Manche Jugendliche reagieren trotzig «Jetzt lasse ich mich erst recht nicht impfen»

Von Uz Rieger

10.9.2021

Jugendliche und junge Erwachsene feiern während der Corona-Pandemie in einem Club. (Symbolbild)
Jugendliche und junge Erwachsene feiern während der Corona-Pandemie in einem Club. (Symbolbild)
Bild; Keystone

In den sozialen Medien verabreden sich Impfgegner, um sich mit Covid-19 anzustecken. Mit der Ausweitung der Zertifikatspflicht für alle ab 16 Jahren machen entsprechende Aufrufe auch unter Jugendlichen die Runde – und bringen sie in Konflikt mit den Eltern.

Von Uz Rieger

Aufforderungen wie «Falls jemand in nächster Zeit positiv auf Corona getestet wird: bitte melden! Ich bräuchte auch ein Zertifikat» mehren sich derzeit in den sozialen Medien, wie «20 Minuten» berichtet. Ursache der hier zum Ausdruck kommenden Verweigerungshaltung gegenüber der Impfung sei demnach nicht zuletzt der Druck, der durch Staat und Medien auf Einzelne ausgeübt werde.

Matthias M.*, besorgter Vater eines 16-Jährigen, bestätigt «blue News», dass auch bei seinem Sohn entsprechende Anfragen und Angebote per WhatsApp oder Snapchat eintreffen. «Mein Sohn will sich die Impfung nicht vom Staat vorschreiben lassen und sagt, er kann sich gut vorstellen, sich von jemandem mit Corona anhusten zu lassen. Ich habe ihn mehrmals auf die Risiken eines solchen Vorgehens hingewiesen, stosse aber auf taube Ohren.»

Impf-Chef warnt vor Ansteckung

Auch der Präsident der Schweizer Impfkommission Christoph Berger warnt im Gespräch mit «blue News» vor einer absichtlich herbeigeführten Ansteckung. «Das ist gefährlich», sagt der Infektiologe am Zürcher Kinderspital. Es sei zwar schon so, dass viele in dieser Altersgruppe nur mild an Covid erkranken würden. «Aber viele sind eben nicht alle.»



«Auch Junge können wirklich ganz schwer erkranken mit PIMS und Long-Covid-Folgen», gibt Berger zu bedenken. «Dieses Risiko haben sie mit einer Impfung definitiv nicht.» Man müsse aber nicht nur das Risiko einer schweren Erkrankung gegenüber einer schweren Impf-Nebenwirkung abwägen, sondern auch die Tatsache, dass sie «mit Covid noch andere anstecken und hier nicht nur gesunde Junge, sondern vielleicht auch Alte und Kranke. Auch das geschieht mit einer Impfung so nicht.»

Gerade die angesichts der steigenden Fallzahlen verschärfte Zertifkatspflicht habe bei bei seinem Sohn indes die Positionen verhärtet, so M. «Bei ihm löst der Zwang über das Portemonnaie Unverständnis, Trotz und Wut aus. Gestern hat er ganz klar gesagt: ‹Jetzt lasse ich mich erst recht nicht impfen.›»

Eltern im Dilemma

Für ihn als Elternteil sei das ein «riesiges Dilemma». Einerseits verstehe er die alterstypische Trotzreaktion und ihm sei auch klar, dass man gerade in diesem Alter eben auch viel mit anderen zusammen sein wolle. Gleichzeitig sagt er: «Ich sorge mich, dass er sich infiziert, wobei ich natürlich die Hoffnung habe, dass er es gut wegstecken würde.»

M. selbst hätte zur Entschärfung des Konflikts begrüsst, wenn der Bundesrat – so wie Bundespräsident Parmelin im Februar dieses Jahres –  nicht nur die «Solidarität und Durchhaltefähigkeit» der Jugend gelobt hätte, sondern gerade auch die 16- und 17-Jährigen bei der Ausweitung der Zertifikatspflicht ausgenommen hätte.

Riskanteres Verhalten

Dass ausgerechnet Jugendliche in diesem Alter nun die Härten der Restriktionen spüren, dürfte indes vor allem der Erkenntnis der Experten geschuldet sein, dass bei ihnen das Bedürfnis für soziale und teils auch riskante Kontakte besonders gross ist.

Darauf angesprochen, warum gerade 16- und 17-Jährige, gleichwohl nicht volljährig, unter die Regeln der verschärften Zertifikatspflicht fallen, vermutet auch Christoph Berger weniger epidemiologische Gründe. Seiner Meinung nach liege es wohl eher am Verhalten dieser Altersgruppe, etwa dass sie mehr in den Ausgang gingen. «Sie verhalten sich viel ähnlicher wie Erwachsene, dann haben sie auch mehr Pflichten, so wie Erwachsene», meint Berger.

Suche nach Selbstständigkeit und Autonomie

Der Zürcher Psychologe und Erziehungsexperte Allan Guggenbühl bestätigt «blue News», dass viele Jugendliche in diesem Alter auf Selbstständigkeit und Autonomie aus seien, einhergehend mit der Suche nach einem «Kick». Bei ihnen resultiere aus dem Gefühl der jugendlichen «Unverletzlichkeit» die Idee, dass Corona eben nicht besonders schlimm für sie sei, erklärt der Leiter des Instituts für Konfliktmanagement in Zürich.

Dazu komme etwas «leicht Rebellenhaftes», wonach sich Jugendliche in diesem Alter nicht der Impfung unterwerfen wollten, da sie diese als Einschränkung ihrer Autonomie wahrnehmen würden. 

«Jugendliche wollen gar nicht ermutigt werden»

Auch er sehe bei einigen Jugendlichen den Vorsatz, sich statt einer Impfung lieber anstecken zu lassen, sagt Guggenbühl. Allerdings sei er sich nicht sicher, wie viele von ihnen letztendlich nur «posen» und die Ankündigung dann gar nicht wahrmachen würden. Er habe das Gefühl, es seien womöglich gar nicht so viele. «Ich kann das aber noch nicht abschliessend beurteilen.» 

Auf die Frage, ob die Behörden die Jugendlichen womöglich anders abholen und zu einer Impfung ermutigen sollten, meint der Experte: «Das Problem ist: Jugendliche wollen gar nicht ermutigt werden.» Natürlich solle man das auch probieren, aber es funktioniere eben nur sehr bedingt.

Klare Kante in der Kommunikation gefordert

Wichtig sei allerdings, klare Kante zu zeigen und zu kommunizieren: «Das ist jetzt so und ihr solltet euch impfen. Die Gesellschaft verlangt das.» Das sei mühsam, aber es gelte: «Wenn du das in der Schweiz nicht machst, dann könnt ihr auch keine Restaurants oder Bars besuchen. Fertig.»

Auch Eltern müssten ihren Kindern signalisieren, dass es nicht nur um sie gehe, sondern sie auch einen Dienst an der Gemeinschaft leisten müssten, so Guggenbühl. Es müsse klargemacht werden: «Das ist egoistisch, wenn du jetzt die Impfung verweigerst.»

* Name der Redaktion bekannt.