Angst vor Notstand Detailhändler rüsten sich für weitere Hamsterkäufer

Von Jennifer Furer

13.3.2020

Mehl, Zucker, Teigwaren: Schweizerinnen und Schweizer horten derzeit Essen, um sich für die Coronakrise zu rüsten. Foodsaver erwarten nun einen Anstieg bei den Essensabfällen – und rüsten sich.

«Sie befinden sich in der Warteschlange. Sie sind an der Reihe in acht Minuten.» Wer derzeit bei LeShop, dem Online-Supermarkt der Migros einen Einkauf tätigen will, muss sich hinten anstellen und gedulden. Das Coronavirus sorgt für Verunsicherung in der Schweizer Bevölkerung. Die Essenslager werden gefühlt, Hygieneartikel gehortet.

«Die aktuelle Lage verlangt von vielen Mitarbeitenden der Migros-Gruppe einen Sondereffort ab», sagt Migros-Sprecher Martin Schlatter. Seit über zwei Wochen verzeichne der Detailhändler eine «augenfällig erhöhte Nachfrage» nach Gütern des täglichen Bedarfs.

Zuoberst auf dem Einkaufszettel stünden Körperhygiene, Beilagen, Konserven, Mehl und Zucker. «Der Zuwachs ist schweizweit feststellbar», sagt Schlatter.

Nachdem es vergangene Woche vorübergehend vereinzelt zu leeren Regalen gekommen sei, habe sich die Warenverfügbarkeit dank ergriffener Massnahmen wieder normalisiert. Migros stellt fest, dass die Nachfrage nach länger haltbaren Lebensmitteln erhöht ist, weniger jene nach verderblichen Produkten, so Schlatter.

Foodwaste vermehrt in privatem Haushalt 

Ein Engpass bestehe derzeit nicht. Das sei auch auf die personellen Kapazitäten zurückgeführt werden, die Migros beispielsweise in den Verteilzentren erhöht hat, um dem erhöhten Warenfluss Rechnung zu tragen.

Migros-Sprecher Schlatter: «Die Migros hat ein Basissortiment definiert, das wir sowohl in den Eigenbetrieben unserer Industrieunternehmen als auch in der Logistik priorisieren.»

Damit wolle der Detailhändler eine Grundversorgung sicherstellen. «Es handelt sich dabei um Güter des täglichen Bedarfs, die in etwa jenen des vom Bund definierten Notvorrates entsprechen.» In einen solchen gehören beispielsweise 9 Liter Wasser pro Person, Reis, Teigwaren und Öl.

Pandemieplan mit Bund

Auch Coop hat präventive Massnahmen getroffen, um die Versorgung auch längerfristig sicherzustellen. Sprecherin Marilena Baiatu sagt: «Wir haben schon seit vielen Jahren einen Pandemieplan und sind in engem Austausch mit den Behörden. Dabei hat die Sicherstellung der Grundversorgung mitunter oberste Priorität.»

Auch bei Coop sei die Nachfrage nach bestimmten Produkten, wie beispielsweise nach länger haltbaren Lebensmitteln und Tiefkühlprodukten, ist seit rund zwei Wochen erhöht. «Die Nachfrage nach frischen Produkten bewegt sich auf unverändert hohem Niveau», sagt Baiatu.

Hamsterkäufe und Horten von Essen bringt das Thema Foodwaste aufs Parkett. In Deutschland beispielsweise ruft die Organisation Foodsharing Bremen dazu auf, in Zeiten des Coronavirus die anfallenden Essensabfälle nicht wegzuwerfend, sondern abzugeben oder abholen zu lassen.

Foodsharing weiterhin möglich

«Natürlich ist davon auszugehen, dass kurzzeitig die Menge an verschwendeten Lebensmitteln ansteigen wird», sagt Tilman Pfäfflin von Foodsharing Schweiz. Es sei bereits Essen gerettet worden, nachdem Veranstaltungen kurzfristig abgesagt wurden.

Auch in der Gastronomie erwarte Pfäfflin mehr Foodwaste. «Ob sich aufgrund des sich ändernden Kaufverhaltens der Bevölkerung auch früher in der Wertschätzungskette Änderungen bemerkbar machen werden, können wir derzeit nicht abschätzen.»

Bisher habe sich der Betrieb beim Foodsharing, bei dem in öffentlichen Kühlschränken gratis Essen deponiert wird, das sonst weggeworfen worden wäre, nicht eingeschränkt. Pfäfflin: «Das deshalb, weil das Virus über Tröpfcheninfektion und nicht über Waren wie kontaminierte Lebensmittel übertragen wird.»



Die schnelle Ausbreitung sei aber auch für die Organisation überraschend. «Wir gehen davon aus, dass sich unsere Vorgaben in Kürze verschärfen könnten. Eine Lebensmittelrettung ist aber von einem gewöhnlichen Essenseinkauf nicht sonderlich verschieden, weshalb wir hier keinen Stopp und sicherlich keine Panik aufbieten müssen.»

Die Foodsharing-Mitglieder seien über erhöhte Hygiene zu ihrem Schutz und dem Schutz der späteren Lebensmittelempfänger informiert worden. «Foodsaver sind allgemein zum Thema Hygiene geschult, weshalb wir hier auf den gesunden Menschenverstand der Mitglieder zählen können», so Pfäfflin.

Migros-Sprecher Schlatter geht nicht davon aus, dass die Anzahl Essensabfälle durch Detailhändler steigen werde. Er sagt, dass 45 Prozent der Lebensmittelverschwendung in der Schweiz auf private Haushalte zurückgehen. «Nur gerade 1,4 Prozent der von der Migros angebotenen Lebensmittel wurden 2018 nicht als Lebensmittel verwendet.» 1,1 Prozent davon seien in Form von Biogas vergärt, der Rest sei entweder zu Tierfutter oder Kompost verwertet beziehungsweise verbrannt worden.

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