blue News trifft Jürg Grossen «Die Schweizer wollen keine gefangenen Kunden mehr sein»

Von Alex Rudolf und Christian Thumshirn

13.2.2023

«Emil würde super in die GLP passen»

«Emil würde super in die GLP passen»

GLP-Präsident Jürg Grossen beantwortet Fragen der blue Redaktion. Das Lied, welches am besten zu seiner Partei passt, sei eines von Jack Johnson.

09.02.2023

Schafft Jürg Grossens GLP die 10-Prozent-Hürde bei den Wahlen im Oktober, erhebt er Anspruch auf einen Bundesratssitz. Selbst wenn sie damit den Grünen einen Strich durch die Rechnung machen.

Von Alex Rudolf und Christian Thumshirn

13.2.2023

Tourist*innen drängen vom Bahngleis in die wartenden Busse. Allesamt sind sie schwer bepackt mit Ski-Equipment und freuen sich auf die Piste. Nach nur wenigen Minuten sind sie abgerauscht und es bleibt der menschenleere Bahnhof Frutigen mit einem wunderbaren Bergpanorama übrig.

Nach einem zehnminütigen Fussmarsch ins Industriegebiet zum Hauptsitz der Elektroplan Buchs und Grossen AG empfängt der Präsident der Grünliberalen Partei, Jürg Grossen, blue News zum Gespräch.

Herr Grossen, Sie wollen mit der GLP an den Wahlen im Herbst die 10-Prozent-Hürde knacken. Woher kommen die 2,2 Prozent zusätzlicher Wähler*innen, die sie sich erhoffen?

Erfahrungsgemäss begeistern wir viele Neuwähler*innen oder Personen, die sich bislang nicht mit Politik auseinandergesetzt haben. Sie identifizieren sich mit unseren Werten. Zudem kommen auch Wähler*innen zu uns, die mit ihrer bisherigen Stammpartei unzufrieden sind.

Erreicht die GLP neben 10 Prozent Wähleranteil auch mindestens einen Ständeratssitz, erheben Sie Anspruch auf einen Bundesratssitz: Haben nicht die Grünen Vortritt?

Die Grünen haben schon länger einen Bundesratssitz zugute.

Also lassen Sie den Grünen den Vortritt, falls die GLP vor ihr zu einem Bundesratssitz kommt?

blue News trifft

Im Wahljahr 2023 trifft blue News die Präsident*innen der grossen Parteien. Ebenfalls bereis erschienen sind die Gespräche mit SVP-Präsident Marco Chiesa, SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer und Mitte-Präsident Gerhard Pfister. Falls du Fragen an einen der Präsident*innen hast, dann schreibe sie hier in die Kommentarfunktion. Deine Meinung interessiert uns.

Nein, sicher nicht (lacht). Schauen Sie, ein Bundesratssitz entspricht einem Wähleranteil von rund 14 Prozent. Die SP und die FDP werden voraussichtlich bei den Wahlen im Herbst auf einen Wert von rund 15 bis 16 Prozent kommen. Zwei Sitze lassen sich rechnerisch nicht rechtfertigen. Bevor die SP und die FDP einen zweiten Sitz im Bundesrat beanspruchen dürfen, hat die GLP das Anrecht auf einen ersten – das gilt auch für die Grünen.

Und die Zauberformel?

Eine gerechte Verteilung ergäbe zwei Sitze für die SVP und je einen für SP, FDP, Mitte, Grüne und GLP.

Aber die SP und die FDP können auf ausreichend Regierungserfahrung in den Kantonen und Gemeinden zurückblicken. Woher wissen wir, dass die GLP regieren kann?

Personen regieren, nicht Parteien. Der aktuelle Bundesrat ist führungsschwach hinsichtlich Europa- und Energiedossier. In seiner heutigen Besetzung weigert er sich, Verantwortung zu übernehmen.

Kritisieren ist stets einfacher, als es selbst besser zu machen.

Natürlich. Ich bin Unternehmer, habe drei Firmen und präsidiere verschiedene Organisationen – ich weiss, was Führen heisst. Deshalb erlaube ich mir die Kritik am Bundesrat. Dieses Amt ist aber auch sehr anspruchsvoll, das gebe ich zu.

Zur Person
Juerg Grossen, party president of the Green Liberal Party of Switzerland and the Green Libaral Party's national councillor, poses for a photograph against a background in the dominant colour of the party in Bern, Switzerland, on July 1, 2019. (KEYSTONE/Gaetan Bally)

Juerg Grossen, Parteipraesident der Gruenliberalen Partei und GLP-Nationalrat, portraitiert vor einem Hintergrund in der dominierenden Parteifarbe der GLP am 1. Juli 2019 in Bern. (KEYSTONE/Gaetan Bally)
KEYSTONE

Der 53-jährige Jürg Grossen wurde in Frutigen geboren und lebt noch heute im 7000-Seelen-Dorf.  Der Unternehmer mit Elektroplaner-Büro beschäftigt knapp 50 Angestellte und wurde 2011 für die Grünliberalen in den Nationalrat gewählt. Dieses Jahr kandidierte er für den Ständeratssitz des Kantons Bern, der bislang von einer SP- und einer SVP-Vertretung besetzt wurde. Er ist verheiratet und Vater von drei Kindern. (aru)

Politgeograf Michael Hermann nannte die GLP im Gespräch mit blue News noch immer «schwer zu fassen». Sind Sie diesen Vorwurf leid?

Wir befinden uns noch immer in der Entwicklung und überwinden althergebrachte Denkmuster – beispielsweise das Links-Rechts-Schema. Offenbar fällt es auch einem Profi wie Michael Hermann nicht leicht, ausserhalb dieses Musters zu denken.

Ist die Gesellschaft denn bereit dafür?

Die Gesellschaft ist weiter als die Politik – viel weiter. Wer sich mit Politik auseinandersetzt, weiss haargenau, wofür die GLP steht – das war vor zehn Jahren noch nicht der Fall. Dass dies noch nicht bei allen Schweizer*innen angekommen ist, stimmt wohl, da gebe ich Michael Hermann recht.

Bei der GLP gehe es um die Sache, wie Sie stets betonen. Verlieren nun die Grünen, verliert die GLP eine Partnerin in Umwelt-Themen: Bereitet Ihnen das Sorgen?

Ich hoffe nicht, dass die ökologischen Kräfte geschwächt werden – die konservativen Kräfte müssen geschwächt werden, wenn es vorwärtsgehen soll. Dass die Grünen den umfassenden Systemwechsel wollen, halte ich aber für schwierig. Wir können und wollen die Energiewende im marktwirtschaftlichen System schaffen.

Apropos Wirtschaft: Wie besorgniserregend ist der Fachkräftemangel derzeit?

Der Fachkräftemangel ist sehr besorgniserregend. Die Rezepte sind aber klar. Per Anreizsystem müssen wir dafür sorgen, dass Personen in Familien hochprozentiger arbeiten können – beispielsweise mittels externer Kinderbetreuung und der Individualbesteuerung. Aber auch die bessere Integration von Flüchtenden, die ohnehin hier sind, wäre eine Möglichkeit, den Mangel zu mildern.

Sie sprachen sich jüngst für die Ausfuhr von Waffen in die Ukraine aus. Ein Leser von blue News ist dezidiert dagegen, weil Waffen schliesslich der Ursprung des Problems seien. Was sagen Sie ihm?

Dafür habe ich Verständnis, da auch ich gegen den Einsatz von Waffen bin. Konflikte sind aber eine Realität. Vor diesen darf man nicht die Augen verschliessen. Die Schweiz hat eine Armee, die mit Waffen auch aus der eigenen Rüstungsindustrie versorgt werden muss. Lange durften die Waffen fast überallhin exportiert werden, heute zum Glück nicht mehr, etwa bei Menschenrechtsverletzungen. Wird ein demokratisches Land widerrechtlich angegriffen, müssen wir zumindest darüber diskutieren, ob wir Schutzgüter oder in einem weiteren Schritt Waffen liefern, damit es sich angemessen zur Wehr setzen kann.

Die SVP übernimmt mit ihrem Referendum gegen das Klimagesetz gerade das Ruder beim Thema Energieversorgung – besorgt Sie das?

Nein, ich bin sicher, dass die Schweiz das Klimagesetz annehmen wird.

Wie behält das Stimmvolk den Überblick, wenn Sie sagen, der Strom reiche für den Winter, und die SVP behauptet das Gegenteil?

Es gab schon immer unterschiedliche Positionen, aber wer sich informiert, erkennt, dass sich die Fachleute einig sind und wir die Versorgung auch während der Wintermonate sicherstellen können. Dabei sollte die Solarenergie im Fokus stehen, denn das Potenzial für die Strom-Produktion ist hier dreimal so hoch wie die heutige Produktion der AKW.

Also alles kein Problem?

Die Winterversorgung ist eine Herausforderung, weshalb ich die Bedenken der SVP bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen kann. Sie ist aber lösbar. Der Schlüssel liegt im besseren Management der Speicherseen, sowie in neuen Technologien wie Power-to-X. Überschüssiger Strom kann damit im Sommer in synthetischen Brennstoff umgewandelt werden, damit er im Winter bei Bedarf wieder in Strom umgewandelt werden kann.

Ohne Liberalisierung des Schweizer Strommarkts kein Stromabkommen mit der EU: Sind Sie dafür oder dagegen?

Wir sind klar für eine Liberalisierung, aber wir sollten damit noch warten. In der kommenden Session behandelt der Nationalrat ein Gesetz, das eine Teilliberalisierung vorsieht, bei der man Quartier- oder Ortsstrom frei handeln kann. Das ist ein kleiner, aber wichtiger Schritt. Eine Vollliberalisierung könnte jedoch die gesamte Vorlage zum Absturz bringen, das wollen wir nicht riskieren.

Besonders bei den Linken ist Skepsis vorhanden.

Ich bin überzeugt: Die Schweizer*innen wollen ihren Stromanbieter letztlich selbst aussuchen und keine gefangenen Kund*innen mit teils enorm hohen Stromrechnungen mehr sein. Ideal ist, wenn der Strom vom eigenen Dach kommt. Wenn das nicht geht, zumindest aus der eigenen Ortschaft – was auch günstiger wäre.

Nur wenige Tage nach seinem Amtsantritt verkündete Energieminister Albert Rösti, dass er Subventionen für eine längere Nutzung der Atomkraftwerke in Betracht zieht. Ihre Meinung?

Ich kenne Albert Rösti schon lange, daher war es keine Überraschung. Der Weiterbetrieb der AKW hängt davon ab, wie rasch wir die erneuerbaren Energien ausbauen. Bleibt der Strom weiterhin teuer, können die AKW-Betreiber den Weiterbetrieb problemlos selbst finanzieren. Daher trifft der Bundesrat den komplett falschen Zeitpunkt mit diesem Vorhaben.

Und was, wenn nicht ausreichend erneuerbarer Strom vorhanden ist, wenn die AKW an ihrem Lebensende angekommen sind?

Das würde sich frühestens in zehn Jahren abzeichnen und müsste auch erst dann diskutiert werden. Neue AKW braucht es aber sicher nicht.

Themenwechsel: Sie wollen, dass der Bundesrat Verhandlungen für einen EWR-Beitritt wieder aufnimmt. Was erhoffen Sie sich davon?

Für intakte Beziehungen mit der EU, unserem wichtigsten Wirtschaftspartner, wäre das institutionelle Rahmenabkommen der beste Weg gewesen. Diesen Weg wird der Bundesrat wohl nicht mehr beschreiten wollen, nachdem er die Verhandlungen abrupt abgebrochen hat. Ein Beitritt zum EWR ist unserer Auffassung nach die beste Alternative, weil ihn die Schweiz mitverhandelt hat. Den Mitgliedstaaten Norwegen, Island und Liechtenstein geht es hervorragend.

Warum würde der Beitritt heute an der Urne durchkommen?

Die Bilateralen erodieren sukzessive, das sieht man überall – in der Forschung, der Bildung, der Wirtschaft. Unternehmen bauen nun Ableger in der EU, damit sie auch dort einen Standort und somit Marktzutritt haben. Der Schweiz gehen damit Arbeitsplätze verloren.

Sind solche Forderungen für die GLP einfacher, da sie nicht in der Regierung sitzt?

Wären wir im Bundesrat, würden wir den EWR-Beitritt genau gleich fordern. Unser/e Vertreter*in im Bundesrat hätte sich auch vehement gegen den Verhandlungsstopp zum Rahmenabkommen gewehrt.

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