Lehrer*innen für nationale Corona-Massnahmen «Die unterschiedlichen Regeln machen uns das Leben schwer»

Von Lia Pescatore

30.1.2022

Damals war das Virus noch neu: Ein Lehrer verteilt im Juni 2020 Info-Flyer zur Bekämpfung des Coronavirus. 
Damals war das Virus noch neu: Ein Lehrer verteilt im Juni 2020 Info-Flyer zur Bekämpfung des Coronavirus. 
Bild: Keystone/Anthony Anex

Wegen Engpässen wird das regelmässige Testen an den Schulen vielerorts ausgesetzt. Dabei sind die Klassenzimmer die grossen Ansteckungsherde – mittendrin: die Lehrerinnen und Lehrer.  

Von Lia Pescatore

Die Kinder stehen im Zentrum des Infektionsgeschehens: In den jüngsten Altersgruppen werden die meisten Infektionen verzeichnet, grosse Ansteckungsherde sind dabei die Schulen.

So teilte etwa Filippo Leutenegger, Vorsteher des Zürcher Schul- und Sportdepartements, den Eltern in einem Sondernewsletter mit, dass in der dritten Schulwoche so viele Infektionen wie noch nie an den Zürcher Schulen verzeichnet wurden. Ein Grossteil der Infektionen kam wohl nur ans Licht, weil der Kanton Zürich repetitives Testen an den Schulen anbietet.



Doch genau dieser Kontrollmechanismus wird ab dieser Woche ausgesetzt, da die Testkapazitäten nicht mehr ausreichen. Das betrifft nicht nur die Schüler- und Elternschaft, sondern auch die Lehrpersonen.

«Wir bedauern, dass es dazu kommen musste», sagt Christian Hugi, Präsident des Zürcher Lehrerinnen und Lehrer Verbands. Die repetitiven Tests hätten eine zusätzliche Sicherheit gegeben. Vor Weihnachten hätten mit der Massnahme Ansteckungen erfahrungsgemäss frühzeitig erkannt und weitere Ansteckungen verhindert werden können.

«Wir bedauern, dass es dazu kommen musste.»

Christian Hugi

Präsident Lehrerinnen- und Lehrerverband Zürich

Mit dem Aufkommen der Omikron-Variante und den explodierenden Fallzahlen sei dieser Kontrollmechanismus jedoch nicht mehr im gleichen Masse gegeben, der Entscheid sei darum nachvollziehbar.

Dachverband fordert flächendeckende Tests

Der Schweizerische Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH) hat noch Mitte Dezember flächendeckende Massentests an den Schulen gefordert. An der Forderung halte man grundsätzlich fest, sagt Franziska Peterhans, Zentralsekretärin des Dachverbands.

Massentests hätten es geschafft, die Situation an vielen Schulen zu beruhigen, sagt Franziska Peterhans, Zentralsekretärin des Dachverbands der Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH). Doch die Realität habe sich durch die angespannte Situation in den Laboren verändert. «Wenn Schulen bis zu drei Tage auf die Resultate der Pooltests warten müssen, dann hilft ihnen das auch nicht weiter», sagt sie.

Aargau: Lehrpersonen im Spagat

Der Kanton Zürich ist nicht der einzige Kanton, der die repetitiven Tests an den Schulen wegen Labor-Engpässen aussetzt, auch der Kanton St. Gallen hat angekündigt, die Tests zum selben Zeitpunkt auszusetzen, in anderen Kantonen wie zum Beispiel in Schaffhausen und Graubünden ist dies bereits geschehen.

Die Massnahme ist Ausdruck der neuen Teststrategie des Bundes, die wegen der fehlenden Testkapazität den Zugang zu den Testmöglichkeiten priorisiert. Vorrang erhalten Personen mit Symptomen, das regelmässige Testen an den Schulen landet erst auf Stufe 5 der Prioritätenliste.

Im Kanton Aargau ist die Aussetzung der repetitiven Tests an den Schulen seit drei Wochen Realität. Die Massnahme wurde mit einer verschärften Klassenquarantäne-Regelung ersetzt. Die Konsequenz: Es seien immer weniger Kinder vor Ort, teilweise befänden sie sich in «Kettenquarantäne» über mehrere Wochen, sagt Kathrin Scholl, Präsidentin des Aargauer Lehrerverbands.

Der Spagat zwischen den Schüler*innen im Klassenzimmer und jenen zu Hause bedeute für die Lehrpersonen viel Aufwand: «Auch die Kinder zu Hause dürfen den Anschluss beim Schulstoff nicht verlieren und brauchen den sozialen Kontakt.»

Maskenpflicht zeigt Wirkung

Eine Umstellung auf Fernunterricht erachtet sie dennoch nicht als sinnvoll. «Alle Untersuchungen haben gezeigt, wie wichtig der Unterricht vor Ort für die Entwicklung der Kinder ist», sagt Scholl. Es sei darum wichtig, dass man die Schutzmassnahmen konsequent umsetze, um die Kinder so gut wie möglich zu schützen.

Positive Wirkung zeige zum Beispiel die Maskenpflicht. «Wir haben nach Einführung der Maskenpflicht auf einer Stufe feststellen können, dass sich die Ausbreitung des Virus dadurch erkennbar verlangsamt», sagt Scholl.

Auch im Kanton Zürich gilt die Maskenpflicht seit Anfang Jahr ab der 1. Primarstufe kantonsweit einheitlich, was Hugi vom kantonalen Lehrerverband begrüsst. «Je grösser die Unterschiede unter den Schulen und Gemeinden, desto grösser die Verunsicherung», ist sich Hugi sicher.

Dass andere Entscheide über die richtigen Massnahmen teilweise auf Gemeinde und Schulebene delegiert werden, hält er darum für falsch. So müssten Schulleiter*innen und Lehrpersonen anstrengende Diskussionen mit den Eltern über die angebrachten Massnahmen führen.

«Die unterschiedlichen Regeln machen uns das Leben schwer.»

Franziska Peterhans

Zentralsekretärin LCH

Auch der nationale Verband fordert eine Angleichung der kantonalen Regeln: Um die angespannte Situation für die Schulen zu erleichtern, müssten endlich die wichtigsten Eckpunkte der Massnahmen vereinheitlicht werden, zum Beispiel, wie lange und auf welchen Klassenstufen die Maskenpflicht gilt, sagt Zentralsekretärin Peterhans.

Seit der Aufhebung der ausserordentlichen Lage habe es keine Koordination der kantonalen Massnahmen im Bildungsbereich mehr gegeben, kritisiert sie. «Die unterschiedlichen Regeln machen uns das Leben schwer», unter anderem im Kontakt mit den Eltern.

 CO2-Messgeräte sind nur vereinzelt im Einsatz

Sie hat zudem wenig Verständnis dafür, dass in Sachen Luftqualität kaum Fortschritte erzielt wurden im vergangenen Jahr. Um den Forderungen nach CO2-Messgeräten und Luftfiltern nachzukommen, habe man genug Zeit gehabt. Doch die Behörden hätten die Zuständigkeit lieber zwischen Kanton und Gemeinde hin- und hergeschoben.

Besonders in der jetzigen Saison hätten Luftfilter eine grosse Erleichterung gebracht, «denn im Winter kann man nicht einfach die Fenster offenstehen lassen».

Der Handlungsbedarf wird auch von den kantonalen Vertretenden aus Aargau und Zürich betont. «Viele Klassenzimmer können nicht gut gelüftet werden», sagt Scholl, da sei es klar, dass es zu mehr Ansteckungen komme.

Auch Hugi setzt sich für eine bessere Raumluftqualität ein. CO2-Messgeräte in jedem Klassenzimmer seien das Minimum, Luftfilter wären jedoch die bessere Lösung. «Ähnlich wie die Maske filtern sie die Atemluft, tangieren aber den Unterricht kaum.»

Peterhans: Notfallplan darf nicht Courant normal werden

Nicht nur bei den repetitiven Tests müssen die Schulen Abstriche machen. Die quarantäne- und isolationsbedingten Ausfälle haben den Personalmangel noch akzentuiert, «es findet sich kein Ersatz mehr», sagt Peterhans. Im Kanton Aargau sei die Schulleitung zu 80 Prozent mit Personalsuche beschäftigt, bestätigt auch Scholl.

Im Kanton Zürich hat Bildungsdirektorin Silvia Steiner laut «Tages-Anzeiger» bereits einen Notfallplan vorgelegt, der für den Fall, dass kein Fachpersonal gefunden werden kann, auch PH-Studierende oder im letzten Punkt Sozialarbeitende oder Masterstudierende aus anderen Gebieten als mögliche Vikare vorsieht.

Peterhans kann angesichts der dünnen Personaldecke nachvollziehen, dass die Kantone auf Notfallpläne zurückgreifen, um die Lücken kurzfristig zu stopfen. «Es ist jedoch illusorisch zu glauben, dass der Unterricht von unausgebildetem Personal aufrechterhalten werden kann.» Diese Notfallpläne dürften darum nur befristet zum Einsatz kommen und nicht zum Courant normal werden, um die Qualität des Unterrichts zu gewährleisten.