Verschwörungstheorien Querulanten machen Zürcher Ämtern das Leben schwer

Von Andrea Moser

9.1.2023

Beamte müssen sich in der Schweiz immer wieder mit Querulanten herumschlagen. 
Beamte müssen sich in der Schweiz immer wieder mit Querulanten herumschlagen. 
Keystone Symbolbild

Sie glauben nicht an den souveränen Staat, stattdessen regiert eine Firma das Land: Die sogenannte Reichsbürger-Ideologie ist auch in der Schweiz ein Thema. Bei Zürcher Ämtern ist das Problem bekannt. 

Von Andrea Moser

9.1.2023

Die Schweiz ist eine Firma. Sie führt doppelte Buchhaltung und zieht so dem Volk das Geld aus der Tasche. Was im ersten Moment wirr klingt, ist Teil einer Verschwörungstheorie. Bürgerinnen und Bürger, die daran glauben, machen Statthaltern offenbar vermehrt das Leben schwer.

Ein Beispiel zeigt einen Fall aus dem Bezirk Pfäffikon im Kanton Zürich. Ein Mann hat seinen Vorladungstermin Ende November illegal aufgezeichnet und auf seinen Telegram-Kanal gestellt. Vorgeladen wurde er, weil er bei einem Pfändungstermin nicht erschienen war. Auf dem Amt wollte sich der Mann weder ausweisen noch Auskünfte über sein Vermögen erteilen. Auch auf die Fragen des Statthalters wollte er nicht eingehen. 

Wie der «Tagesanzeiger» schreibt, hat der Mann alle Briefe, die er vom Statthalter bekommen hat, ungeöffnet und mit vorgefertigter Etikette zurückgeschickt. Das mache er seit eineinhalb Jahren so. Grund sei, dass sein Vor- und Nachname nicht in korrekter Reihenfolge aufgeführt seien. Ausserdem seien die Ämter nichts als Firmen. 

Als korrekte Reihenfolge des Namens auf Couverts gilt in Verschwörungskreisen, dass der Nachname, getrennt durch ein Komma vom Vornamen, zuerst geschrieben wird. Andere Schreibweisen sehen sie als Beweis dafür, dass die Firma eine doppelte Buchhaltung führe und das Volk abzocke. 

Verschwörungstheorien finden seit Pandemie mehr Gehör

Dass der Staat eine Firma ist, ist eine beliebte Verschwörungstheorie bei Reichsbürgern. Demnach haben die Behörden keine Grundlage, um Bürgerinnen und Bürger einzuvernehmen. Jerome Endrass, stellvertretender Leiter des Zürcher Amts für Justizvollzug, forscht zum Thema Radikalisierung. Verschwörungsideologien, die in der Schweiz auftreten, hätten viele Parallelen mit denen von deutschen Reichsbürgern, sagt er im «Tagesanzeiger».

Dazu gehört die gestützte radikal staatsablehnende Haltung, auch wenn der Mythos des Deutschen Reichs hierzulande fehle. Auch wenn die Zahl der Personen, die in der Schweiz reichsbürgerähnliche Ideologien vertreten, sehr klein sei, sei die Anhängerschaft gerade in den Pandemiejahren gewachsen.

Es handle sich um ein loses Netzwerk, das sich vor allem in den sozialen Medien vernetze, sagt Endrass. So wie der Mann aus dem Bezirk Pfäffikon, der die Aufnahme des Gesprächs mit dem Statthalter auf seinem Telegram-Kanal veröffentlicht hat. Mehrere Hundert Personen folgen ihm dort.

Fälle in allen Zürcher Bezirken 

Der Statthalter, der im Gespräch zu hören ist, arbeitet seit Ende des letzten Jahres nicht mehr in dieser Funktion. Im «Tagesanzeiger» sagt er rückblickend, er habe fast wöchentlich mit solchen Fällen zu tun gehabt. Er habe mit der Zeit rasch gemerkt, wenn er es mit Leuten aus der Reichsbürger-Szene zu tun gehabt habe. Häufig hätten diese beispielsweise argumentiert, sie hätten keinen Vertrag mit der Gemeinde. 

Die Folge sind unter anderem zahlreiche unbezahlte Bussen und unnötige Wartezeiten, wenn vorgeladene Personen nicht zu den Einvernahmen erscheinen oder wenn kein normales Gespräch möglich ist. Allein im Bezirk Pfäffikon gebe es jährlich rund 50 solcher Fälle. Ähnliche Fälle gibt es auch in anderen Zürcher Bezirken. 

Erst kürzlich hätten sich die Statthalter aus allen zwölf Zürcher Bezirken ausgetauscht. Das Phänomen sei überall bekannt, sagt der Statthalter von Uster im «Tagesanzeiger». Von 9000 behandelten Fällen im Jahr seien im Bezirk Uster rund 30 durch staatsablehnende und querulantische Handlungen aufgefallen. Seit der Pandemie gebe es vermehrt eine grundsätzliche ablehnende Haltung gegenüber dem Staat, so der Statthalter. 

Querulanten droht Haftstrafe

Auch die Zürcher Justiz ist sich des Phänomens bewusst. Laut der Zürcher Justizdirektorin Jacqueline Fehr (SP) zeige die Erfahrung vieler Behörden, dass sie es zunehmend mit Menschen zu tun hätten, die den Staat fundamental ablehnen. Problematisch werde es, wenn daraus eine grundsätzliche Ablehnung staatlicher Autorität entstehe.  

Das Phänomen, dass gewisse Bürgerinnen und Bürger den Staat als Firma bezeichnen und diesen auch so behandeln, bekamen beispielsweise die Bezirksgerichte Dielsdorf, Horgen und Dietikon zu spüren. Unbekannte änderten ihren Namen auf Google in «Bezirksgericht AG». Wie das umgesetzt worden ist, wissen die Gerichte nicht. 

Auch wenn Verschwörungstheoretikerinnen und Theoretiker nicht gleicher Meinung wie der Staat, «die Firma», sind: Konsequenzen haben ihre Handlungen allemal. Für unbezahlte Bussen oder Pfändungsverweigerung drohen Haftstrafen. Der Mann, der sich im Bezirk Pfäffikon querstellt, muss mit einer weiteren Strafe rechnen: Gegen ihn ist eine Anzeige hängig, weil er das Gespräch mit dem Statthalter illegal aufgezeichnet hat. 

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