95,2 Milliarden Minus Das musst du zum Rekordverlust der SNB wissen

toko

29.7.2022

SNB-Chef Thomas Jordan muss einen Rekordverlust seines Hauses verkünden.
SNB-Chef Thomas Jordan muss einen Rekordverlust seines Hauses verkünden.
Keystone/ANTHONY ANEX (Archivbild).

Die SNB hat im ersten Halbjahr einen drastischen Verlust von 95,2 Milliarden Franken eingefahren. Wie konnte das passieren — und was bedeutet das für die Bürger*innen? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

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Jahrelang hat die SNB im Kampf gegen den starken Franken gewaltige Devisenreserven angehäuft. Auch deshalb es nun einen Rekordverlust.

Was bedeutet die gigantische Summe von 95,2 Milliarden Franken für eine Zentralbank überhaupt? Und welche Folgen hat der Rekordverlust für die Menschen in der Schweiz?

Was ist passiert?

Die SNB hat im ersten Halbjahr ein massives Minus eingefahren, heisst: Für die Periode von Januar bis Juni 2022 gab es einen Verlust von 95,2 Milliarden Franken. Nach einem Minus von 32,8 Milliarden im ersten Quartal kamen im zweiten Jahresviertel nochmals 62,4 Milliarden dazu. 

Es handelt sich somit auch um den grössten Verlust der SNB in ihrer über 100-jährigen Geschichte.

Wie kommt das Minus zustande?

Der historische Verlust hat hauptsächlich zwei Gründe: Der starke Franken und eine schwache internationale Börse. Deshalb kommt das Minus auch nicht überraschend.

Auch mit einem hohen Verlust war von Expert*innen gerechnet worden. Allerdings ist die Zahl nun noch etwas höher, als die Ökonomen im Vorfeld geschätzt hatten. 

Hauptgrund für den riesigen Verlust ist die schwache Entwicklung an den internationalen Finanzmärkten. Auf den hohen Reserven der SNB von aktuell gegen 1'000 Milliarden Franken führen kleinste Bewegungen zu hohen Gewinnen oder Verlusten für die Nationalbank.

Nicht nur die Aktienmärkte entwickelten sich im ersten Halbjahr wegen des Ukraine-Krieges, der stark gestiegenen Inflation und vermehrt auch Rezessionsängsten stark rückläufig.

Die fast weltweit steigenden Zinsen führten auch zu hohen Bewertungsverlusten auf den Anleihenmärkten, dazu kam noch der schwache Euro.

Das alles führte in beiden Quartalen per Saldo zu einem Verlust auf den sogenannten Fremdwährungspositionen von 97,4 Milliarden. Der Betrag setzt sich zusammen aus Kursverlusten von 48,7 Milliarden auf Zinspapieren und -instrumenten (beispielsweise Anleihen) und von 44,0 Milliarden auf Aktien und ähnlichen Papieren.

Was hat der Verlust mit dem Zinsentscheid der SNB zu tun?

Sehr viel. Nicht nur die weltweit steigenden Leitzinsen führen zu Bewertungsverlusten, auch der eigene Zinsentscheid mit der starken Erhöhung drückte auf das Ergebnis der Nationalbank.

Laut Ökonom Reto Föllmi hat der Schritt zu einer Aufwertung des Franken um rund fünf Prozent geführt, was einem Verlust auf die Gesamtbilanz in Höhe von rund 50 Milliarden Franken gleichkomme, sagte er dem «Tages-Anzeiger» (kostenpflichtiger Inhalt).

Was heisst das für mich?

Prinzipiell betreffen die Ergebnisse der Schweizerischen Nationalbank alle Menschen in der Schweiz.

Denn sollte die SNB auch am Jahresende das Blatt nicht wenden können, gibt es keine Ausschüttungen mehr an die Kantone. Und die profitierten in den vergangenen Jahren von einem wahren Geldsegen aus Bern.

Die Ausschüttungen erfolgen aufgrund einer Vereinbarung zwischen Bund und Nationalbank. Demnach besteht die Gewinnausschüttung aus einem Grundbetrag von zwei Milliarden Franken, der ausgeschüttet wird, sofern ein Bilanzgewinn von mindestens zwei Milliarden Franken vorhanden ist.

Hinzu kommen vier mögliche Zusatzausschüttungen von je einer Milliarde Franken, wenn der Bilanzgewinn 10, 20, 30 oder 40 Milliarden Franken erreicht. Letztes Jahr gab es eine Gewinnausschüttung von sechs Milliarden Franken, die zu einem Drittel an den Bund und zu zwei Dritteln an die Kantone ging.

Wenn diese saftigen Gewinne nun ausbleiben, könnten Einsparungen oder auch Steuererhöhungen drohen. «Das kann bedeuten, dass der ein oder andere Kanton die Steuern erhöhen oder geplante Ausgaben zurückstecken muss», sagte der Nationalökonom Yvan Lengwiler gegenüber «20 Minuten».

Wirtschaftsminister Guy Parmelin zur Erhöhung des Leitzinses

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Gibt es also dieses Jahr kein Geld für die Kantone?

Das lässt sich noch nicht eindeutig sagen, ausgeschlossen ist es jedoch keineswegs — im Gegenteil.

Zwar beläuft sich die für die Zahlungen relevante Ausschüttungsreserve nach dem Jahresergebnis 2021 auf hohen 102 Milliarden Franken. Wenn sich die Finanzmärkte im zweiten Semester aber nicht deutlich erholen, sind diese bald aufgebraucht.

Da die SNB gemäss den Ökonomen der UBS auch dieses Jahr zusätzliche Rückstellungen von gegen zehn Milliarden tätigen dürfte, müsste sie bereits bei einem Jahresverlust von etwa 93 Milliarden Franken auf Ausschüttungen an Bund und Kantone verzichten.

Dass es dieses Jahr keine Ausschüttungen für die Kantone geben wird, ist somit sehr wahrscheinlich. Dirk Niepelt, Professor für Volkswirtschaft an der Uni Bern, sagt dem SRF: «Es schaut so aus, als gäbe es dieses Jahr keine Ausschüttung. Zumindest sind wir hart an der Grenze.»

Und jetzt?

Im jahrelangen Kampf gegen einen zu starken Franken hat die Nationalbank gewaltige Devisenreserven angehäuft. Sie verwaltet nunmehr Fremdwährungen in der Höhe von rund 1'000 Milliarden Franken — eine gewaltige Hebelwirkung.

Dieser Hebel sollte laut Expert*innen verkleinert werden. Viele Zentralbanken wie auch die amerikanische Nationalbank Fed bauen bereits ihre Bilanzen ab, Ökonom Föllmi zufolge wird auch die SNB dies tun müssen. Damit könne sie den Hebel verkleinern, «der ihr ja heute diese hohe Verlustzahl eingebrockt hat», zudem würde es «den politischen Druck von der Nationalbank nehmen».

Es ist nicht die Aufgabe der Nationalbank, Profite zu erwirtschaften, sondern die Preise stabil zu halten. Und auch gigantische Verluste sind bei einer Nationalbank erstmal kein Grund zur Sorge, wenngleich sie am Eigenkapital zehren. «Ich glaube nicht, dass die Glaubwürdigkeit der Nationalbank deutlich leiden würde, wenn ihr Eigenkapital geringer oder sogar negativ würde», sagt der Basler Nationalökonom Yvan Lengwiler dem SRF.

Mit Material von sda.