1'700 alkoholgeschädigte Kinder Sechs Prozent der Schwangeren trinken bis zum Rausch

jka

4.2.2020

Jährlich werden knapp 2'000 Kinder geboren, die durch den Alkoholkonsum ihrer Mutter in der Schwangerschaft geschädigt wurden. Experten vermuten eine hohe Dunkelziffer. (Symbolbild)
Jährlich werden knapp 2'000 Kinder geboren, die durch den Alkoholkonsum ihrer Mutter in der Schwangerschaft geschädigt wurden. Experten vermuten eine hohe Dunkelziffer. (Symbolbild)
Bild: Keystone

Fast jede fünfte Schweizerin trinkt während der Schwangerschaft Alkohol. Dieser Konsum hat mitunter fatale Folgen – und wirft Fragen auf. 

Michelle Hunziker sorgte für einen mittelprächtigen Skandal, als sie während ihrer zweiten Schwangerschaft mehr als nur einmal mit einem Glas Weisswein oder einer Stange in der Hand gesichtet wurde. Dass schwangere Frauen auf Alkohol verzichten sollten, versteht sich in unserer Gesellschaft vermeintlich von selbst, denn: Das Baby trinkt mit

Nichtsdestotrotz konsumiert laut dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) fast jede fünfte Schwangere oder Stillende einmal pro Woche Alkohol, jede hundertste greift täglich zum Glas. Sechs Prozent schliesslich trinken mindestens monatlich vier oder mehr Gläser – eine Menge, die als «punktuell risikoreich» gilt. Jährlich kommen deshalb rund 1'700 alkoholgeschädigte Kinder zur Welt, so die «Aargauer Zeitung»

Sprechstörungen, Hyperaktivität, Lernschwierigkeiten, motorische Probleme, Impulsivität – die Schädigungen, die ein Baby davontragen kann, werden unter dem Kürzel FASD (Fetale Alkoholspektrumstörungen) zusammengefasst. 

Da die Symptome diffus sind und der Zusammenhang zu Alkoholkonsum in der Schwangerschaft häufig nicht auf der Hand liegt, kann davon ausgegangen werden, dass es eine hohe Dunkelziffer gibt.

Fehlbildungen im Gesicht und verminderte Intelligenz

Damit nicht genug: Das Robert-Koch-Institut schätzt, dass eines von 67 Kindern Alkohol konsumierender Schwangerer unter dem schwerwiegenden FAS (fetales Alkoholsyndrom) leidet – FAS meint die vollständige Ausprägung des FASD.

Betroffene haben Fehlbildungen im Gesicht, sind teils kleinwüchsig und weisen eine verminderte Intelligenz sowie eine verlangsamte Entwicklung auf. Das FAS wird sie ein Leben lang begleiten und einschränken – nicht zuletzt neigen sie zur Alkoholabhängigkeit.

Bisher gelang es nicht, wissenschaftlich zu belegen, ab welcher exakten Alkoholmenge Gefahr fürs Ungeborene besteht. Die Datengrundlage ist schlecht, und die Studien widersprechen sich: Während die meisten zum Schluss kommen, dass jeder Tropfen einer zu viel sei, bilanzieren andere, das eine oder andere Glas Wein läge drin.

Experten raten dazu, dem Alkohol während Schwangerschaft und Stillzeit gänzlich zu entsagen. Zu gross ist das Risiko, dass auch sehr moderater Konsum dem Kind schadet. Wieso also lassen so viele Schwangere ihr Glas nicht stehen? Sie müssten es hinsichtlich der gesellschaftlichen Aufklärung ja eigentlich besser wissen – oder? 

Kampagne will wachrütteln

Über die Gründe dafür kann nur spekuliert werden. Eine Möglichkeit ist, dass das Unwissen in der Gesellschaft vielleicht doch verbreiteter ist als angenommen. So ergab eine Umfrage im Auftrag der Fachstelle für Suchtprävention Berlin, dass 44 Prozent der Deutschen die Gefahren von Alkoholkonsum während der Schwangerschaft nicht kennen.

Um dem Problem Herr zu werden, müssen Alkoholflaschen etwa in Frankreich und England mit Warnhinweisen für Schwangere gekennzeichnet sein. In der Schweiz fehlt eine entsprechende gesetzliche Grundlage. Einen drastischeren Ansatz verfolgt die deutsche Kampagne «Too young to drink». Sie soll wachrütteln – mit Bildern von Ungeborenen, die statt in der Gebärmutter in Bier- und Schnapsflaschen schlafen.

Ein anderer Erklärungsansatz ist schliesslich, dass vor allem Frauen, die bereits zuvor risikoreich konsumierten, auch während der Schwangerschaft nicht auf Alkohol verzichten können. Hier sehen die Experten die Lösung vor allem in Prävention und plädieren für ein generelles Werbeverbot für alkoholhaltige Getränke. 

Michelle Hunziker bekräftigte jedenfalls einst als Reaktion auf jene zahlreichen Medienberichte, sie «habe lediglich genippt».

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