Top-Diplomatin Leu geht «Damit kommt man nie zu einem Ergebnis»

mmi

10.5.2023

Die Staatssekretärin des Aussendepartements hat nach drei Jahren Amtszeit ihren Rücktritt bekannt gegeben. Politiker*innen zeigen sich verständnisvoll bis verärgert.

mmi

10.5.2023

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Das Eidgenössische Departement für ausswärtige Angelegenheiten hat am Mittwochvormittag kommuniziert, dass die EDA-Staatssekretärin, Livia Leu, ihr Amt nach drei Jahren abgibt.
  • Die EU-Chefunterhändlerin soll noch die Sondierungsgespräche im Juni zu Ende führen, bevor Sie im Herbst als Botschafterin nach Berlin wechselt.
  • Der Personalwechsel hat laut Europarechts-Professorin Christa Tobler keine rechtlichen Auswirkungen.
  • Schweizer Aussenpolitiker*innen äussern sich von verständnisvoll, überrascht bis hin zu verärgert über das EDA.

Das Gerücht ist Tatsache geworden: Livia Leu, Staatssekretärin im Aussendepartement EDA, Chefunterhändlerin für die Gespräche zwischen der EU und der Schweiz und die Nummer zwei im Reich von Aussenminister Ignazio Cassis, wird ihren Posten nach nur drei Jahren im Amt verlassen. Dies hat der Bundesrat am Mittwoch mitgeteilt.

Nach Angaben der Beteiligten sei dieser Entscheid freiwillig gefallen. Wie die «NZZ» unter Berufung auf Stimmen aus der Bundesverwaltung jedoch schreibt, soll es zwischen Cassis und Leu auf menschlicher Ebene bereits seit Längerem kompliziert gewesen sein.

Geplant ist, dass die 62-Jährige die laufenden Sondierungen mit der EU bis Ende Juni zu Ende führt und danach im Herbst drei Jahre vor ihrer offiziellen Pensionierung als Botschafterin nach Berlin wechselt.

Keine rechtliche Auswirkungen

Was bedeutet Leus Abgang für das EU-Dossier – das wohl am heissesten diskutierte und schwierigste der Schweizer Politik? Und wie reagieren Aussenpolitiker*innen darauf? 

Laut Christa Tobler vom Europainstitut der Universität Basel hat der personelle Wechsel jedenfalls aus rechtlicher Sicht keine Auswirkungen auf das EU-Dossier. «Klar, wäre Kontinuität vom politischen Prozess her einfacher gewesen», sagt die Professorin für Europarecht. 

Weil Leu allem Anschein nach die Sondierungsgespräche zu Ende bringen will, also quasi ein Teilprojekt des EU-Dossiers abschliessen, würde sie an der Bruchstelle zum nächsten Teil-Projekt abtreten, erklärt Tobler. Leu hinterlasse ihrer Nachfolge immerhin die Ergebnisse der Gespräche. Dass die Top-Diplomatin gegen Ende ihrer Karriere noch als Botschafterin auf dem bedeutenden Aussenposten in Berlin wirken will, sei durchaus nachvollziehbar, sagt Tobler.

Von «Überraschung» bis hin zu «Unzeit»

Auch der Luzerner Ständerat Damian Müller zeigt grosses Verständnis, dass die Vollblut-Diplomatin gegen Ende ihrer Karriere noch auf eine Botschaft will, schreibt er blue News.

Überrascht hat sich der Präsident der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrates, Franz Grüter (SVP/LU) gezeigt. Grüter zollte der Staatssekretärin grossen Respekt für ihre Arbeit. «Bei näherem Betrachten ist jetzt aber der richtige Zeitpunkt für einen Rücktritt, wenn Frau Leu gehen will», sagte Grüter zur  Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Jetzt beginne nämlich möglicherweise eine neue schwierige Etappe für das EU-Dossier mit dem Start der eigentlichen Verhandlungen.

Ebenfalls mit Blick auf den nächsten Etappenschritt begrüsst Mitte Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter den Wechsel. «Die Verhandlungen können dann mit frischem Personal angegangen werden», schreibt sie auf Anfrage von blue News. Sie sieht den Wechsel als Chance, zumal Livia Leu als Botschafterin in Berlin die Interessen der Schweiz weiterhin unterstützen werde, so Schneider-Schneiter.

Hingegen für SP-Fraktionspräsident Roger Nordmann kommt der Rücktritt zur Unzeit und er kritisiert das Aussendepartement scharf. «Die PR-Offensive des Aussendepartements der vergangenen Wochen, wonach Fortschritte bei den EU-Verhandlungen erreicht worden sind, löst sich damit in Luft auf», sagte Nordmann auf Anfrage zur Nachrichtenagentur Keystone-SDA.

Der Rücktritt von Leu sei ein grosser Misserfolg für das EDA. «Immer wenn man bei den Verhandlungen mit der EU nahe an einem möglichen Ergebnis ist, wird der Chefunterhändler oder die Chefunterhändlerin ausgewechselt», kritisierte Nordmann und meint: «Damit kommt man nie zu einem Ergebnis.»

*Mit Material der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.