Umstrittenes Gesetz Hausarrest und Haft gegen Terrorgefahr – geht das?

SDA/sob

18.6.2020

Das neue Schweizer Gesetz will die Terrorgefahr mit international umstrittenen Mitteln senken – damit es im Idealfall gar nicht erst zu Anschlägen wie am 13. November 2015 in Paris kommt.  Das Bild stammt von einer Polizeiaktion am 18. November 2015 in Paris Saint-Denis.
Das neue Schweizer Gesetz will die Terrorgefahr mit international umstrittenen Mitteln senken – damit es im Idealfall gar nicht erst zu Anschlägen wie am 13. November 2015 in Paris kommt.  Das Bild stammt von einer Polizeiaktion am 18. November 2015 in Paris Saint-Denis.
Keystone

Am Donnerstagnachmittag steht im Nationalrat der zweite Teil der Terrorismus-Vorlage auf der Traktandenliste. Die Debatte dürfte hitzig werden: Die Schweiz steht wegen des Hausarrests für Gefährder und der geplanten Präventivhaft international in der Kritik.

Die Uno-Menschenrechtskommission, die Menschenrechtsbeauftragte des Europarates und achtzig Menschenrechtsorganisationen haben an Parlament und Behörden in der Schweiz appelliert: Sie halten die geplanten Gesetzesänderungen für unvereinbar mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und der Uno-Kinderrechtskonvention. Heute muss sich der Nationalrat mit der internationalen Kritik am geplanten Gesetz befassen. 

Stein des Anstosses sind die geplanten Massnahmen gegen sogenannte Gefährder. Als Gefährder gelten Personen gemäss dem Gesetzesentwurf dann, wenn aufgrund konkreter und aktueller Anhaltspunkte davon ausgegangen werden muss, dass sie eine terroristische Aktivität ausüben werden.



«Potenziell schwere Bedrohung»

Wenn jemand einer Terrororganisation angehört oder schon einen Anschlag vorbereitet, kommt direkt das Strafrecht zum Zug. Sofern die Hinweise für ein Strafverfahren oder strafprozessuale Massnahmen aber nicht ausreichen, sind den Behörden die Hände gebunden. Das will der Bundesrat angesichts der «potenziell schweren Bedrohung der inneren oder äusseren Sicherheit» ändern.

Das Bundesamt für Polizei (Fedpol) soll gegenüber terroristischen Gefährderinnen und Gefährdern eine Melde- und Gesprächsteilnahmepflicht, Kontaktverbote, Rayonverbote, Hausarrest oder Ausreiseverbote verhängen dürfen.



Hausarrest = Beugehaft?

Besonders umstritten ist der Hausarrest. Diese Massnahme muss von einem Gericht geprüft werden. Gegner sprechen von «Beugehaft», die nicht mit der EMRK vereinbar ist. Der Bundesrat hat die Frage in einem Gutachten abklären lassen. Dieses kam zum Schluss, dass die Massnahme EMRK-konform umgesetzt werden könne.

Der Ständerat beschloss zum Hausarrest – im Einklang mit dem Bundesrat – verschiedene Ausnahmen: Gefährder sollen das Haus für Erwerbs- und Bildungszwecke, die Ausübung der Glaubensfreiheit oder wegen familiärer Verpflichtungen verlassen dürfen.

Auch Kinder im Visier

Für Kritik im In- und Ausland sorgt auch, dass der Hausarrest bereits gegen Personen ab 15 Jahren verhängt werden kann. Die übrigen Massnahmen können schon 12-Jährigen auferlegt werden.

Die polizeilich-präventiven Massnahmen sind auf sechs Monate befristet, sie können aber einmalig um maximal sechs Monate verlängert werden. Hausarrest kann bis zu drei Monate dauern und darf zwei Mal um jeweils maximal drei Monate verlängert werden.

Kommission wagt Tabubruch

Die Sicherheitspolitische Kommission des Nationalrats will noch weitergehen: Sie beantragt eine «gesicherte Unterbringung von Gefährdern». So sollen Personen aus dem Verkehr gezogen werden, die etwa zu Gewalt und Terror aufrufen, Terror finanzieren oder diesen unterstützen.



Nach Ansicht der knappen Mehrheit der Kommission können damit Anschläge durch bekannte Gefährder effektiver verhindert werden. Die Minderheit hält die Präventivhaft für unvereinbar mit rechtsstaatlichen Grundsätzen und mit der EMRK.

Auch die Überwachung wird ausgebaut: Das Fedpol soll die Befugnis erhalten, im Internet, in Messenger-Diensten und sozialen Medien verdeckt Fahnderinnen und Fahnder einsetzen zu können. Solche Ermittlungen unter falscher Identität dürfen nur im Zusammenhang mit schweren Straftaten durchgeführt werden, bei denen der Bund für die Strafverfolgung zuständig ist.

Neue Terror-Strafnorm

Die präventiven Massnahmen gegen Gefährderinnen und Gefährder sind subsidiär und ergänzend gedacht. Sie dürfen nur angewendet werden, wenn therapeutische oder integrative Massnahmen voraussichtlich nicht anschlagen werden und wenn die Gefahr auch nicht mit anderen Massnahmen abgewendet werden kann.

Parallel zu den präventiven Massnahmen wird das Strafrecht verschärft. Der Nationalrat hat diese Vorlage am Dienstag gutgeheissen. Im Zentrum steht eine neue Terrorismus-Strafnorm. Diese stellt das Anwerben, die Ausbildung und Reisen im Hinblick auf einen Terrorakt unter Strafe. Der Ständerat hat beide Vorlagen bereits gutgeheissen.

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