben der Verwaltung werden zwischen 200 und 300 Schweizer Firmen unter diese Regel fallen. Dazu kommen rund 2000 bis 3000 ausländische Tochterfirmen.

Muss die Reform umgesetzt werden?

Nein. Die Staaten sind frei, ob und wie sie die neue Mindeststeuer für Konzerne umsetzen. Die meisten Länder dürften aber die Änderungen umsetzen, da sonst Steuersubstrat ins Ausland abfliessen könnte. Der Grund: Wenn die Unternehmen in der Schweiz weniger als 15 Prozent Steuern bezahlen, wird die Differenz im Ausland erhoben.

In der Schweiz haben rund zwei Drittel aller Kantone eine Gewinnsteuer unter 15 Prozent. Gemäss dem «Swiss Tax Report 2021» des Prüf- und Beratungsunternehmens KPMG reichte die Bandbreite der ordentlichen Gewinnsteuer im Jahr 2021 je nach Kanton von 11,5 bis 21 Prozent.

Was sind die Folgen für Bund und Kantone?

Viele Unternehmen werden aufgrund der neuen Regeln höhere Steuern in den Kantonen zahlen. Die wirtschaftliche und steuerliche Attraktivität der Schweiz für internationale Unternehmen wird dadurch beeinträchtigt.

Die Wirtschaft fordert deshalb von den Kantonen, die heute weniger als 15 Prozent verlangen, neue Standortmassnahmen. Gelinge dies zügig, könnten die Schweizer Volkswirtschaft, der Fiskus und die Schweizer Unternehmen zu den Gewinnern der neuen Standards gehören. Gelinge dies nicht, könnte die Schweiz gegenüber wichtigen Konkurrenzstaaten in Rückstand geraten.

Um wieviel Geld geht es überhaupt? 

Die finanziellen Auswirkungen der Reform lassen sich derzeit nicht zuverlässig schätzen. Schätzungen ergeben für Bund und Kantone kurzfristig aber jährliche Mehreinnahmen von rund 1 bis 2,5 Milliarden Franken.

Wie sollen die Mehreinnahmen verteilt werden?

Ursprünglich sollten die Kantone alle aus der Steuer resultierenden Mehreinnahmen erhalten. Dieser Punkt stiess in der Vernehmlassung jedoch auf Kritik. Mitte-Links und mehrere Kantone forderten, dass auch der Bund einen Anteil erhalten solle. Der Bundesrat lenkte ein: 25 Prozent der Einnahmen sollen künftig an den Bund fliessen.

Gemäss Verteilungsschüssel dürften dann 250 bis 650 Millionen Franken auf den Bund entfallen. Rund 800 Millionen bis knapp 2 Milliarden Franken gingen demnach an die Kantone. Was konkret mit diesem Geld geschehen soll, ist indes nicht abschliessend geklärt. Gegenwärtig sind auf kantonaler Ebene eine Vielzahl von Vorschlägen in Diskussion.

Wie Ernst Stocker, Präsident der Konferenz der kantonalen Finanzdirektorinnen und Finanzdirektoren (FDK), auf der Medienkonferenz am Donnerstag erklärte, würden die Gelder aber nicht an die Grosskonzerne zurückfliessen. Steuerrabatte seien ausdrücklich ausgeschlossen. Die Mehreinnahmen würden für die Standortattraktivität benutzt, also für Bildung, Forschung, Infrastruktur oder Kinderbetreuung.

Worüber wird gestritten?

Linke Parteien und Organisationen warnen davor, die zusätzliche Steuereinnahmen gleich wieder an «reiche Unternehmen» zu verschenken. Alliance Sud, das Bündnis aus Entwicklungshilfeorganisationen, fordert etwa, dass die Schweiz einen Teil der zusätzlichen Steuereinnahmen zurückgibt in arme Länder. Schliesslich würden einige multinationale Konzerne dort ihre Gewinne erwirtschaften.

Finanzminister Ueli Maurer stellte in Aussicht, dass den Kantonen bei der Umsetzung «relativ grosse Freiheiten» gegeben werden sollen. Der Bund versuche gleichzeitig, unnötige Steuern zu eliminieren, den administrativen Verkehr zwischen Behörden und Unternehmen mit digitalen Prozessen zu vereinfachen und die Kontingente für Arbeitskräfte aus Drittstaaten für die IT- und Biotechnologiebranche spezifisch zu erhöhen. Der Finanzminister sprach von einer «Entrümpelungsaktion für eine liberale Wirtschaftsordnung».

Welche Details sind noch offen?

Noch ist unklar, 15 Prozent wovon betroffene Unternehmen besteuern müssen. Sicher ist aber, dass die weltweit einheitliche Bemessungsgrundlage nicht auf dem schweizerischen Gewinnsteuerrecht basiert. Die Gewinnsteuer von Bund und Kantonen bleibt unverändert. Die Bundesverwaltung rechnet mit komplexen Umsetzungsarbeiten der internationalen Steuerregeln.

Gemäss Wortlaut der geplanten Übergangsbestimmung in der Verfassung sind insbesondere die in der Erfolgsrechnung der Geschäftseinheit verbuchten direkten Steuern massgebend. Massgebender Gewinn einer Geschäftseinheit ist demnach der in ihrer Erfolgsrechnung für die nach einem anerkannten Rechnungslegungsstandard erstellte Jahresrechnung der Unternehmensgruppe ermittelte Gewinn oder Verlust vor Herausrechnung der Transaktionen zwischen den Geschäftseinheiten und nach Berücksichtigung anderer Korrekturen.

Wie sehen die nächsten Schritte aus?

Im Herbst wird die Vorlage voraussichtlich vom Nationalrat, im Winter vom Ständerat behandelt. Allfällige Differenzen sollen bis Ende 2022 bereinigt sein, sodass der Bundesbeschluss am 18. Juni 2023 zur Abstimmung kommen kann.

Damit eine Inkraftsetzung auf den 1. Januar 2024 erreicht werden kann, soll der Bundesrat mit einer Übergangsbestimmung ermächtigt werden, die Mindestbesteuerung auf dem Verordnungsweg temporär zu regeln. Diese temporäre Verordnung soll durch ein vom Parlament verabschiedetes Bundesgesetz abgelöst werden, sobald genügend Klarheit über die Anwendung der internationalen Regeln besteht.