blue News trifft Mattea Meyer «Der Bundesrat steht überall auf der Bremse»

Von Gil Bieler, Bern, Adrian Kammer und Roman Müller (Video)

21.3.2023

5 Fragen an Mattea Meyer

5 Fragen an Mattea Meyer

Superkräfte, der nervigste Aspekt des Parteialltags und Schulschwächen: SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer beantwortet fünf rasche Fragen.

17.03.2023

Sie verteidigt Bundesrat Alain Berset, fordert eine 13. AHV-Rente, will die Pensionskassen-Reform bodigen und die Waffenweitergabe an die Ukraine ermöglichen: SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer hat im Wahljahr viel vor.

Von Gil Bieler, Bern, Adrian Kammer und Roman Müller (Video)

21.3.2023

«Wollen wir kurz nach unten?» In der Frühjahrssession im Bundeshaus läuft die dritte und letzte Woche, und Mattea Meyer scheint nicht unglücklich, den Nationalratssaal zwischendurch einmal verlassen zu können.

Sie dirigiert den Journalisten über die Treppe, einen Stock nach unten und ins Café Galerie des Alpes, wo sich die SP-Co-Präsidentin einen koffeinfreien Cappuccino bestellt. Mit der Bedienung plaudert die 35-Jährige noch etwas, man ist per Du. Dann kann das Interview beginnen.

Frau Meyer, FDP-Parteichef Thierry Burkart will die SP bei den Wahlen im Oktober überholen. Müssen Sie zittern?

Da hat sich die FDP ein sportliches Ziel gesetzt. Ich bin überzeugt, dass die SP die zweitstärkste Partei bleiben wird. Aber ehrlich gesagt finde ich dieses Ranking auch nicht am relevantesten. Wichtiger ist, dass wir Antworten auf die Probleme der Menschen finden.

Trotzdem müssen Sie Wahlziele haben. Wie sehen die aus?

blue News trifft

Im Wahljahr 2023 trifft blue News in einer losen Serie die Präsident*innen der grossen Parteien. Bereits erschienen sind die Gespräche mit SVP-Präsident Marco Chiesa , mit GLP-Präsident Jürg Grossen und mit Mitte-Präsident Gerhard Pfister. Falls du Fragen an einen der Präsident*innen hast, dann schreibe sie hier in die Kommentarfunktion. Deine Meinung interessiert uns.

Wir wollen natürlich dazugewinnen, das Ergebnis der letzten Wahlen mit 16,8 Prozent Stimmenanteil ist nicht zufriedenstellend. Mich stimmt optimistisch, dass wir erst gerade bei den Wahlen in Zürich einen Sitz im Kantonsparlament hinzugewinnen konnten. Und wir wollen im Ständerat unsere Sitze halten. Wenn man sieht, welch unsozialen Kurs der Ständerat in den letzten Jahren zum Beispiel bei der Prämienentlastung oder dem Teuerungsausgleich auf Renten gefahren ist, müssen wir da als soziale Kraft zulegen.

Auf Bundesebene gab es zuletzt einige Dämpfer. Die SP wollte es anderen Ländern unter gewissen Bedingungen erlauben, Schweizer Waffen an die Ukraine weiterzugeben. Der Nationalrat hat dieses Ansinnen aber zerpflückt. Wie gross ist der Frust?

Ich bin enttäuscht. Wir haben gemeinsam mit der FDP einen Weg gesucht, der die Wiederausfuhr von Schweizer Waffen in spezifischen Einzelfällen erlaubt. Doch die FDP ist im letzten Moment abgesprungen. Dabei wäre die Waffenweitergabe ein kleiner Beitrag, um der Ukraine in ihrem Recht auf Selbstverteidigung beizustehen. Wir werden weiterhin versuchen, mit der FDP, GLP und der Mitte einen Weg zu finden.

Die Grünen stellen sich generell gegen Waffenlieferungen an Kriegsparteien. Gibt es in der SP keine solchen Bedenken?

Wir haben als Partei lange Diskussionen hinter uns. Ich verstehe Menschen, die ganz grundsätzlich gegen jegliche Waffenlieferungen sind. Ich gehöre aber zu einer Mehrheit innerhalb der SP, die Ausnahmen wollen für einen Fall wie jenen der Ukraine, die völkerrechtswidrig angegriffen wurde und sich verteidigen muss. Die Schweiz sollte hier zumindest anderen Ländern keine Steine in den Weg legen.

Auch der Bundesrat verwehrt sich gegen jegliche Ausnahmen, weil das gegen die Neutralität verstosse.

Zur Person
Cedric Wermuth, links, und Mattea Meyer, Co-Praesidium der SP Schweiz, posieren fuer eine Portraitaufnahme am 29. Oktober 2020 im Progr in Bern. (KEYSTONE/Christian Beutler)
Keystone

Mattea Meyer leitet seit Oktober 2020 die SP Schweiz im Co-Präsidium mit Cédric Wermuth. Die 35-Jährige absolvierte die klassische Ochsentour der Schweizer Politik: 2010 Wahl in den Gemeinderat ihrer Heimatstadt Winterthur, 2011 in den Zürcher Kantonsrat, 2015 in den Nationalrat, wo sie der Kommission für Soziales und Gesundheit angehört. Meyer ist Mutter zweier Kinder.

Ich habe das Gefühl, der Bundesrat versteckt sich hinter einer veralteten Vorstellung der Neutralität. Aber selbst wenn er keine Möglichkeit sieht, die Weitergabe von Waffen zuzulassen, müsste er wenigstens in anderen Bereichen vorwärtsmachen. Doch er steht überall auf der Bremse: Die internationalen Sanktionen werden nur lasch umgesetzt, im für Russland so wichtigen Rohstoffhandel passiert gar nichts, die Schweiz ist auch nicht das grosszügigste Unterstützerland der Ukraine. Sie könnte sich für einen Schuldenschnitt für die Ukraine einsetzen, doch auch das passiert nicht.

Gerade SP-Bundesrat Alain Berset machte zuletzt eine schlechte Falle, weil er in Unterstützerkreisen der Ukraine einen «Kriegsrausch» ausmachen wollte. Nach heftiger Kritik – auch aus der SP – ruderte er zurück. Mussten Sie stark auf ihn einwirken?

Nein. Ich bin aber froh, hat er Klarheit geschaffen. Schon im Original-Interview kam ja zur Geltung, dass Alain Berset – genau wie die SP – den Angriffskrieg von Putin aufs Schärfste verurteilt. Wenn jemand einen Kriegsrausch hat, dann ist das Putin.

Berset macht nicht zum ersten Mal Negativ-Schlagzeilen. Wird er im Wahljahr zur Belastung für Ihre Partei?

Alain Berset ist und bleibt ein guter Bundesrat, gerade für die sozial schwächsten Menschen im Land. Er hat sich dafür eingesetzt, dass wir gut durch die Covid-Pandemie gekommen sind, und er setzt sich für eine tiefere Prämienlast ein. Ich freue mich daher, dass wir weiterhin auf seine gute Arbeit zählen dürfen.

Mattea Meyer: «Bin froh, konnte Alain Berset Klarheit schaffen»

Mattea Meyer: «Bin froh, konnte Alain Berset Klarheit schaffen»

Nach Kritik selbst aus der eigenen Partei erklärt sich Alain Berset: Mit dem «Kriegsrausch» habe er sich in der Wortwahl vergriffen. Ist das Thema für die SP damit erledigt? blue News fragt Co-Präsidentin Mattea Meyer.

15.03.2023

National- und Ständerat haben sehr lange um eine Reform der Pensionskasse gerungen. Die SP ist aber unzufrieden und droht mit dem Referendum. Wo bleibt Ihre Kompromissbereitschaft?

Das Ziel dieser Vorlage war es, die Renten zu sichern. Und: Die Rente für Menschen mit tiefen Einkommen – insbesondere Frauen, die häufiger Teilzeit arbeiten – zu verbessern. Die SP stellte sich darum hinter den Kompromissvorschlag der Sozialpartner, mit dem dies erreicht worden wäre. Doch im Parlament nahmen die bürgerlichen Parteien das Heft in die Hand und schufen eine Vorlage, die zum Teil nicht einmal mehr bürgerliche Wirtschaftsverbände unterstützen. Selbst Bauernverband und Gastrosuisse sagen: Das ist viel zu teuer. Wenn wir alle mehr einzahlen müssen, aber viele eine schlechtere Rente erhalten – dem kann ich doch nicht zustimmen.

Die Frauenvereinigung Alliance F kann der Vorlage etwas abgewinnen, weil damit vielen Frauen geholfen würde. Hat Alliance F etwa falsch gerechnet?

Die Zahlen zeigen etwas anderes. Wenn eine 50-jährige Frau, die Teilzeit in der Pflege arbeitet, künftig 150 Franken mehr Lohnbeiträge leisten soll, damit sie am Ende acht Franken weniger Rente bekommt, dann haben wir nicht für diese Frau gesorgt. Und solche Beispiele gibt es viele.

Dann ist Ihre Position: Sozialpartnerkompromiss oder gar nichts?

Wir hätten auch für einen abgestuften Rentenzuschlag gestimmt, dass also jene mit den höchsten Renten keinen Zuschlag bekommen. Die SP hat auch vorgeschlagen, Kinder- und Betreuungsgutschriften in der zweiten Säule einzuführen. Diese Massnahme hat die Gleichstellung bei der AHV massiv verbessert. Doch auch dafür waren die Bürgerlichen nicht zu haben.

Stattdessen kämpft die SP für eine 13. AHV-Rente. Kritiker*innen lehnen dies wegen des Giesskannenprinzips ab: Es würden auch jene profitieren, die finanziell gut abgesichert sind. Wäre das für Sie kein Problem?

Zunächst einmal muss man sehen, dass die AHV das viel effizientere Altersvorsorgesystem ist als die Pensionskasse. 92 Prozent aller Leute erhalten mehr AHV-Renten ausbezahlt, als sie einbezahlen. Das heisst: Wenn man die Kaufkraft stärken will, muss man die erste Säule stärken. Wir hätten auch Hand geboten für einen Gegenvorschlag, bei dem nur die einkommensschwächeren Rentner*innen eine 13. AHV-Rente erhalten hätten. Doch auch darauf gingen die Bürgerlichen nicht ein.

Laut Zahlen des Bundes beziehen nur 12,5 Prozent aller AHV-Rentner*innen überhaupt Ergänzungsleistungen. Braucht es da wirklich eine flächendeckende Rentenerhöhung?

Wer Ergänzungsleistungen bekommt, lebt von 3000 Franken im Monat. Da muss man sich schon massiv einschränken im Alltag. Natürlich gibt es reiche Rentnerinnen und Rentner, aber eben auch ganz viele andere. Wenn Krankenkassenprämien und Mietkosten steigen und die Teuerung hinzukommt, verlieren sie bis 2024 eine ganze Monatsmiete. Eben weil sie steigende Kosten haben, aber stagnierende Einnahmen. Da müssen wir ansetzen. Wer ein Leben lang gearbeitet hat, soll würdevoll alt werden dürfen. Mit der 13. AHV-Rente wird die Kaufkraft der Menschen gestärkt.

Sie wollen auch in einem anderen Bereich das Referendum ergreifen, nämlich im Mietrecht: Dort hat der Nationalrat gerade die Rechte der Vermieter gestärkt. Wird die SP zur Neinsager-Partei?

Ich wünschte, wir müssten nicht so oft das Referendum bemühen. Das ist ein anstrengender Weg, aber der richtige. Wir dürfen nicht zuschauen, wie Immobilienkonzerne Mieterinnen und Mieter weiter abzocken. Alle haben das Recht auf ein bezahlbares Dach über dem Kopf.

Am SP-Parteitag beschlossen die Delegierten die Nein-Parole zur OECD-Mindeststeuer, obwohl die Parteileitung für Stimmfreigabe plädiert hatte. Haben Sie die Basis nicht im Griff?

Die SP hat seit Jahrzehnten dafür gekämpft, dass es auf internationaler Ebene eine Harmonisierung der Konzernsteuern gibt. Die Mindeststeuer ist also ein Riesenerfolg. Gleichzeitig haben wir im Parlament deren Umsetzung in der Schweiz kritisiert, denn das zusätzliche Steuergeld käme nur wenigen Kantonen zugute – namentlich Basel-Stadt und Zug. Ich kann darum auch gut hinter diesem Nein stehen, und bin überzeugt: Wir können das besser. Nach einem Volks-Nein können wir im Parlament unverzüglich damit loslegen, eine gerechtere Vorlage auszuarbeiten, bei der das Geld den Menschen zugutekommt, zum Beispiel mit Investitionen in Kitas. Die Vorschläge liegen auf dem Tisch.

Trotzdem müssen Sie der Bevölkerung erst einmal erklären, dass ausgerechnet die SP gegen höhere Konzernsteuern ist. Das klingt nach einem Spagat.

Wir sind nicht gegen die Mindeststeuer, aber gegen die ungerechte Umsetzung. Wir müssen immer wieder solche Kunststücke vollbringen in der Politik, dafür sind wir ja gewählt. Aber ich glaube, wir können unsere Überlegungen gut kommunizieren. Bisher ist es der SP gemeinsam mit dem Stimmvolk noch jedes Mal gelungen, eine Steuervorlage zu kippen. Aber klar, das wird kein Spaziergang.

Die SVP ihrerseits will nach dem CO2-Gesetz jetzt auch das Klimaschutzgesetz bodigen. Was müssen die anderen Parteien diesmal besser machen, um zu reüssieren?

Einen Plan B gibt es nicht. Die Klimakrise schreitet voran, darum müssen wir wirklich gewinnen. Das Klimaschutzgesetz ist ein Schritt in die richtige Richtung. Unternehmen werden damit unterstützt, klimafreundlicher zu werden. Aber auch den Menschen wird geholfen, ihre alte Öl- oder Gasheizung durch eine erneuerbare Technologie zu ersetzen.

Die Ausgangslage klingt nicht gross anders als letztes Mal, dennoch hat das Kosten-Argument der SVP damals gestochen. Die Partei warnt auch beim Klimagesetz vor Mehrkosten für die Haushalte.

Beim CO2-Gesetz kamen verschiedene Argumente zusammen, ob wirklich die richtigen zur Kasse gebeten würden. Beim Klimaschutzgesetz geht es dagegen darum, öffentliche Gelder für Hauseigentümerinnen und Hauseigentümer, aber auch für Firmen bereitzustellen. Ich bin zuversichtlich, dass wir hier eine breite Allianz hinbekommen von links bis zur Economiesuisse und FDP. Ausserdem haben wir auch SVP-Bundesrat Albert Rösti auf unserer Seite, der sich dafür einsetzen wird.

Auch die Zuwanderung gibt im Wahljahr zu reden. Die SVP warnt vor einer 10-Millionen-Schweiz. Bereitet Ihnen dieses Szenario auch Bauchschmerzen?

Die SVP hat mit den gleichen Argumenten schon vor einer 8-Millionen-Schweiz gewarnt. Mittlerweile haben wir diese Schwelle übertreten und ich habe nicht das Gefühl, dass es uns schlechter gehe. In der Gastronomie, auf dem Bau, in der Pflege liefe ohne zugewanderte Menschen überhaupt nichts. Es ist darum eine scheinheilige Debatte. Die SVP versucht mit ihrer Sündenbock-Politik davon abzulenken, dass sie keine Antworten auf andere Probleme hat.

Aber die SVP hat einen Punkt: Die Zuwanderung in die Schweiz ist wesentlich höher als ins benachbarte Ausland. Innert 20 Jahren wuchs die Bevölkerung um 20 Prozent. Alles kein Problem?

Zuwanderung zeigt ja auch: Uns geht’s gut. Hier gibt es Arbeit, hier wollen die Menschen leben. Das ist doch eine bessere Situation als zum Beispiel in Ostdeutschland, wo es eine massive Abwanderung gibt. Kommt hinzu, dass die Personenfreizügigkeit eine soziale Errungenschaft ist: Früher hatten Zugewanderte keine sozialen Rechte. Es gab vor Restaurants Schilder «Für Hunde und Italiener verboten». Schrecklich.

Sie sind im Oktober 2022 mit Ihrem Co-Parteipräsidenten Cédric Wermuth unter die Podcaster gegangen. Sind Sie zufrieden mit der Resonanz?

Es macht grossen Spass, jeden Montagmorgen zusammenzusitzen und den Menschen einen Blick hinter die Kulissen des Politikbetriebs zu bieten. Zu erklären, aus welchen Überlegungen wir zu unserer Haltung kommen. Ich werde an fast jeder Veranstaltung auf den Podcast angesprochen. So wollen wir weitermachen.

Wenn einmal die Zeit knapp ist: Hören Sie lieber einen Podcast oder lesen Sie ein Buch?

Wenn ich jogge, höre ich eher einen Podcast. Wenn ich Ferien habe, lese ich lieber ein Buch. Und wenn ich abends einfach das Hirn abschalten will, ist es eine Serie im Fernsehen.

SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer spricht an einer Medienkonferenz im Jahr 2022 in Bern.
SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer spricht an einer Medienkonferenz im Jahr 2022 in Bern.
Bild: Keystone/Anthony Annex

Deine Meinung interessiert uns

Wo hat die SP-Co-Präsidentin recht, wo liegt sie daneben? Schreib einen Kommentar zum Thema.