Gegen Abzocke und Täuschung Sara Stalder – auf die Barrikaden gehen für die Konsumenten

Von Silvana Guanziroli

2.9.2019

Sara Stalder kämpft mit Leidenschaft für faire Preise und fairen Wettbewerb. Dafür wurde sie schon als die Jeanne d’Arc der Konsumenten betitelt.
Sara Stalder kämpft mit Leidenschaft für faire Preise und fairen Wettbewerb. Dafür wurde sie schon als die Jeanne d’Arc der Konsumenten betitelt.
Keystone

Sie ist mit Bestechungsversuchen, Grauzonen und einem leidenden Schweizer Gewerbe konfrontiert: die Konsumentenschützerin Sara Stalder. In der «Bluewin»-Rubrik «Jetzt mal ehrlich» verrät Sie auch, wie man sich vor Abzocke schützt.

Für die einen ist sie ein «rotes» Tuch, für die anderen die Heldin der Normalverbraucher. Sara Stalder kämpft seit über zehn Jahren an der Spitze der Stiftung für Konsumentenschutz (SKS) gegen Abzocke und Täuschung auf dem Schweizer Markt.

Dabei wehte der ausgebildeten Lehrerin aus dem bernischen Sumiswald schon ziemlich rauher Wind entgegen. Als sie 2015 zum Beispiel die Restaurants wegen überhöhter Preise für Hahnenwasser anprangerte, setzte Ernst Bachmann, Vizepräsident von GastroSuisse zum Tiefschlag an. «Diese Diskussion schei*** mich langsam an», ärgerte er sich öffentlich – und auf Stalder angesprochen sagte er: «Die verblödet langsam in ihrem Job.»

Es sind aber genau diese harschen Worte, die Stalder zusätzlich anspornen. Von ihrem Büro im Berner Monbijou-Quartier schaut sie den Schweizer Firmen ganz genau auf die Finger. Die Jeanne d'Arc der Konsumenten – wie sie Medien schon betitelten – braucht diese Herausforderung.

Frau Stalder, was genau verstehen Sie unter Konsumentenschutz?

Für mich ist das das 'Ausgleichen eines immensen Wissens- und Machtgefälles'. Schauen Sie, die Anbieter kennen ihre Produkte und Dienstleistungen in- und auswendig. Was sie aber von diesem Wissen an die Kundschaft kommunizieren, ist ein Bruchteil und das meist in geschönter oder überzeichneter Form als Werbung. 

Der private Konsum ist der wichtigste Pfeiler unserer Volkswirtschaft. Und doch können Hersteller und Händler die Konditionen für den geschäftlichen Austausch mit dem wichtigen Wirtschaftsakteur «Konsument» weitgehend diktieren. Sie können den Kunden schlimmstenfalls über den Tisch ziehen, weil er kaum über wirksame Abwehrinstrumente verfügt. Die Anbieter verfügen in der Regel über viel Geld und die besten Anwälte, die ihre Interessen für sie durchsetzen.

Wir schaffen Grundlagen und Instrumente, um den Konsumentinnen und Konsumenten zu ermöglichen, Werbebotschaften zu durchschauen. Wir geben ihnen gegenüber Anbietern und Medien eine Stimme und schauen, dass die Leute im Schadensfall zu ihrem Recht kommen. Und wir begleiten Gesetzgebungsprozesse oder kommentieren Richtlinien. Es geht darum, gleich lange Spiesse zu schaffen zwischen Anbietern und Konsumenten.

Hat man Sie schon bestechen wollen?

Bemühungen, unsere Organisation mit Geldspenden milde zu stimmen oder zu einer bestimmten Aussage zu bewegen, gab es. Darauf lassen wir uns natürlich nicht ein: Ich prüfe alle Geldspenden an unsere Organisation, die höher sind als 100 Franken – wir lassen unsere Meinung nicht kaufen. Auch haben wir strenge Finanzierungsregeln, wenn es um ein Projekt mit Mitwirkung von verschiedenen Organisationen geht.

Unsere Organisation finanziert sich zu 85 Prozent durch Kleinstspenden und Gönnerbeiträge von Einzelpersonen. Die restlichen 15 Prozent, das sind rund 250'000 Franken, sind Bundessubventionen für Informations-Leistungen. Wir sind keine Bundesstelle, wie viele Leute glauben.

Wir nehmen keine Gelder von Unternehmen oder Parteien. Das ist eine Einzigartigkeit, denn andere Nonprofit-Organisationen können ihre Projekte auch durch Unternehmen finanzieren lassen. Für uns ist das unmöglich, denn dies verschafft uns die Unabhängigkeit, Missstände beim Namen zu nennen.

Wie schütze ich mich als Konsument davor, abgezockt zu werden – welches sind die offensichtlichsten Fallen?

Die offensichtlichen Fallen wie etwa falsche Mails, mit denen versucht wird, Geldsummen zu ergaunern, sind weniger das Problem. Die werden von den Leuten in der Regel erkannt. Dass die Anbieter im Kleingedruckten aber Stolpersteine gut verstecken oder plötzlich Anpassungen zuungunsten der Konsumentinnen und Konsumenten vornehmen, sind da grössere Probleme.

Abzockerei vermeidet man durch stetige Aufmerksamkeit im Konsumalltag und eine gesunde Portion Misstrauen und Vorsicht.

Welches Schweizer Unternehmen ist für Sie das schlimmste, wenn es darum geht, die Konsumenten zu täuschen?

Wir veröffentlichen seit Jahren im Dezember eine Ärgerliste. Darin zeigen wir auf, welche Probleme häufig vorkamen und welche Anbieter eine Menge Reklamationen erzeugten.

2018 erreichten uns die meisten Reklamationen wegen Problemen bei Konsumverträgen, insbesondere wegen Lieferverzögerungen beim Online-Shopping. Gerade bei Vorauszahlungen waren die Konsumenten stark verunsichert, wenn die Ware nicht fristgerecht eintraf. Die grössten Sorgen der Kunden: Wurde die Bestellung wahrgenommen, ist beim Versand etwas schiefgelaufen oder bin ich gar einem Fake-Shop aufgesessen.

Doch auch wenn die Ware am Lieferort eintraf, gab es immer noch viel Grund für Beschwerden. Einerseits stiessen die Konsumenten bei mangelhaften Produkten auf grossen Widerstand bei den Anbietern – und nicht selten wurden hier Garantieansprüche bestritten.

«Abzockerei vermeidet man durch stetige Aufmerksamkeit im Konsumalltag und eine gesunde Portion Misstrauen und Vorsicht.»

 
Sara Stalder, Geschäftsleiterin der Stiftung für Konsumentenschutz

Wann haben Sie sich als Konsumentin nicht gerecht behandelt gefühlt?

Natürlich habe auch ich immer wieder Situationen, in denen ich nicht einverstanden bin, wie sich ein Anbieter verhält. Und ich erlebe die Grenzen als Einzelperson zu einem mächtigen Gegenüber.

Mit meinem Telekommunikationsanbieter hatte ich kürzlich einen Disput, da er eine wichtige Information zu einer Roaming-Option auf der Website sehr gut versteckt hatte. In der Eile hatte ich mich nicht ganz durch alle verlinkten Informationen durchgeklickt und etwas übersehen, das dann ungewollte Kosten auslöste.

Ich bemängelte diese Intransparenz. Scheinbar war ich nicht die erste Person, die reklamierte: Die Hälfte der aufgelaufenen Kosten von 80 Franken wurde mir vom Anbieter erlassen. Das akzeptierte ich zwar, aber mit Murren. Denn für die restlichen 40 Franken hätte ich weitere Zeit investieren müssen mit dem Gang vor die Ombudscom, was ich nicht tat.

Stiftung für Konsumentenschutz

Die privatrechtliche Stiftung mit Sitz in Bern wurde 1964 von vier Arbeitnehmer- und Konsum-Organisationen gegründet. Sie hat den Zweck,  die Interessen der Konsumentinnen und Konsumenten zu wahren. Sara Stalder amtet als  ist Geschäftsleiterin, die Luzerner SP-Nationalrätin Prisca Birrer-Heimo als Präsidentin. Die Stiftung ist Teil der Allianz der Konsumentenschutz-Organisationen.

In ihrer Funktion sprechen Sie deutliche Kritik aus, wofür sie auch immer wieder mit harschen Worten konfrontiert werden. Wie gehen Sie damit um?

Es ist unsere Rolle, Missstände aufzuzeigen und den Konsumentinnen und Konsumenten andere Handlungsmöglichkeiten zu zeigen. Das ist ein Bereich unserer und meiner Arbeit.

Solange der Disput über die Meinungsverschiedenheit faktenbasiert erfolgt, ist dagegen nichts einzuwenden.

Bleiben wir bei der Kritik. Stichwort Datenschutz. Macht hier die Schweiz zu wenig?

Es ist wichtig, dass auch in der Schweiz mindestens die europäischen Datenschutzstandards gelten. Denn die Digitalisierung und die Nutzung des Internets macht nicht vor Landesgrenzen Halt. Zudem wäre es für unser Kleingewerbe eine grosse Erleichterung. Wenn die Schweiz weiterhin ein lasches Datenschutzgesetz hat, dann hilft das weder den Konsumenten noch den Anbietern. Dieses Gesetz wird zur Zeit revidiert, und es wäre jetzt die Gelegenheit, es zukunftsfähig und griffig auszugestalten.

Nicht zu vergessen ist auch, dass der Übermacht der grossen ausländischen Techgiganten wie Facebook, Apple, Google oder Alibaba nur Paroli geboten werden kann, wenn die Länder sich absprechen. Dafür wäre die beste Voraussetzung, dass die gleichen gesetzlichen Grundlagen gelten.

In diesem Zusammenhang müssen wir auch über die E-ID sprechen. Der Bund will die Herausgabe mit privaten Anbietern regeln. Verschliesst er da die Augen vor Folge-Problemen?

Wenn sich der Staat raushält, überlässt er viele wichtige Entscheidungen den Anbietern. Diese haben natürlich ein immenses Interesse daran, als Herausgeber dieses Internet-Passes agieren zu können. Wir beobachten die politische Entwicklung genau und schliessen nicht aus, dass wir ein Referendum unterstützen, wenn in der parlamentarischen Debatte nicht genügend korrigiert wird.

Die Schweiz ist eine Hochpreisinsel, und das Schweizer Gewerbe leidet unter dem Einkaufstourismus. Was sagen Sie dazu?

Das Gewerbe leidet wirklich, aber nicht nur, weil der Einkauf im Ausland boomt. Die Gewerbetreibenden sind nämlich selber Opfer der Hochpreisinsel, da sie viele Produktionsgeräte oder Dienstleistungen überteuert via Generalimporteur einkaufen müssen. Im Gegensatz zu den Konsumenten kann das Gewerbe aber nicht ausweichen und die Produkte im Ausland einkaufen. Dies wird durch Generalimporteure strikt verhindert.

Das ist vielen Gewerbetreibenden bereits klar, und sie unterstützen daher die Fair-Preis-Volksinitiative. Diese sollte im 2021 zur Abstimmung kommen und bewirken, dass die hohen ungerechtfertigten Preise für Importprodukte gesenkt werden. Es ist übrigens so, dass diese hohen Preise nichts mit Zöllen oder Löhnen zu tun haben, das ist reine Abzocke bei Importprodukten, um die hohe Zahlungskraft und -bereitschaft der Schweizer Bevölkerung abzuschöpfen.

Eine versteckte Preiserhöhung hat diesen Sommer im Inland die Gemüter erhitzt. Coca Cola verkleinert die Grösse der Flasche und verkauft jetzt weniger Inhalt zum alten Preis.

Ein leider üblicher Trick, ob bei Waschmitteln, Babywindeln, Süssgetränken oder Nahrungsmitteln. Dies ist eine gängige Art, Preise klammheimlich zu erhöhen. Meistens passiert das tatsächlich unbemerkt, da die Verpackung nicht dermassen geändert wird, dass die Verkleinerung bemerkt werden kann. Auch wir haben keine Übersicht über alle die so verteuerten Produkte.

Werden hingegen Preise von einigen Produkten gesenkt, dann machen die Anbieter jeweils ein grosses Tamtam mit riesigem Werbeaufwand.

Auch die Swiss schröpft Schweizer Flugpassagiere und schlägt hier gern mal aufs Ticket drauf. Schaden sich die Unternehmen so nicht langfristig selber?

Die Flugbranche ist eine sehr selbstbewusste Branche. Kritik perlt ab, es herrscht zudem eine gewisse Willkür vor. Es ist leider auch nicht so, dass diese Branche dem harten Wettbewerb ausgesetzt ist. Vielfach sind die Ausweichmöglichkeiten für Fluggäste sehr eingeschränkt. Unternehmen können sich allgemein einiges leisten, bevor sich die Kundschaft von ihnen abwendet, besonders, wenn es nicht viele Mitbewerber gibt.

Daher wäre es wichtig, dass eine übergeordnete Behörde beim Marktversagen einschreiten kann. Doch genau im Flugverkehr fehlt eine effektive und international agierende Kontrollbehörde, an die sich Fluggäste wenden können und die auch Sanktionen gegenüber Fluggesellschaften verhängen kann.

Ein aktuelles Ranking zeigt, welche Nationalräte zugunsten von Konsumenten abstimmen und welche nicht. Sind Sie vom Ergebnis überrascht?

Aus unserer politischen Arbeit wissen wir natürlich, welche Parteien unsere Anliegen unterstützen. Aber trotzdem überrascht es mich immer wieder, dass Konsumentenanliegen dermassen verpolitisiert werden. Denn Konsumenten sind wir alle, egal ob wir uns keinem, einem rechten oder einem linken Parteibuch verpflichtet fühlen.

Es ist für mich unverständlich, dass sich Parteien vehement gegen verbesserte Konsumentenrechte stark machen, auch deshalb, weil die Konsumenten eine so wichtige Rolle in einer funktionierenden Volkswirtschaft innehaben.

Auf den letzten Plätzen sind ausschliesslich SVP-Politiker. Was wünschen Sie sich von diesen Nationalräten?

Gutes und aufmerksames Hinhören: Wenn bürgerliche Politikerinnen und Politiker in ihrem privaten Umfeld ein wachsames Ohr hätten, dann könnten sie quasi täglich hören, dass kleine und grosse Ärgernisse im Konsumalltag passieren, oftmals unverschuldet. Davon sind einige sehr ärgerlich und können finanziell schmerzliche Konsequenzen haben. Sich zur Wehr zu setzen ist für eine Einzelperson oft aussichtslos, denn der juristische Weg ist in den allermeisten Fällen zu teuer und zu langwierig.

Ein übergeordneter Wunsch wäre zudem, dass jede Person im Parlament nach eigenem Ermessen abstimmen könnte. Leider werden bürgerliche Parlamentarierinnen und Parlamentarier viel zu oft von der Partei angehalten, für die Anliegen der Wirtschaft zu stimmen. Es wäre wichtig, wenn endlich Klarheit geschaffen würde, welche Partei und welche Parlamentarier finanzielle Unterstützung in welchem Umfang und von welcher Geldquelle erhalten.

So oft wie Claudio Zanetti von der SVP stimmte kein anderer Nationalrat in den letzten Jahren gegen Konsumentenanliegen.
So oft wie Claudio Zanetti von der SVP stimmte kein anderer Nationalrat in den letzten Jahren gegen Konsumentenanliegen.
Keystone

Zum Schluss ein Blick in die Zukunft: Wo sehen Sie heute die grössten Gefahren für Konsumenten?

Was die Digitalisierung in den nächsten Jahren an Gefahren mit sich bringt, bleibt ein grosses Fragezeichen. Einzig klar ist, dass ein weiteres riesiges Ungleichgewicht geschaffen wird, vermutlich in einer Dimension, wie wir es uns gar nicht vorstellen können. Um zu verstehen, wie smarte digitale Geräte funktionieren und wann welche Daten über mich und meine Familie wo gespeichert werden, müssten die Algorithmen offengelegt und verstanden werden.

Dass man als Einzelperson zunehmend profiliert, klassiert und damit gelenkt wird, ist bislang zu wenig bekannt. Hier braucht es unbedingt strenge Regeln mit einem radikalen Umdenken – die Datenhoheit muss wieder zurück an den Einzelnen.

Handlungsbedarf sehe ich zudem bei den viel zu hohen Kosten für die Krankenkasse, bezüglich des Umgangs mit den Inhaltsstoffen von industriell verarbeiteten Nahrungsprodukten konstatiere ich einen: Blindflug.

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