Kritik nach Mai-Krawallen «Es braucht drakonische Strafen» – «Die Leute waren grundlos eingekesselt»

Von Celina Euchner und Andreas Fischer

2.5.2023

Tausende an der 1. Mai-Kundgebung in Zürich

Tausende an der 1. Mai-Kundgebung in Zürich

Am Tag der Arbeit vom 1. Mai gelten die Manifestationen der Ungleichheit sowie der Sicherung von Löhnen und Renten. Landesweit sind über 50 Mai-Feiern geplant. In Zürich steht die 1. Mai-Kundgebung im Zeichen der iranischen Bewegung «Frau, Leben, Freiheit». Tausende ziehen am Montag durch die Innenstadt.

01.05.2023

Eingeschlagene Scheiben, beschmierte Wände, Krawalle: Der 1. Mai lief in der Schweiz nicht überall friedlich ab. Harsche Kritik gibt es nicht nur für Randalierer in Zürich, sondern auch für die Polizei in Basel. 

Von Celina Euchner und Andreas Fischer

2.5.2023

Die Polizei zeigte sich im Nachgang zufrieden mit dem 1. Mai: Man habe die Lage insgesamt im Griff gehabt. Dabei kam es vor allem in Zürich und Basel einmal mehr zu Auseinandersetzungen zwischen Demonstrierenden und Polizei.

In Zürich hatte es während des offiziellen Umzugs Farbanschläge und Sachbeschädigungen gegeben, es sei aber insgesamt friedlich geblieben. Erst später eskalierte die Lage während einer unbewilligten Demonstration: In der Folge setzte die Polizei Wasserwerfer und Tränengas ein.

Ein Einsatz, den Matthias Müller, «als völlig angemessen» empfand. Der Präsident der Jungfreisinnigen Schweiz sagte im Gespräch mit blue News: «Die Polizei ist da, um die Gesetze zu vollziehen und Ordnung zu schaffen. Sie muss den Rechtsbrechern erfolgreich das Handwerk legen.»

Er habe zwar an keiner Demonstration teilgenommen, aber nach eigenen Angaben die «Gewaltexzesse miterlebt. Ich war vor Ort an der Bahnhofsstrasse und habe die zerschlagenen Fensterscheiben bei der Raiffeisen und den besprayten Schokoladenladen mit eigenen Augen ansehen müssen.»

Den 1. Mai abschaffen will Matthias Müller aber nicht gleich: «Nein, man soll friedlich demonstrieren können. Ich habe nichts gegen Demos an sich, fast alle sind friedlich unterwegs. Aber die Randalierer kommen jedes Jahr wieder. Das geht nicht. Aber die Polizei lernt dazu, und sie hat es dieses Jahr gut gemacht.»

«Personen in den Schlüsselpositionen sind überfordert»

In Basel hingegen sperrte die Polizei mit einem massiven Aufgebot die bewilligte Demonstrationsroute schon wenige hundert Meter nach ihrem Start ab. Sie kesselte rund 70 Teilnehmende an der Spitze des Zugs ein – für Grünen-Nationalrätin Sibel Arlsan ein «ganz klar unverhältnismässiges Vorgehen. «Es gab überhaupt keinen Grund bei einer friedlichen und bewilligten Demonstration mit einer solchen Polizeipräsenz vor Ort zu sein – mit Helikoptern und Wasserwerfen, die aus anderen Städten geholt worden sind. Das alles mit dem Argument, es könnte etwas passieren.»», sagte sie zu blue News.

Für Arslan ist klar: «Wenn die Polizeileitung wegen der hypothetischen Annahme eines Zwischenfalls präventiv die Grundrechte beschneidet und das Verhältnismässigkeitsprinzip nicht achtet, dann sind die Personen in den Schlüsselpositionen in ihrer Funktion wahrscheinlich überfordert. Ich bedauere sehr, dass es anscheinend nur noch um Machtdemonstration ging – es war letztlich als Verantwortliche auch gegenüber den Polizist:innen untragbar, sie stundenlang in 20 Kilo schwerer Montur rumstehen zu lassen.»

Die Nationalrätin lädt die Bürgerlichen «herzlich ein, an Demonstrationen teilzunehmen, um sich ein Bild davon zu machen, worum es dabei überhaupt geht. Das machen sie aber nicht, sondern sprechen lieber nur über die Polizeieinsätze: wohl weil es einfacher ist, als sich mit den Inhalten der Demonstrierenden auseinanderzusetzen und sich ein Bild vor Ort zu machen.»

Grünen-Nationalrätin nimmt Bürgerliche in die Pflicht

Der Zürcher Matthias Müller findet, man müsse «diese Leute, die Randalierer, dingfest machen. Es darf nicht jedes Jahr zu Gewalt und Sachbeschädigungen kommen.» 

Dem Jungfreisinnigen ist wichtig, dass «unsere Gesetze eingehalten und durchgesetzt werden. Gegebenenfalls muss man die Stafrahmen erhöhen. Statt Bussen und Geldstrafen sind für die Rechtsbrecher und Randalierer Freiheitsstrafen einzusetzen.»

Sibel Arslan ist völlig anderer Meinung: «In diesem Sinne machen es sich die Rechten und Bürgerlichen einfach. Sie übernehmen keine Verantwortung und fragen sich gar nicht erst, warum die Bürgerinnen und Bürger überhaupt so wütend sind.»

Arslan sieht im massiven Polizeieinsatz in Basel ein Zeichen für schwindende Toleranz in der Gesellschaft: «Leider diskutieren wir nicht mehr, weshalb so viele Menschen demonstrieren. Statt gemeinsam nach Lösungen für eine faire und gerechte Arbeitswelt zu suchen, werden die Menschen (auf der Strasse) in ihrer Meinungsäusserungs- und Versammlungsfreiheit eingeschränkt.»

Im Nachhinein einen Grund gefunden

Bei der Einkesselung in Basel hat Sibel Arslan versucht, zwischen der Polizei und den Demonstrierenden zu schlichten. Geklappt hat das allerdings nicht: «Weil das Kind schon in den Brunnen gefallen war. Wir konnten nur noch dafür sorgen, dass die Situation nicht verschlimmert und noch mehr eskaliert. Die Polizei hat sich leider nicht an das eigene 3-D-Prinzip gehalten: zuerst Dialog, Deeskalation und erst dann Durchgreifen», so ihre Darstellung.

«Die Polizei hat in eine bewilligte friedliche Demonstration ohne Grund eingegriffen, hat Menschen, Kinder, Demonstranten und Passanten völlig unbegründet eingekesselt und hat bei ihnen Personenkontrollen durchgeführt» berichtet Arslan.

«Am Ende hiess es, dass im Demonstrationszug einzelne wenige Leute waren, die sich vermummt hatten: Im Nachhinein einen Grund zu finden, halte ich demokratietechnisch für sehr problematisch. Wobei zu ergänzen ist, dass Vermummung eine Übertretung wie das Falschparkieren ist und einen massiven Eingriff in Grundrechte nicht begründen würde.»

Zwar habe die Polizei eine alternative Route für den Demo-Zug angeboten, dies wurde aber abgelehnt. «Auch wenn wir die Demonstrierenden auf die alternative Route hingewiesen haben, wollten sie solidarisch bleiben: Sie wollten die eingekesselten Menschen, nicht allein lassen. Später wurde sogar das Fest mit Essensständen dorthin verlegt und die Menschen haben 7 Stunden auf die eingekesselten Menschen gewartet», so Arslan.

«Die Meinungsäusserungsfreiheit wurde am 1. Mai in Basel für sehr viele Menschen seitens der Staatsgewalt beschnitten», übt die Nationalrätin deutliche Kritik. «Dafür gab es keinerlei Grund: Es war eine rein präventive Einschränkung der Bewegungsfreiheit von vielen Menschen, die friedlich an einer bewilligten Demo teilnehmen wollten.»

Gewalt geht gar nicht

Für Matthias Müller ist klar, dass «bewilligte Demos ein Grundrecht sind und meistens völlig friedlich verlaufen.» Komme es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, seien «in erster Linie die politischen Behörden gefragt. Die offizielle Linke muss die Gewalt, die von Linksextremen ausgeht, klar verurteilen. Man muss knallhart gegen die Krawallmacher vorgehen und – wenn nötig – drakonische Strafen einsetzen.»

Für den Jungfreisinnigen «geht es gar nicht, dass die rot-grüne Stadtregierung in Zürich sich nicht von gewaltbereiten Linksextremen abgrenzt. SP-Nationalrätin Funiciello schweigt sich zu Sachbeschädigungen am 1. Mai sogar aus. Das ist ein Skandal.»

Sibel Arslan hingegen grenzt sich deutlich ab: «Egal von welcher Seite es ausgeht: Gewalt und Aggressionen an Demonstrationen schaden jeder Kundgebung und der Demokratie. Es ist wichtig, dass wir über Inhalte diskutieren. Jede Art von Gewalt ist zu verurteilen und schadet der Sache.»

Die Nationalrätin macht aber auch deutlich: «Was die Linken aber nicht machen wollen: Sich durch eine aggressive Polizeiintervention vorschreiben zu lassen, wie sie sich an einer Demonstration zu bewegen haben.»

Mit einem grossen Polizeiaufgebot wird der Umzug bei einer Kundgebung zum Tag der Arbeit in Basel gestoppt.
Mit einem grossen Polizeiaufgebot wird der Umzug bei einer Kundgebung zum Tag der Arbeit in Basel gestoppt.
Bild: KEYSTONE