Jean Ziegler Rolle der Schweiz im Umgang mit Moria eine «Schande»

twei

13.9.2020

Jean Ziegler hat in seinem Leben viel Elend gesehen. Doch die Zustände in Moria schocken selbst den 86-Jährigen. In einem Interview hat Ziegler die Rolle der Schweiz nun scharf kritisiert.

Die Zustände im Flüchlingslager von Moria auf der griechischen Insel Lesbos waren schon lange alles andere als menschenwürdig. Nach dem verheerenden Brand ist von der Zeltstadt aber nur mehr Schutt und Asche übrig, und Tausende von Flüchtlingen stehen vor einer ungewissen Zukunft. 

Viele Staaten in Europa zeigten sich daraufhin solidarisch und nahmen unbegleitete Minderjährige auf – Deutschland und Frankreich etwa im Verbund mit anderen EU-Staaten 400 Flüchtlinge. Am Freitag zog dann auch die Schweiz nach, als das Staatssekretariat für Migration (SEM) mitteilte, rund 20 Kinder und Jugendliche aus dem niedergebrannten Lager in der Schweiz aufnehmen zu wollen.

Jean Ziegler schildert katastrophale Verhältnisse

Dem ehemaligen Nationalrat Jean Ziegler geht das nicht weit genug. Mehr noch: Im Interview mit «Blick» hat der 86-Jährige die Rolle der Schweiz scharf kritisiert. Es sei «eine Schande, dass das zweitreichste Land der Welt nur zwanzig von Tausenden unbegleiteten Flüchtlingskindern von den griechischen Inseln aufnimmt», so das schonungslose Urteil des einstigen SP-Politikers.



In Erinnerung an einen Besuch auf der griechischen Insel Lesbos vor einem Jahr zeichnete Ziegler ein schockierendes Bild. «Sie leben in riesigen Zelten mit 15 Personen, werden häufig sexuell belästigt. Sie haben niemanden, der sie verteidigt», berichtete er. «Wenn die Verzweiflung zu gross wird, stechen sie sich dann mit Messern in die Arme und Beine. Selbstverletzung und Selbstmord sind der letzte Hilfeschrei total verzweifelter Kinder», erklärte Ziegler.

Ein Wiederaufbau des Flüchlingslagers erscheint ihm jedoch wenig zielführend. Stattdessen richtete der Berater des UN-Menschenrechtsrats einen Appell an die Gesellschaft und forderte: «Die Flüchtlinge müssen kollektiv – alle! – aufs Festland. Von dort werden sie verteilt auf die 27 EU-Mitgliedsstaaten.»

Sieht das Handeln der Schweiz nach der Flüchtlingskatastrophe in Moria äusserst kritisch: Jean Ziegler. (Archivbild)
Sieht das Handeln der Schweiz nach der Flüchtlingskatastrophe in Moria äusserst kritisch: Jean Ziegler. (Archivbild)
Bild: Keystone

«Sie werden wir Tiere gehalten»

Auch gegenüber «Watson» erinnerte sich Ziegler an seinen Besuch in Moria. «Sie werden wie Tiere gehalten, hinter Stacheldraht, mit einer Toilette pro 100 Personen und einem Wasserhahn für 500», erläuterte er. Krankheiten seien weit verbreitet, und an Bildung für die unzähligen Kinder im Lager sei gar nicht zu denken gewesen.



Ausserdem sei er der Meinung, die EU präge eine Kultur der Abschreckung, wie Jean Ziegler weiter ausführte. «Die Flüchtlinge kommen so oder so, Tag und Nacht. Lesbos hat eine Küstenlinie von 322 Kilometern, mit vielen Buchten. Eine so lange Küstenlinie kann man nicht hermetisch abriegeln», befand er und nannte die Abschreckungsstrategie «total ineffizient«.

In der Verweigerung des Asyls durch die EU sieht der 86-Jährige zudem eine Verletzung von Menschenrechten. Das schonungslose Urteil von Jean Ziegler lautet: «Damit zerstört sie sich nicht nur die Glaubwürdigkeit, sondern das eigene Fundament, auf dem sie gebaut ist.»

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