Experte zum Rahmenabkommen «Es dürfte zu einem schleichenden Auseinanderleben kommen»

Von Uz Rieger

1.5.2021

Bundespräsident Guy Parmelin bei seinem Treffen mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am 23. April 2021 in Brüssel. 
Bundespräsident Guy Parmelin bei seinem Treffen mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am 23. April 2021 in Brüssel. 
Bild: Keystone

Die Verhandlungen zum Rahmenabkommen sind verfahren – Bundespräsident Guy Parmelin spricht zuletzt sogar von «fundamentalen Differenzen» zur EU. Der deutsche Experte Olaf Wientzek warnt, man solle «die Flinte nicht vorzeitig ins Korn werfen».

Von Uz Rieger

1.5.2021

Die Schweiz und die Europäische Union feilschen weiter erbittert um das Rahmenabkommen. Und zuletzt hat sich keine Seite bewegt. Olaf Wientzek ist Leiter der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung KAS im Schweizer Standort in Genf. Der Politikwissenschaftler sieht aufseiten der EU nicht mehr viel Spielraum, meint aber auch, die Beziehung sei es «definitiv wert», weiterhin im Dialog zu bleiben. Wir fragen nach.

Herr Wientzek, wie wichtig ist das Rahmenabkommen eigentlich für die EU?

Olaf Wientzek: Es gibt natürlich ein grosses Interesse der EU am erfolgreichen Abschluss des Rahmenabkommens. Die Schweiz ist viertwichtigster Handelspartner der EU. Sie ist auch zweifelsohne ein wichtiger Partner in Zukunftsbereichen, also im Bereich Forschung, im Bereich Innovation. Und man sollte nicht unterschätzen, wie eng die Wirtschaftsräume – gerade in den Grenzregionen – miteinander verquickt sind. Da gibt es natürlich auch zahlreiche gesellschaftliche Bande.

Zur Person
ZvG

Olaf Wientzek ist Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Genf. Der Politikwissenschaftler ist Europapolitik-Experte und hat unter anderem am College of Europe im polnischen Natolin studiert.

Und ich glaube, einen Punkt sollte man auch nicht unterschätzen: Es geht für die EU auch darum, Partnerfähigkeit zu beweisen. Die Schweiz ist ja nicht nur wirtschaftlich, sondern auch was die Werte betrifft und auch politisch ein sehr, sehr enger, ja natürlicher Partner der EU auf internationaler Ebene. Deshalb wäre auch aus diesen Gründen ein erfolgreicher Abschluss des Rahmenabkommens sehr wichtig.

Könnte die EU bei einigen Punkten, die der Schweiz so wichtig sind, nicht doch noch auf sie zugehen?

Viel Spielraum, befürchte ich, gibt es da nicht. Das kann ich auch durchaus nachvollziehen. Man kann sich bei den drei Fragen, bei denen die Schweiz Nachbesserungen oder Klärung fordert – also staatliche Beihilfen, vor allem aber Lohnschutz oder bei der Unionsbürgerrichtlinie – sicherlich noch in begrenztem Rahmen etwas bewegen.

Eine relativ weitgehende Ausklammerung der Unionsbürgerrichtlinie wird aber nicht zu machen sein. Und das liegt auch einfach daran, dass der Binnenmarktzugang der Schweiz denselben oder zumindest sehr ähnlichen Bedingungen unterliegen muss, die auch für die 27 EU-Mitgliedstaaten gelten.



Man sollte zudem nicht vergessen, dass die EU im Verhandlungsprozess der letzten Jahre, ebenso wie die Schweiz, einige Konzessionen gemacht hat. Zwei Dinge gilt es im Hintergrund zu bedenken: Erstens ist die EU von heute nicht mehr die EU der 90er-Jahre – der Binnenmarkt hat sich weiterentwickelt, aber auch das Verständnis der Personenfreizügigkeit und welche Rechte damit verbunden sind. Und zweitens: Die Kommission, das haben wir in den vergangenen Wochen mehrfach gesehen, hat auch den vollen Rückhalt ihrer Mitgliedstaaten zu ihrer Haltung.

Was passiert, falls das Rahmenabkommen scheitert?

Das wird keinen unmittelbaren grossen Schock geben. Dagegen dürfte es zu einem schleichenden Auseinanderleben der beiden Rechtsräume kommen. Die bilateralen Verträge würden nicht mehr aktualisiert werden und nach und nach ihre Bedeutung verlieren. Und das wiederum würde zu Sand im Getriebe der wirtschaftlichen Beziehungen beider Seiten führen.

Es wird die enge grenzüberschreitende Zusammenarbeit erschweren und die Beteiligung der Schweiz am Forschungsprogramm Horizon Europe und ehrgeizigen Projekten, die die Schweiz ja auch möchte, beispielsweise im Gesundheits- und Energiebereich, die sich ja auch die Schweiz wünscht, würden wohl auch schwerer werden. Also: Ich würde keinen grossen Knall erwarten, aber eine schleichende Verschlechterung.

Wären die Verhandlungen einfacher gewesen, hätte es den Brexit nicht gegeben?

Das ist natürlich sehr spekulativ. Das werden Sie nie wissen. Ich glaube, in den Verhandlungen selbst hätte es jetzt keinen riesigen Unterschied gemacht, weil die Schweiz einen bedeutend privilegierteren Zugang hat als Grossbritannien mit dem Brexit-Abkommen. Das sind zwei verschiedene paar Schuhe. Das weiss die Schweizer Seite und das weiss auch die EU-Seite.

Vielleicht zwei Punkte, die doch mit eingespielt hätten. Auf EU-Seite ist vielleicht die Erfahrung mit dem Brexit, die Furcht vor Rosinenpickerei durch die andere Verhandlungsseite noch mal gestärkt worden oder die Aufmerksamkeit dafür. Und bei einigen in der Schweiz gab es vielleicht nach dem Abschluss des Brexit-Abkommens unrealistische Erwartungen, die daraus entstanden sind, dass man hier zwei sehr unterschiedliche Abkommen miteinander verglichen hat.

Was hätten beide Parteien bisher im Umgang miteinander besser machen können?

Ich glaube, es wäre von Schweizer Seite aus wichtig gewesen, noch mehr als man es ohnehin gemacht hat, andere gesellschaftliche und politische Akteure – also auch die Parteien – stärker miteinzubeziehen. Um damit das Gefühl zu verstärken, dass das nicht nur ein Abkommen des Bundesrates ist.

Ich glaube auch, man hat zu viel Zeit nach dem Verhandlungsabschluss verstreichen lassen und das hat dazu geführt, dass man das Abkommen mehr und mehr zerredet hat. Zudem hätte die Schweiz durchaus auch die Vorteile und Verhandlungserfolge des Abkommens offensiver verteidigen können. Die Schweizer Seite muss sich definitiv nicht für ihre Verhandlung oder das Ergebnis schämen. Zum Beispiel, dass sie sich im Streitfall von möglichen Massnahmen der EU mit Hilfe fester Verfahren wehren oder mehr als früher an EU-Recht mitwirken kann.



Von EU-Seite gab es substanziell wenig Spielraum. Vielleicht hätte man in der Kommunikation durchaus etwas mehr Verständnis für neuralgische Punkte der Schweiz zeigen können. Man hätte vielleicht auf den ein oder anderen Nadelstich, etwa das Verweigern der Börsenäquivalenz oder Ähnliches, verzichten können. 

Wie können sich die Parteien jetzt noch einigen?

Das wird eine Herausforderung. Man sollte aber die Flinte nicht vorzeitig ins Korn werfen. Man sollte den Dialog suchen. Die Beziehung ist es definitiv wert. Klar ist auch, dass sich beide Seiten bewegen müssen. Die EU hat da nicht mehr so viel Spielraum, aber sie kann im einen oder anderen Aspekt punktuell entgegenkommen. 

Klar ist aber auch: Die Schweiz muss gegenüber der vor einer Woche in Brüssel geäusserten Position weitere Konzessionen machen, wenn es einen erfolgreichen Abschluss geben soll. Ich fände es ausserordentlich schade, wenn man nun nach inzwischen sieben Jahren einfach abbrechen würde. Dafür steht zu viel auf dem Spiel, dafür sind beide Partner füreinander zu wichtig. Deshalb hoffe ich, dass beide Seiten ihr Möglichstes tun, um das Abkommen noch zu retten.