Freispruch im Fifa-Prozess«Die Justiz ist in einem ziemlich desolaten Zustand»
Von Andreas Fischer
9.7.2022
Ex-Fussball-Funktionäre Blatter und Platini freigesprochen
Nicht schuldig. Die ehemaligen Fussball-Funktionäre Sepp Blatter und Michel Platini – hier bei der Ankunft vor Gericht am Freitag – sind in einem Korruptionsprozess vom schweizerischen Bundesstrafgericht in Bellinzona freigesprochen worden.
09.07.2022
Sepp Blatter und Michel Platini wurden im Fifa-Prozess in Bellinzona freigesprochen. Für Korruptionsexperte Mark Pieth nicht überraschend: Er stört sich eher an der ungesunden Nähe der Bundesanwaltschaft zur Fifa.
Von Andreas Fischer
09.07.2022, 07:45
09.07.2022, 08:55
Von Andreas Fischer
Für die wegen Betrugs angeklagten Ex-Fussballfunktionäre Joseph Blatter und Michel Platini ist mit dem Freispruch vor dem Bundesstrafgericht in Bellinzona ein jahrelanger Albtraum zu Ende gegangen. Für die Schweizer Justiz und für Gianni Infantino könnte er jetzt erst beginnen, wie Antikorruptionsexperte Mark Pieth im Interview mit blue News einschätzt.
Zur Person
zVg/Mark Pieth
Der Basler Mark Pieth ist emeritierter Strafrechtsprofessor und Antikorruptionsexperte. Von 2011 bis 2013 präsidierte er die unabhängige Kommission für Governance bei der Fifa.
Herr Pieth, herrscht «nach sieben Jahren Lügen und Manipulation nun Gerechtigkeit», wie es Michel Platini in einer ersten Stellungnahme nach dem Freispruch ausdrückte?
Ein Freispruch lag zwar im Bereich der Möglichkeiten, mit diesem klaren Ausgang des Prozesses war aber nicht ohne Weiteres zu rechnen. Das heisst allerdings nicht, dass dieses Verfahren nun zu Ende ist. Die Staatsanwaltschaft kann es noch weiterziehen. Dennoch: Ein Freispruch in der ersten Instanz ist sehr wichtig. Der wird für gewöhnlich nicht so leicht gekippt. Von dieser Seite aus betrachtet hat Platini also endlich recht bekommen … und das könnte die Fifa sehr teuer zu stehen kommen.
Welche Konsequenzen hat der Freispruch für die Fifa in Bezug auf die langjährigen Sperren von Sepp Blatter und Michel Platini durch die Ethikkommission? Könnten sich die Herren jetzt wieder in Funktionen klagen?
Bei Sepp Blatter ist das aufgrund des Alters eher unwahrscheinlich. Auch bei Platini denke ich nicht, dass er wieder eine Funktion bekommt. Platini kann nicht ungeschehen machen, was ihm widerfahren ist. Aber zumindest kann er Schadenersatz verlangen und sagen: «Ich war 2015 ein aussichtsreicher Kandidat für das Präsidentenamt der Fifa, wenn man mich nicht verhindert hätte. Das kostet euch jetzt ein paar Millionen.» Platinis Anwälte müssten nur die Fifa-Justiz umgehen, die parteiisch ist, und stattdessen ein staatliches Gericht überzeugen, sich zuständig zu erklären. Zum Beispiel in Frankreich.
Wieso denn in Frankreich? Herr Platini hat heute beteuert, dass er trotz langer Verfahrensdauer «das Vertrauen in die Schweizer Rechtsordnung nicht verloren» habe …
Das hat er zwar gesagt, aber das kann er gar nicht ernst gemeint haben.
Was bedeutet der Freispruch für das Image der Fifa und von Gianni Infantino?
Es ist äusserst peinlich, vier Anwälte antreten, aufs Schärfste bellen zu lassen und am Schluss eins auf die Nase zu bekommen. Für Infantino ist der Freispruch ein ganz herbe Niederlage. Man muss sich überhaupt fragen, warum er diesen Prozess unbedingt gewinnen wollte. Er hätte sich relaxt zurücklehnen können und die Staatsanwaltschaft ihren Job machen lassen. Herausgekommen ist nun aber das Bild von einer Fifa, die auf Teufel komm raus die beiden Oldies in die Pfanne haut.
Auf die eine Peinlichkeit mehr oder weniger kommt es bei der Fifa doch gar nicht mehr an, oder?
Man könnte auch mal aus der Vergangenheit lernen. Stattdessen wurde es allzu deutlich, dass es Infantino nur darum ging, seine potenziellen Widersacher ein für alle Mal zu erledigen.
Hatten Sie eigentlich persönlich mit dem Freispruch gerechnet?
Ich hatte ihn ernsthaft in Erwägung gezogen, allerdings aus anderen Gründen. Mein Thema war immer die Frage der Befangenheit. Und zwar die Befangenheit der Bundesanwaltschaft: Olivier Thormann ermittelte eins für die Bundesanwaltschaft im Fifa-Komplex und ist heute Bundesstrafrichter.
Ich habe immer auch das Geschehen um die merkwürdigen Treffen zwischen dem jetzigen Fifa-Chef Gianni Infantino und dem damaligen Bundesanwalt Michael Lauber mit diesem Verfahren verbunden. Die Verschwörungstheorie, die Platini zu seiner Verteidigung präsentierte, ist ja nicht völlig aus der Luft gegriffen.
Sehen wir es positiv: Immerhin wurde in der Schweiz endlich mal ein Fifa-Verfahren vor Ablauf der Verjährungsfrist zu Ende gebracht.
Stimmt. Das Gericht war unter Druck deswegen und wollte gleichzeitig seine Unabhängigkeit gegenüber der Bundesanwaltschaft beweisen. Dieses Ziel wurde erreicht. Für das Bundesstrafgericht ist das Verfahren aus dieser Sicht ein Erfolg. Für die Bundesanwaltschaft hingegen eher problematisch: Sie hat heute die Quittung bekommen für Fehler in der Vergangenheit.
Noch einmal zurück zu den Geheimtreffen von Infantino und Lauber …
Wie gesagt: Diese Treffen hätten meiner Meinung nach durchaus einen Bezug zu diesem Verfahren gehabt. Dass das Gericht davon nichts hören wollte, ist nachvollziehbar, weil es in Teufels Küche gekommen wäre. Im Grunde steckt darin die Behauptung der Befangenheit der Staatsanwaltschaft. Befangenheit hat dramatische Konsequenzen in unserem Rechtssystem: Beweismittel werden dadurch unverwertbar, das Verfahren hätte eingestellt werden oder ein Freispruch aus prozessualen Gründen erfolgen können. Für Blatter und Platini ist das heutige Urteil aber besser. Es ist ein Freispruch erster Ordnung, weil man ihnen kein Delikt nachweisen konnte.
Was sagen die Verstrickungen von Fifa und der Bundesanwaltschaft über die hiesige Justiz aus? Ist die Schweiz in dieser Hinsicht eine Bananenrepublik?
Ich würde sogar sagen: Nicht nur in dieser Hinsicht. Es zeigt sich beim Fussball nur ganz deutlich, dass die Schweizer Bundesstrafjustiz in einem ziemlich desolaten Zustand ist. Das hat Gründe, die nicht nur mit der Fifa zu tun haben. Das Grundübel ist, dass die Justiz verpolitisiert ist. Kommt hinzu: Die Methoden, mit denen die Leute gewählt werden, sind veraltet. Sie hatten einst ihre Berechtigung, als Herzöge und Könige vertrieben wurden und sich nach 1291 eine Bauernjustiz bildete. Aber das ist eben lange her.
In der mündlichen Urteilsbegründung ist die Rede von Verdachtsmomenten gegen Blatter und Platini. Aber das Gericht hatte auch erhebliche Zweifel an der Version der Bundesanwaltschaft …
Die Regeln sind völlig klar: «Im Zweifel für den Angeklagten» ist ein eherner Grundsatz. Das heisst, die Beweise, dass ein Delikt begangen wurde, müssen eindeutig und es braucht die volle Überzeugung des Gerichts.
Warum macht die Staatsanwaltschaft bei Verfahren gegen Fifa-Funktionäre so häufig eine hilflose Figur?
Ich würde anders fragen, nämlich: Warum verzichtet die Bundesanwaltschaft nicht einfach darauf, unsichere Fälle weiterzuziehen? Das Verfahren gegen Blatter und Platini hätte schon vor fünf Jahren eingestellt werden können, wenn man sich eingestanden hätte, die Vorwürfe nicht beweisen zu können. Das Problem ist: Die Bundesanwaltschaft hatte, genau wie die Fifa, das Gefühl, diesen Prozess unbedingt gewinnen zu müssen. Normalerweise würden Fälle mit einer solchen Beweislage nicht vor Gericht gebracht.
Das tönt, als wäre die Bundesanwaltschaft ziemlich verbissen.
Und das ist ein ganz grosses Problem. Die Akteure damals, Olivier Thormann und sein Chef Michael Lauber, später dann Thomas Hildebrand haben sich etwas verrannt. Hildebrand hat schon einmal versucht, Sepp Blatter zu überführen, und ist gescheitert. Das ist eine merkwürdige Geschichte, sie wirkt wie eine persönliche Vendetta. So führt man keine Bundesanwaltschaft.
Das Urteil kann noch weitergezogen werden: Rechnen Sie damit, dass die Bundesanwaltschaft in die Berufung geht?
Das Pikante daran wäre: Der derzeitige Präsident der Berufungskammer ist Olivier Thormann. Der ist zwar derzeit im Ausstand, aber es wären seine Kumpel, die über die Berufung entscheiden würden.
Die Bundesanwaltschaft muss genau überlegen, ob sie sich noch einmal lächerlich machen will. Wenn der neue Bundesanwalt Stefan Blättler das Verfahren weiterzieht, dann riskiert er sehr viel, weil er die Probleme der Vergangenheit übernimmt.
Ihm würde es persönlich überhaupt nicht schaden, wenn er beschliesst, einen Schlussstrich unter eine dumme Gesichte zu ziehen. Cut the losses, würde man auf Englisch sagen: den Schaden begrenzen. Für Blättler ist die ganze Angelegenheit eine Altlast, die er jetzt loswerden kann – auch wenn er damit vielleicht seine eigenen Leute desavouieren würde.