Hypnose statt Narkose während OP «Ich war an einem entspannten Ort am Zugersee»

Von Dominik Müller

25.1.2024

Am Dienstag setzte am Kantonsspital Baden ein 55-Jähriger während einer OP auf eine Selbsthypnose statt eine Vollnarkose.
Am Dienstag setzte am Kantonsspital Baden ein 55-Jähriger während einer OP auf eine Selbsthypnose statt eine Vollnarkose.
Kantonsspital Baden

Am Dienstag hält in Baden ein hypnotisierter Patient ohne Narkose eine OP durch. Der Zuger Christian Schiermayer hat dies 2018 auch gewagt. Zur Verblüffung der Ärzteschaft überstehen beide den Eingriff gut.

Von Dominik Müller

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Am Dienstag ist am Kantonsspital Baden ein Patient ohne Narkose, dafür hypnotisiert operiert worden.
  • Auch Christian Schiermayer hat dies im Jahr 2018 gewagt.
  • Beide überstehen den Eingriff problemlos und verblüffen damit die Ärzteschaft.
  • Laut dem Hypnoseexperten Gabriel Palacios konkurrenzieren sich Hypnose und Narkose als Anästhesiemethoden nicht, sondern ergänzen sich.
  • Christian Schiermayer gelang es etwa, ganz ohne Narkosemedikamente an einen vertrauten Ort zu fliehen und die Schmerzen fast ausschliesslich auszublenden.

Die Meldung am Dienstag sorgte für Aufsehen: Am Kantonsspital Baden (KSB) verzichtet ein Patient auf eine Narkose – und lässt den Eingriff lediglich hypnotisiert über sich ergehen. Der 55-Jährige, bei dem eine Metallplatte und mehrere Schrauben aus dem linken Schien- und Wadenbein entfernt wurden, hatte sich selbst in einen Trancezustand versetzt. Die einstündige OP überstand er ohne Narkosemedikamente und Schmerzmittel. Dies hat laut einer Mitteilung des Spitals selbst die Ärzteschaft verblüfft.

Hypnose statt Narkose – könnten dies künftig zwei sich gegenseitig ausschliessende Alternativen sein? «Nein», sagt Gabriel Palacios, der wohl bekannteste Hypnoseexperte der Schweiz und Präsident des Verbandes Schweizer Hypnosetherapeut*innen (VSH), zu blue News.

Eine Analgesie (Schmerzunempfindlichkeit) oder Anästhesie (Gefühllosigkeit), herbeigeführt durch eine hypnotische Trance, könne bei sehr hohem Schmerzlevel kaum eine medizinische Anästhesie respektive Vollnarkose ersetzen. «Sie kann allerdings eine gute Ergänzung sein, um beispielsweise eine Lokalanästhesie zu unterstützen und die Schmerzschwelle zu justieren.»

Hypnose als Ergänzung zur Narkose

Letztlich hätten viele Patient*innen laut Palacios auch Ängste in Verbindung mit chirurgischen Eingriffen: «Eine Selbsthypnose kann hierbei helfen, das Gefühl der Kontrolle zu wahren.»

Hypnose als Ergänzung zur Narkose – in dieselbe Kerbe schlägt der Mentalcoach Christian Schiermayer. Und er weiss, wovon er spricht: 2018 liess er sich von der SRF-Sendung «Puls Spezial» dabei filmen, wie ihm unter Selbsthypnose, ohne Narkosemittel, eine Metallplatte aus seiner ehemals gebrochenen Hand entfernt wird.

«Man nimmt während der OP natürlich die Aussengeräusche war», so der Zuger zu blue News. Das Gehirn könne sich nur auf eine Sache richtig fokussieren. So scheint das Erfolgsrezept von Schiermayer denkbar simpel: «Ich war auf etwas anderes konzentriert und habe so den Schmerz praktisch vollständig ausblenden können.» Einzig ein «Ziehen» und ein «Klöpfeln» mit dem Hammer habe er leicht wahrgenommen. Um damit umzugehen, sei eine gute Vorbereitung entscheidend.

«Die klassische Anästhesie bleibt weiterhin unverzichtbar»

Die Bedeutung einer guten Vorbereitung unterstreicht auch Gabriel Palacios: «Eine Anästhesie mittels hypnotischer Trance muss in einem solchen Fall im Vorfeld intensiv geübt werden.» Nur ein Bruchteil der Gesellschaft könne sich sehr schnell in einen tiefen Zustand hypnotischer Trance begeben können. «Man könnte es fast vergleichen mit denjenigen, die überall und sehr schnell einschlafen können.»

Zur Erklärung: Sowohl Christian Schiermayer als auch der Patient im KSB haben die Methode der Selbsthypnose angewendet. Dabei wird der Patient zwar in irgendeiner Form, etwa die Anwesenheit einer Betreuer*in*, angeleitet, den hypnotisierten Zustand muss er aber selbst zulassen.

So war Christian Schiermayer während der OP eigentlich ganz woanders: «Ich war an einem schönen, entspannten Ort am Zugersee, an dem ich gerne bin.» Ein Safe Place, in den er eintauchen und selbst so was Einschneidendes wie eine Operation ausblenden könne.

Die starke Wirkung der Hypnose habe auch die Ärzteschaft im KSB verblüfft, zumal der Patient bei seinem ersten Eingriff noch ziemlich viel Schmerzmittel benötigt hatte. Dieses Mal verzichtete er komplett darauf. Eine Stunde nach der OP verliess er das Spital wieder – zu Fuss.

Die OP in Hypnose wird am KSB trotzdem nicht alltäglich: «Die klassische Anästhesie bleibt bei Eingriffen weiterhin unverzichtbar», so Prof. Karim Eid, Chefarzt Orthopädie/Traumatologie zu blue News. Sie sei die mit Abstand sicherste Methode und für alle Patient*innen geeignet. Nichtsdestotrotz sei man für alle Optionen offen.

Trotz Vorbereitung – Garantie besteht keine

Seit 2019 werden am Universitätsspital Genf hingegen Pflegepersonal und Ärzte in der Hypnosetechnik geschult. Bis in drei Jahren sollen über 4'000 Mitarbeiter in einer Grundausbildung in Hypnosetechnik ausgebildet werden. Eine Entwicklung, die Gabriel Palacios unterstützt, «doch auch dies fordert ein vorangehendes, gemeinsames Üben mit den Patient*innen».

Die Vorbereitung kann noch so gut sein, ohne Risiken ist ein Verzicht auf eine Vollnarkose nicht. «Im Grunde kann schon nur ein innerer Reiz, wie ein Gedanke es sein kann, dazu führen, dass der Patient sich in einen wachbewussteren Zustand begibt», so Palacios. Aus diesem Grund haben die Ärzt*innen, die Christian Schiermayer damals behandelt haben, dem Vorgehen auch nur zugestimmt, wenn ein Team für die Notwendigkeit einer Vollnarkose im Fall eines akuten Schmerzempfindens eingreifen darf.

Auch deshalb im KSB haben die Operateure laut Mitteilung vorsorglich einen Notfallplan vorbereitet: «Hätte der Patient während des Eingriffs zu starke Schmerzen verspürt, wäre versucht worden, die OP unter Lokalanästhesie fortzusetzen.» Hätte das nicht geklappt, wäre sie abgebrochen worden.

Auch hier gilt also: Beide Methoden ergänzen sich gegenseitig. Es ist davon auszugehen, dass der kürzliche Fall im KSB nicht der schweizweit letzte bleiben wird.