Ständerat beendet Diskriminierung Neuer Umgang mit Fehlgeburten entlastet Frauen finanziell

Von Anna Kappeler

30.11.2020

Schwangerschaften sind erst ab der 14. Woche kostenbefreit – zwei Vorstösse wollen das ändern.
Schwangerschaften sind erst ab der 14. Woche kostenbefreit – zwei Vorstösse wollen das ändern.
Bild: Keystone

Schwanger ist eine Frau ab dem ersten Tag – doch erst ab der 13. Woche sind Untersuchungen kostenbefreit. Fehlgeburten können teuer werden. Das Parlament ändert das jetzt. 

Die Zahlen sind hoch, und doch sprechen Betroffene kaum öffentlich darüber. Jährlich erleiden in der Schweiz 20'000 Frauen eine Fehlgeburt. Das heisst: Je nach Rechnungsart endet jede dritte bis fünfte Schwangerschaft mit einer frühen Fehlgeburt.

Was wenig bekannt ist: «Zum grossen seelischen Schmerz, dass die Schwangere gerade ihr Kind verloren hat, kommt obendrauf noch eine finanzielle Belastung», sagt Nationalrätin Irène Kälin (GP/AG), die zum Thema eine Motion eingereicht hat.

Diese finanzielle Ungleichheit hat der Ständerat heute Abend abgeschafft, wie vor ihm schon der Nationalrat. Beide Räte haben die Motion Kälin angenommen.

«Verläuft eine Schwangerschaft über die 13. Woche hinaus erfolgreich, ist die Schwangere vom Selbstbehalt der Untersuchungen befreit», sagt Kälin weiter. Kommt es innert der ersten drei Monate jedoch zu einer Fehlgeburt, werden die Schwangerschafts-Untersuchungen im Nachhinein von «Schwangerschaft» zu «Krankheit» umgeschrieben. «Die Kostenbefreiung gilt nicht mehr – je nach Selbstbehalt oder Komplikation kann das teuer werden.» Neu wird das geändert – eine Frau soll ab Tag 1 der Schwangerschaft bei Untersuchungen kostenbefreit sein.

«Diskriminierung schnell beseitigen»

«Wichtig ist, dass diese Diskriminierung von Frauen und deren Familien, die eine frühe Fehlgeburt erleiden, so schnell wie möglich beseitigt wird», sagt Kälin. 

Der Fakt, dass eine Frau schwanger war, werde ihr so versicherungstechnisch abgesprochen. «Das schmerzt in einer ohnehin schon traurigen Situation doppelt. Und es verstärkt das Tabu Fehlgeburt», sagt Kälin. Dabei sei man schwanger vom ersten Tag an. «Unabhängig davon, ob man eine Fehlgeburt erleidet oder die Schwangerschaft mit der Geburt des Kindes endet.»

Der Ständerat folgt dieser Argumentation.

Auch Addor von der SVP fordert eine Kostenbefreiung

Gleich sieht das Kälins SVP-Ratskollege Jean-Luc Addor. Auch er fordert in einer Motion, dass bei einer Schwangerschaft die Kosten vollständig durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung übernommen werden. Unterstützung kommt auch vom Bundesrat, er beantragt die Annahme der beiden Motionen.



Als Erstrat hatte bereits der Nationalrat beide Vorstösse angenommen. Bei Kälins Motion allerdings erst in einer zweiten Runde.

Warum? In der Sommersession vor einem Jahr bekämpfte der inzwischen ehemalige Nationalrat Sebastian Frehner (SVP/BS) die Motion Kälin. Im zweiten Anlauf in der Herbstsession 2019 kam das Anliegen durch.

Frehner von der SVP bekämpfte Motion mit dem Argument Prostatakrebs

Frehners Argumentation: Weite man die Kostenbefreiung auf die ganze Schwangerschaft aus, sei das ungerecht. «Ich meine, ich könnte auch kommen und sagen, nur Männer haben Prostatakrebs, also muss der Mann ein Jahr lang keine Franchise und keinen Selbstbehalt bezahlen, wenn bei ihm Prostatakrebs diagnostiziert wird», sagte Frehner damals, wie aus dem Wortprotokoll hervorgeht.

Frehner stört sich weiter daran, dass Schwangere mit dem neuen Gesetz alle Gesundheitsleistungen gratis erhalten dürften. «Gerechtfertigt wäre dies ja nur für Leistungen, welche die Schwangerschaft betreffen», so Frehner.

«Das ist ein Nebengleis. Und absurd»

Die Haltung Frehners wiederum kann Kälin nicht nachvollziehen. «Das ist ein Nebengleis. Frehner tat ja gerade so, als ob eine Frau nur auf eine Schwangerschaft wartet, um ihre längst fällige Knieoperation ohne Selbstbehalt durchführen zu können», sagt sie. Das sei absurd.

Ständerat sagt zu beiden Motionen Ja

Am Montagabend im Ständerat geht es dagegen schnell. Beide Vorstösse werden angenommen. Zum Glück sei man inzwischen auf diese Diskriminierung sensibilisiert, sagt Kälin.

2014 allerdings, bei der Revision des Krankenversicherungs-Gesetzes, hätten die Krankenkassen-Lobbies noch für eine Kostenbefreiung erst ab der 13. Woche geweibelt, sagt Kälin. Inzwischen seien auch die Krankenkassen fortschrittlicher.

Wann die Gesetzesänderung in Kraft tritt, ist laut Kälin schwierig zu sagen.

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