Prozess in Rorschach SG Hat einstiger Lukaschenko-Scherge vor Gericht gelogen?

SDA

19.9.2023 - 20:09

Juri Garawski aus Belarus steht während einer Pause vor dem Gericht in Rorschach SG.
Juri Garawski aus Belarus steht während einer Pause vor dem Gericht in Rorschach SG.
Bild: Gian Ehrenzeller/KEYSTONE/dpa

Juri Garawski sagt, er habe im Auftrag des belarussischen Regimes an drei Morden mitgewirkt. Für die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen ist klar: Er sagt die Wahrheit. Doch der Richter macht Ungereimtheiten aus.

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  • Seit Dienstag steht Juri Garawski in Rorschach SG vor Gericht. In Belarus war der einstige Angehörige einer Spezialeinheit nach eigener Aussage an der Ermordung von drei Oppositionellen beteiligt. 
  • Während die Staatsanwaltschaft das Geständnis des Angeklagten plausibel einstufte, hegte der Richter Zweifel an den Schilderungen Garawskis.
  • Laut Richter könnte sich Garawski die Beteiligung an dem Verbrechen ausgedacht haben, um einen positiven Asylbescheid für die Schweiz zu erwirken.

Die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen hat gegen das ehemalige Mitglied einer belarussischen Spezialeinheit vor dem Kreisgericht Rorschach einen Schuldspruch wegen Verschwindenlassens gefordert. Die Schilderung von Juri Garawski, im Auftrag des Lukaschenko-Regimes an drei Morden beteiligt gewesen zu sein, seien glaubhaft. Hinterbliebene der Opfer verlangten Genugtuungen.

Der 45-Jährige erklärte vor Gericht, dass er in den 1990er-Jahre im belarussischen Militär einer Sondereinheit des Innenministeriums angehörte. Er sei für die Festnahme von «Kriminellen» trainiert worden.

Bereits bei seinem Asylantrag 2019 gab Garawski an, im Auftrag des Lukaschenko-Regimes an der Ermordung von drei oppositionellen Politikern beteiligt gewesen zu sein. Das brachte diesen Prozess ins Rollen.

Erstmals verhandelte ein hiesiges Gericht nun den seit 2017 im Schweizer Strafgesetzbuch verankerten Artikel wegen Verschwindenlassens im Auftrag diktatorischer Regimes.

Demnach kann auch hierzulande jemand angeklagt werden, wenn die Tat im Ausland begangen wurde. Der Gesetzesartikel gründet auf einem Uno-Übereinkommen. Der Fall findet aufgrund seiner Tragweite internationale Beachtung.

Staatsanwalt fordert Verurteilung

Vor den Richtern schilderte der grossgewachsene Beschuldigte am Dienstag, wie er damals Aufträge zur Entführung und Erschiessung von Personen mitausgeführt, nicht aber selber gemordet habe.

Die Staatsanwaltschaft erachtete das Geständnis des Beschuldigten als glaubhaft. Aussagen des ehemaligen Mitglieds einer militärischen Spezialeinheit in Belarus hinterliessen zwar einen zwiespältigen Eindruck, festgestellte Widersprüche würden jedoch Nebenschauplätzen betreffen, so der Staatsanwalt in seinem Plädoyer. Er erachte die Beteiligung an den drei Morden als erwiesen. Deshalb forderte er eine Verurteilung wegen Verschwindenlassens.

Der Rechtsverteidiger von zwei Hinterbliebenen der damaligen Opfer verlangte ebenfalls eine entsprechende Verurteilung. Zu seinen Mandantinnen zählte unter anderem die am Prozess anwesende Tochter des ehemaligen Innenministers von Belarus. Der Anwalt stellte den Antrag auf Genugtuung für seinen beiden Mandantinnen von je 200'000 Franken.

Der Anwalt schilderte den emotionalen Schmerz der Hinterbliebenen und äusserte Kritik am Regime von Alexander Lukaschenko. «Er hat meinen Mandantinnen die Väter genommen.» Aus diesem Prozess könnten sie erstmals Hoffnung schöpfen, dass die Wahrheit ans Licht komme. Die Schilderungen des Beschuldigten seien glaubwürdig, das Geständnis stimmig.

Richter stellt Ungereimtheiten fest

Bereits bei der Befragung des Angeklagten zu Beginn der Verhandlung strich der Richter jedoch Widersprüche zwischen den aktuellen Schilderungen und getätigten Aussagen bei früheren Befragungen hervor. Garawski begründete die Ungereimtheiten vor Gericht mehrfach mit Übersetzungsfehlern.

Der Richter unterstellte dem Beschuldigten, sich die Beteiligung an den bis heute unaufgeklärten Morden an Oppositionspolitikern möglicherweise ausgedacht zu haben, um einen positiven Asylentscheid zu erhalten und in der Schweiz bleiben zu können.

Staatsanwaltschaft fordert drei Jahre Haft

Für die St. Galler Staatsanwaltschaft ist der Tatbestand des Verschwindenlassens hingegen erwiesen. Sie fordert drei Jahre Freiheitsentzug, wobei ein Jahr zu vollziehen sei, falls das Gericht die Beteiligung an den drei Morden feststellt.

Eine Eventualanklage der Staatsanwaltschaft sieht andernfalls vor, den Mann wegen Irreführung der Rechtspflege zu einer bedingten Freiheitsstrafe von neun Monaten zu verurteilen.

Die Verhandlung wurde am Dienstagabend unterbrochen. Sie wird am Mittwoch weitergeführt. Dann wird das Plädoyer der Pflichtverteidigerin des Beschuldigten erwartet und möglicherweise ein Urteil gefällt.

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