Umstrittener Autobahn-AusbauMehr Spuren = mehr Sicherheit? Experten widersprechen Rösti
Dominik Müller
15.10.2024
Staus vermeiden und kein Ausweichverkehr in Dörfern und Agglomerationen mehr: Verkehrsminister Albert Rösti wirbt vor den Medien in Bern für ein Ja zum Ausbau der Nationalstrassen am 24. November.
Archivbild: Keystone
Dokumente aus dem Astra zeigen, dass ein Spurausbau von Autobahnen die Sicherheit meist verschlechtert – anders, als von Bundesrat Rösti behauptet. Der Berner VCS spricht von einer desaströsen Kommunikation.
Dominik Müller
15.10.2024, 17:14
Dominik Müller
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Der Bundesrat und das Ja-Komitee zum Autobahnausbau argumentieren unter anderem mit mehr Sicherheit für die Nationalstrassen.
Vom Astra durchgeführte Analysen zeigen aber, dass sich ein Spurausbau meist negativ auf die Verkehrssicherheit auswirkt.
Die widersprüchlichen Behauptungen reihen sich ein in mehrere irreführenden Aussagen aus Bundesrat Röstis Departement in den vergangenen Wochen.
Verkehrsorganisationen prüfen nun eine Abstimmungsbeschwerde.
In knapp sechs Wochen entscheidet das Schweizer Stimmvolk über den geplanten Ausbau der Autobahnen. Der Abstimmungskampf hat längst begonnen. Dabei hinterlässt das Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) von Bundesrat Albert Rösti bis anhin einen zweifelhaften Eindruck.
In den letzten Wochen wurde etwa bekannt, dass der geplante A1-Ausbau zwischen Nyon und Genf von vier auf sechs Spuren nach wenigen Jahren schon wirkungslos wäre. Schon im Jahr 2040 wäre gemäss einem Bericht des Bundesamtes für Strassen (Astra) die Kapazität erreicht und die Autos stünden wieder im Stau.
Bereits im August musste das Astra die hohe Zahl der Staustunden als «Hilfsgrösse» relativieren, die nach einem veralteten Ansatz von 2009 berechnet werde. Später korrigierte das Bundesamt für Raumplanung – wie das Astra bei Bundesrat Rösti angesiedelt – in einer Studie die Folgekosten des Autoverkehrs für Gesundheit und Umwelt auf fast den doppelten Betrag.
Und vergangene Woche wurde bekannt, dass die Kosten für die sechs Autobahnprojekte laut Zahlen des Astra ohne Teuerung 5,8 statt 4,9 Milliarden Franken betragen, wenn alle Aspekte wie Lärmschutz und Abwasser berücksichtigt werden.
Astra-Dokumente legen Widersprüche offen
Das neueste Kapitel: Die Behörden argumentieren im Abstimmungsbüchlein mit widersprüchlichen Aussagen für einen Ausbau, wie die Zeitungen von CH Media berichten. So steht dort prominent platziert, der Bundesrat wolle die «Sicherheit erhöhen». Auch Jürg Röthlisberger, Direktor des Astra, wirbt öffentlich regelmässig mit dem «Sicherheitsgewinn». «Ja zur Sicherung der Nationalstrassen», heisst der Slogan der Ja-Kampagne.
Allerdings zeichnen Dokumente des Astra, die CH Media vorliegen, ein anderes Bild. So zeigt eine Analyse, dass es auf Autobahnen relativ wenig Unfälle gibt. Nur 3 Prozent der Unfallschwerpunkte in der Schweiz von 2020 bis 2022 lagen auf Autobahnen.
Zudem wirke sich ein Spurausbau gemäss den Unterlagen meist negativ auf die Sicherheit aus. Mehr Spuren führen zu mehr Unfällen und zu mehr Unfallschwerpunkten, schreiben die Experten.
Nur in St. Gallen wird es deutlich sicherer
Auch bei vier der sechs geplanten Ausbauten, über die am 24. November abgestimmt wird, sei die Sicherheitsbilanz der Astra-Experten neutral bis klar negativ. So würden die zusätzlichen Spuren bei den zwei Berner Projekten deutlich mehr Unfälle verursachen. Das Astra schreibt von einem «Mehraufwand für die polizeiliche Verkehrsregelung und Überwachung».
Auch in Nyon falle die Bilanz negativ aus, in Schaffhausen neutral, beim Basler Rheintunnel leicht positiv. Einzig der Bau einer dritten Röhre des Rosenbergtunnels auf der A1 bei St. Gallen erhöhe die Sicherheit der Verkehrsteilnehmenden markant.
«Röstis Kommunikation ist ein Desaster»
Gemäss CH Media prüfen mehrere Verkehrsorganisationen aufgrund der Widersprüche eine Abstimmungsbeschwerde. Benjamin Zumbühl, Geschäftsleiter der Berner Sektion des Verkehrs-Clubs der Schweiz (VCS), bestätigt eine Prüfung auf Anfrage von blue News, kann zum jetzigen Zeitpunkt aber nicht genauer informieren.
Die Aussagen von Bundesrat Rösti und seinem Departement seien laut Zumbühl ein «Desaster, das einer Demokratie unwürdig ist». Es werde in den Berechnungen teilweise bewusst mit falschen Zahlen gearbeitet, obwohl präzisere Daten bereits vorliegen würden – politisches Kalkül statt faktenbasierter Information, so Zumbühl.
Man werde nun in der Nein-Kampagne versuchen, den tatsächlichen Sachverhalt aufzuzeigen. Das sei nötig, denn die Kommunikation von Bundesrat Rösti sei «nicht sachgerecht».
Beamte als «Spin Doctors»
Ein Sprecher des Astra relativierte auf Anfrage von CH Media die eigenen Bewertungen: Diese basierten «immer auf Annahmen und vereinfachenden und teilweise monetarisierten Modellen». Dies sei für ihn «kein Widerspruch».
Mitarbeitende der Bundeskanzlei konstatieren schon länger einen zunehmend unpräzisen Umgang mit Fakten und Zahlen im Uvek. Die Leute in Röstis Generalsekretariat würden nicht sachlich-objektiv, sondern als «Spin Doctors» mit «deutlich politischer Schlagseite» agieren.
Die fachliche Verantwortung für korrekte Angaben liegt bei den Spezialisten in den Bundesämtern und im Generalsekretariat. Zuletzt wurde aber bekannt, dass sich insbesondere das Astra vermehrt auf PR-Büros stützt: Führende Schweizer Agenturen erhielten millionenschwere Aufträge – meist im freihändigen Verfahren ohne offene Ausschreibung.