Anstatt einer Blase gibt's Mangel In drei Jahren fehlen 51'000 Wohnungen

SDA/mmi

26.2.2023

In Lausanne wird gegen die Wohnungsknappheit und steigende Mieten demonstriert.
In Lausanne wird gegen die Wohnungsknappheit und steigende Mieten demonstriert.
Keystone

Von der Blasengefahr zur Wohnungsnot: Zuwanderung, der Trend zu Kleinhaushalten und geringere Bautätigkeit sind die Gründe. Die Folgen sind längere Arbeitswege und steigende Mieten.

SDA/mmi

26.2.2023

Bis vor kurzem fürchtete sich die Schweiz vor einer Immobilienblase. Nun aber herrscht akute Knappheit am Wohnungsmarkt. Durch die Zuwanderung und den Trend zu kleineren Wohnungen wächst die Schweiz jährlich um rund 55'000 Haushalte wie die «NZZ am Sonntag» schreibt.

Zugleich ist die die Zahl der Baugesuche auf ein 25-Jahre-Tief gefallen. Dies hat zur Folge, dass bis 2026 rund 51'000 Wohnungen fehlen, wie die Immobilienberatungsfirma Wüst Partner berechnet hat. Das sind etwa gleich viel Wohnungen wie die Stadt Luzern zählt. Damit steuert die Schweiz auf die grösste Knappheit seit mehr als 30 Jahren zu.

Wohnungsnot ist nicht mehr rein städtisches Phänomen

Dass die Leerwohnungsziffer in Städten tief bis sehr tief ist, ist bekannt. Neu sei vor allem, dass die Wohnungsnot nicht mehr ein rein städtisches Phänomen sei, sondern immer mehr auch ländliche Regionen, insbesondere Touristenorte ereile, sagt Ökonom Robert Weiner von Wüest und Partner, der das Szenario im Auftrag der «NZZ am Sonntag» errechnet hat. 

 Wenn man die erwartete Bautätigkeit im Verhältnis zu tausend neuen Haushalten anschaue, kämen neue Regionen auf die Karte: viele touristisch geprägte Orte und Täler rund um Chur, Arosa und im Engadin steuerten auf eine akute Mangellage zu.

Dasselbe im Berner Oberland, speziell in den Touristenorten um Gstaad und Saanen. Auch der Kanton Graubünden muss sich auf schwierige Zeiten einstellen: Auf tausend zusätzlich nachgefragte Wohnungen kommen bis 2026 nur 570 neu erstellte Wohnungen. Oder anders ausgedrückt: 43 Prozent der Mietinteressent*innen werden leer ausgehen.

Darum ist die Nachfrage so stark

Der erste Grund für die starke Nachfrage ist, die wachsende ständige Wohnbevölkerung. Die ist in den Jahren 2018 bis 2020 jährlich um etwa 50'000 bis 60'000 Personen gewachsen. Nun liegen die Zuwachsraten deutlich höher. Im vergangenen Jahr betrug die Nettozuwanderung rund 81'000 Personen, was etwa 37'000 Haushalten entspricht, die eine Wohnung benötigen.

Zweiter Grund für den starken Nachfrageschub ist der Trend zu Kleinhaushalten. Immer mehr Menschen wohnen einen wesentlichen Teil ihres Lebens allein. «Rund zwei Drittel aller Haushalte in der Schweiz sind schon jetzt 1- und 2-Personen-Haushalte», sagt Martin Tschirren, Direktor des Bundesamts für Wohnungswesen (BWO). Hinzu kommt die alternde Bevölkerung, die den Trend fortsetzen wird.

Und als dritter Grund ist der Geburtenüberschuss. Längerfristig würden auch steigende Löhne und Wohlstand eine grössere Nachfrage beeinflussen. In der Folge würden sich die Menschen  mehr Wohnfläche oder eine Zweitwohnung leisten.

Flaute beim Wohnungsbau und andere Faktoren

Nebst der grossen Nachfrage kommt die Flaute im Wohnungsbau hinzu. Die hat vor allem ökonomische Gründe. Die meisten Pensionskassen und andere Investoren haben in den vergangenen Jahren schon grosse Summen investiert. Ihr Bedarf ist gedeckt. «Infolge des Zinsanstiegs ist die relative Attraktivität von Immobilien gegenüber anderen Anlagemöglichkeiten wie Obligationen zurückgegangen», erklärt Maciej Skoczek, Ökonom und Analyst bei der UBS. Zudem besteht eine Unsicherheit, was die weitere Preisentwicklung betrifft. Die lange Tiefzinsphase und die starke Nachfrage nach Immobilienanlagen haben zu sehr hohen Bewertungen geführt.

Hinzu kommen viele weitere Faktoren. Etwa dass der Bau von Zweitwohnungen praktisch zum erliegen gekommen ist. Die 2013 in Kraft gesetzte Zweitwohnungsinitiative hat einen massiven Rückgang ausgelöst. Nun zeigt sich, dass in allen Gemeinden, wo die Kontingente für Ferienwohnungen ausgeschöpft sind, auch der Mietwohnungsbau signifikant zurückgeht.

Und dann ist da noch die Verdichtung in Ballungszentren die kaum in die Gänge kommt.

Ausgerechnet jetzt sind neue Projekte blockiert oder werden mit Einsprachen abgeschossen. In Zürich und in anderen Städten sieht die Raumplanung durchaus vor, den Weg für bauliche Verdichtung zu ebnen. Die entsprechenden Instrumente sind vorhanden.

Steigende Mieten und weiterer Arbeitsweg

Am schwersten fallen die steigende Mieten ins Gewicht. Das zeigt ein Blick in Online-Ausschreibungen: Selbst kleine 2-Zimmer-Wohnungen in Zürich oder Bern schlagen bei einer Wiedervermietung 10 bis 12% auf.

Folglich steigt der Anteil des verfügbaren Einkommens, den die Haushalte fürs Wohnen ausgeben, flächendeckend.  Das gilt zunehmends für Haushalte, die nicht umziehen und keine Wohnung suchen. Denn die Inflation und der für dieses Jahr erwartete Anstieg des offiziellen Referenzzinses tangiert auch diese Mietverhältnisse.

Die Knappheit hat unerwünschte gesellschaftliche und wirtschaftliche Konsequenzen. Wer in der Nähe seines Arbeitsplatzes wohnen will, muss einen deutlich höheren Preis dafür zahlen oder lange Pendlerdistanzen auf sich nehmen. Dies wiederum ist mit hohen Kosten und einem Verlust an Lebensqualität verbunden.