Flüchtlingskrise Nutzte Schweizer Rechter Verhaftung, um an Spenden zu kommen?

Von Jennifer Furer

9.3.2020

Der Ostschweizer Ignaz Bearth will in der Türkei verhaftet worden sein.
Der Ostschweizer Ignaz Bearth will in der Türkei verhaftet worden sein.
Keystone

Der Schweizer Rechtspopulist Ignaz Bearth behauptet, in der Türkei verhaftet worden zu sein. Gleichzeitig bitten er und seine Verlobte um Spenden. Die Behörden bestätigen inzwischen eine Verhaftung.

Die Flüchtlingskrise in Griechenland wird derzeit von Rechtsextremen genutzt, um Stimmung gegen Migrantinnen und Migranten zu machen. Eine kleine Gruppe der Identitären Bewegung ist sogar in die Region gereist, um die «europäischen Aussengrenzen zu verteidigen.»

Unter den Griechenland-Reisenden der Identitären Bewegung soll auch der Ostschweizer Ignaz Bearth gewesen sein.

Bearth war Mitglied der rechtsnationalen Partei National Orientierter Schweizer (PNOS) und Präsident der Direktdemokratischen Partei Schweiz – sie fusionierte im Juni 2017 mit der PNOS. Zudem ist er Gründer des Schweizer Pegida-Ablegers. Nach einem Streit mit dem deutschen Pegida-Chef Lutz Bachmann wurde Bearth jedoch aus der Bewegung ausgeschlossen.



In Videos berichtete Bearth von der türkisch-griechischen Grenze. Verantwortlich für die aktuelle Lage machen der Rechtspopulist und Gleichgesinnte den türkischen Präsidenten Recep Erdogan. «Erdogan bedroht uns mit der Migrationswaffe», behaupten die Rechtsextremen in einem Flyer.

Erdogan beleidigt?

Nur zwei Tage soll Bearth, der unter Rechtsextremen als unabhängiger Journalist gefeiert wird, aus der Türkei und Griechenland berichtet haben. Denn: Laut seiner Verlobten und einem politisch gleichgesinnten Kollegen soll Bearth am Freitag in der türkischen Stadt Edirne in einem Hotel von türkischen Polizisten festgenommen worden sein. Der angebliche Grund: Bearth habe Erdogan beleidigt.

Die Verlobte berichtete am Samstag unter Tränen in einem Video, dass Bearth sie aus der Haft angerufen und ihr von der Verhaftung erzählt habe. Seitdem habe sie nichts mehr von ihm gehört. Bearths Handy soll von der türkischen Polizei beschlagnahmt worden sein. Die Schweizer Botschaft habe ihr gesagt, dass die türkische Polizei jemanden bis zu 72 Stunden festhalten kann.



Die Frau bittet mit hilfloser Stimme um Unterstützung – in Form von Spenden. Diese bräuchte sie für den Anwalt, einen Dolmetscher – und um den Verlobten «rauszuholen.» Einzahlungen sollen auf das Paypal-Konto von ihr oder Bearth vorgenommen werden.

Unter einigen Zuschauern der Live-Videos breitet sich Skepsis aus. «Spenden können ihm jetzt auch nicht helfen», schreibt ein User. Jener Kollege der Verlobten, der im Video zugeschaltet worden ist, antwortet, dass sie aber die Anwaltskosten tragen würden.

Auch politische Gegner von Bearth hinterfragen den Spendenaufruf. Sie zweifeln gar an der Geschichte, dass der Ostschweizer überhaupt festgenommen worden sei. Sie werfen auf den sozialen Medien der Verlobten, Bearth und dem Gleichgesinnten vor, diese Geschichte nur zu erzählen, um an Geld zu kommen.

Bearth wieder in der Schweiz

Ihre Annahme begründen sie damit, dass erstens keine Bilder der Festnahme im Hotel vorhanden seien, obwohl Bearths Kollegen anwesend gewesen sein sollen. Zweitens finden sie die Tatsache ominös, dass die Verlobte bereits am Samstag gewusst haben soll, dass Bearth freigelassen und nach Bulgarien abgeschoben werde, wie sie auf einer Facebook-Seite schreiben.

Am Sonntagabend wird bekannt, dass sich Ignaz Bearth bereits wieder in der Schweiz befindet. In einem Live-Video wendet er sich an seine Zuschauer und erzählt ihnen von seinen angeblichen Erlebnissen.



Gleichzeitig sind aber sowohl auf dem Telegram-Account seiner Verlobten wie auch von Bearth Spendenaufrufe als letzte Einträge zu finden – obwohl der Rechtspopulist auf freiem Fuss und wieder zu Hause ist und die Geldspenden im Kontext seiner mutmasslichen Verhaftung in diesem Moment also gar nicht mehr benötigt würden.

Die Verlobte von Bearth kommentiert zwar im Live-Video, ihre Einnahmen den Spendern zurückzahlen zu wollen. Doch viele wollen das gar nicht: «Sollte ich die Spenden zurückbekommen, werde ich das Doppelte wieder spenden», schreibt eine Userin etwa. Eine andere Userin: «Behalt das Geld und verwende es für weitere Aktionen.»

Zweifel an Haftgeschichte

Die Spendenaktion – die laut einem Rechtspopulisten bis zu 25'000 Euro eingebracht haben soll –, stösst nicht nur politischen Gegnern sauer auf, sie spaltet nach der angeblichen Freilassung auch die Rechtspopulisten.

Mittlerweile hegen auch sie Zweifel, ob Bearth wirklich in Haft gewesen ist. «Denke, der war nicht in Haft. Es ist unglaubwürdig, dass er so schnell aus dem Knast raus ist», schreibt einer auf Facebook. Ein anderer: «Das ist ein PR-Gag gewesen, um an Kohle zu kommen.» Ein User spricht gar von «der grössten Patriotenbetrügerei aller Zeiten.»

Doch das Eidgenössische Departement für Auswärtige Angelegenheiten (EDA) konnte eine Festnahme auf Anfrage von «Bluewin» bestätigen: «Das EDA kann bestätigen, dass ein Schweizer Staatsbürger an diesem Wochenende in der Türkei in Untersuchungshaft genommen wurde. Seitdem hat er die Türkei verlassen.»

Weder Bearth noch seine Verlobte oder der Kollege der beiden haben sich auf Nachfrage von «Bluewin» zur Sache und den Vorwürfen geäussert. Bearth sagte am Sonntagabend im Live-Video, dass die Kritiker vom Merkel-Regime geschickt worden seien, um ihn bei der Rettung Europas aufzuhalten. 

Am Montag postete Bearth ein Foto eines Dokuments, das vom türkischen Innenministerium ausgestellt worden sein und einen Abschiebebefehl darstellen soll. Dazu schreibt er: «Innerhalb von 30 Stunden wurde ich aus der Türkei abgeschoben, weil ich die Wahrheit berichtet habe.» Bearth hat nur ein Teil des Dokumentes fotografiert. Ob er tatsächlich in Haft war und wie der Ablauf seiner mutmasslichen Abschiebung genau verlaufen sein soll, bleibt offen.

Italienreise mit Spenden

Bereits früher waren Vorwürfe gegen die Bearth, seine Verlobte und dem gleichgesinnten Kollegen, der bei der Spendenaktion mitgewirkt haben soll, erhoben worden, weil sie nach Spendenaufrufen das Geld anders investiert haben sollen als angekündigt und somit ihre Community getäuscht hätten. Bearth und seine Verlobte sollen beispielsweise um Spenden gebeten haben, um die Plattform YouTube zu verklagen. Geschehen sei dies aber nie, wie die Verlobte selbst in einem Video bestätigt.

In einem Videostatement sagte die Verlobte, dass die Summe zwischen 20'000 und 40'000 Euro betragen würde, und dies könne der Spendencommunity nicht zugemutet werden. Bearth werde das bisher gespendete Geld – etwa 1'000 Euro – für eine Reise nach Italien nehmen – sie werde vielleicht auch mitgehen. Für die Reise bittet die Verlobte um weitere Einzahlungen. «Nein, das ist keine Bettelei. Aber ihr wisst, der ganze Widerstand, den müssen wir selbst bezahlen … Wir sind eine Familie … Da muss man eben zusammenhalten.»

Auch der Gleichgesinnte, der zusammen mit Bearth und seiner Verlobten um Spenden gebeten hat, soll Spender getäuscht haben. Ende letzten Jahres soll er für ein Kinderhospiz Geld gesammelt haben. Nachdem die Leute gespendet hatten, verkündete der Mann, dass das Hospiz die Spenden nicht annehmen wolle.

Das Geld soll darauf an die sogenannte Brückenküche übergegangen sein. Dort engagieren sich bekannte Neonazis und mutmassliche Kollegen des Spendensammlers.

Für Ignaz Bearth, seine Verlobte und den Kollegen der Beiden gilt die Unschuldsvermutung. 

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