«Racial Profiling» Kontrolle wegen gesenktem Blick – Gericht rügt Zürcher Polizei

tafi/SDA

5.11.2020

Die Stadtpolizei Zürich wurde vom kantonalen Verwaltungsgericht wegen einer unverhältnismässigen Personenkontrolle gerüffelt.
Die Stadtpolizei Zürich wurde vom kantonalen Verwaltungsgericht wegen einer unverhältnismässigen Personenkontrolle gerüffelt.
Keystone/Walter Bieri

Die Zürcher Stadtpolizei handelt sich eine Rüge des Verwaltungsgerichts ein: Die Überprüfung eines schwarzen Schweizers war rechtswidrig. Vor der Frage, ob die Personenkontrolle rassistisch motiviert war, drücken sich die Richter.

Der Vorfall beschäftigt seit mehr als fünf Jahren die Justiz: Am 5. Februar 2015 kontrolliert die Stadtpolizei den Berner Mohammed Wa Baile auf dem Zürcher Hauptbahnhof. Der Grund: Der schwarze Schweizer habe im Vorbeigehen den Blick gesenkt.

Da der betroffene Mann den Grund für die Personenkontrolle seiner Hautfarbe zuschrieb, hielt er die Kontrolle für ungerechtfertigt. Er weigerte sich deshalb, sich auszuweisen. Dafür wurde er gebüsst.

Gegen die Busse erhob der Mann Beschwerde. Er verlangte zudem, es sei festzustellen, das die Kontrolle widerrechtlich durchgeführt worden sei. Der Stadtrat von Zürich und danach das Statthalteramt wiesen das Begehren ab. Das Verwaltungsgericht hiess die Beschwerde nun aber gut, wie dem am Mittwoch publizierten Urteil zu entnehmen ist.



Das kantonale Verwaltungsgericht rügt die Zürcher Stadtpolizei: Die Personenkontrolle eines schwarzen Mannes nur wegen seiner Blickrichtung war laut den Richtern rechtswidrig. Der Mann sei ohne konkretes Verdachtsmoment kontrolliert worden.

Auch an einem Ort wie dem Hauptbahnhof, wo vermehrt mit Delinquenz zu rechnen sei, genüge das blosse Abwenden des Blicks aber nicht, um eine Identitätskontrolle auszulösen. Das gelte ungeachtet der Hautfarbe.

Kontrollen nur wegen Hautfarbe sind diskriminierend

Kontrollen von Personen wegen eines «verpönten Merkmales» wie Herkunft, Hautfarbe, Geschlecht oder religiöser Überzeugung seien zwar «nicht absolut ausgeschlossen», schrieb das Verwaltungsgericht. Die Kontrolle allein aufgrund solcher Merkmale sei aber diskriminierend und daher unzulässig.

Ob eine Diskriminierung aufgrund der Hautfarbe vorlag, prüfte das Gericht gleichwohl nicht. Die Beschwerde habe einzig die Feststellung der Rechtswidrigkeit gefordert. Die Frage «könne offen bleiben, weil die Kontrolle ohnehin nicht rechtmässig gewesen sei», heisse es laut «Tages-Anzeiger» im Urteil.



Die «Allianz gegen Racial Profiling», die Wa Baile in dem Fall unterstützt, begrüsst das Urteil zwar als «Zeichen des Gerichts an die Polizei, dass Kontrollen Grundrechtseingriffe sind, die nur vorgenommen werden dürfen, wenn sie zur Gefahrenabwehr notwendig sind».

Gleichzeitig bedauert die Organisation aber, dass sich das Gericht nicht zur Rassismusfrage geäussert hat und «die Schweizer Justiz nach wie vor nicht bereit ist, institutionellen Rassismus beim Namen zu nennen: es lässt die Frage, ob Racial Profiling vorlag, ungeklärt», heisst es in einer Mitteilung.

«Das eigentliche Unrecht wird nicht ernst genommen»

«Das eigentliche Unrecht, das Wa Baile angetan wurde, wird nicht ernst genommen», sagt Jurist Tarek Naguib im «Tages-Anzeiger». Die «Allianz gegen Racial Profiling» ist sich sicher, dass es kein Zufall war, «dass Mohamed Wa Baile kontrolliert wurde, auch wenn er sich wie alle anderen Pendler*innen verhalten hat. Es ist seine Hautfarbe, die immer wieder dazu führt». Man fordere daher, dass der strukturelle Rassismus von den Gerichten und Behörden anerkannt werde und ihm mit den Mitteln des Rechts entgegengewirkt werde.

Dass das nun erfolgte Urteil des kantonalen Verwaltungsgerichts grosse Auswirkungen auf die Arbeit der Zürcher Stadtpolizei habe, glaubt Daniel Blumer indes nicht. Der Kommandant der Zürcher Stadtpolizei geht davon aus, «dass das Urteil im Moment keine grossen Auswirkungen auf unsere geltende Praxis hat», wie er im «Tages-Anzeiger» unterstrich.

Man habe bei der Behörde schon vor drei Jahren klar definiert, wann Personenkontrollen zulässig sind. «Wegschauen allein ist selbstverständlich kein Grund», so Blumer. Zudem müssten die Beamten den kontrollierten Personen den Grund für die Identitätsüberprüfung angeben und alle Kontrollen mitsamt Gründen elektronisch erfassen.

Strassburger Richter fordern Stellungnahme

Ob die Kontrolle von Mohammed Wa Baile rassistisch war, überprüft derzeit der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Strassburg. Chancenlos ist seine Klage offenbar nicht.

Laut der «Allianz gegen Racial Profiling» hat der EGMR den Bundesrat dazu aufgefordert, in der Sache Stellung zu nehmen und darzulegen, ob und welche Mittel die Schweiz ergriffen hat, um rassistische Kontrollen zu verhindern. Spätestens mit Fristende am 2. Dezember wird sich die Schweiz offiziell zu dem Thema äussern müssen.

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