«Zögern, zaudern, wursteln» Deutschland wundert sich über die Schweizer Corona-Politik

Von Maximilian Haase

8.1.2022

Protest gegen die Schweizer Corona-Massnahmen in Bern. In Deutschland wundert man sich. (Archivbild).
Protest gegen die Schweizer Corona-Massnahmen in Bern. In Deutschland wundert man sich. (Archivbild).
KEYSTONE / Peter Schneider

Reagiert die Schweiz zu zögerlich auf Omikron und die steigenden Fallzahlen? Die Nachbarn in Deutschland wundern sich einmal mehr über die hiesige Corona-Politik. 

Von Maximilian Haase

8.1.2022

Die Omikron-Welle rollt, die Fallzahlen steigen, doch in Bern wartet man weiter ab. Schliessungen scheinen derzeit nicht geplant, dafür wird diskutiert, die Quarantänepflicht gleich ganz abzuschaffen. Bei manchen sorgt das für Kopfschütteln, davon zeugt auch der bereits im August von Jörg Kachelmann erfundene und aktuell trendende Twitter-Hashtag #DummWieDieSchweiz.

Wenig charmant drückt sich darin, gleichsam als Nachfolge des Hashtags #NichtMeinBundesrat, der Missmut über die Schweizer Corona-Politik aus, der bei einigen Beobachtern herrscht.

Die Kritik kommt in erster Linie von Schweizerinnen und Schweizern, während sich unsere deutschsprachigen Nachbarn zurückhaltender geben. Zumindest auf Twitter.

Abseits des sozialen Mediums wundert man sich in Deutschland durchaus über das Handeln der Schweizer Regierung. In den vergangenen Tagen erschien in den grossen deutschen Printmedien so manches Stück über die Schweizer Corona-Politik. Vorherrschend sind darin – wie schon in den vorigen Wellen – leichte Irritation bis völliges Unverständnis.

«Zögern, zaudern, wursteln»

«Zögern, zaudern, wursteln» überschrieb etwa «Zeit Online» eine Analyse der Situation im Nachbarland – allerdings verfasst vom Leiter des «Zeit»-Büros in Zürich. «In den Hallenbädern wird geschwommen, in den Clubs wird getanzt und in den Blasmusikvereinen getrötet; allerdings darf dies nur, wer geimpft oder genesen und dazu getestet ist», heisst es darin. Auch die Homeoffice-Pflicht kommentiert der Autor: «Diese wird aber weder strikt umgesetzt, geschweige denn kontrolliert.»

Die nicht ansteigende Belegung der Intensivbetten kommentiert der Text so: «Was nach den Massstäben der Schweizer Corona-Politik nach einer guten Nachricht klingt, vernebelt den Blick auf die tatsächlichen Gefahren der sich aufbauenden Omikron-Welle.» Der Bundesrat, heisst es, «verweigert seinen verletzlichen Bürgerinnen und Bürgern den notwendigen Schutz – und zwar zum wiederholten Mal».



Der Artikel beklagt etwa, wie Regierung, BAG und Swissmedic bei der Zulassung der Boosterimpfung «trödelten», dass die Impfung für Kinder erst spät zugelassen worden sei und dass in den Schulen «von Kanton zu Kanton ein anderes Corona-Regime» herrsche. «Dem Bundesrat scheint das egal zu sein», schliesst der Text. «Er zögert, er zaudert, er lässt die Kantone wursteln.»

Ein Seitenhieb auf die Urnengänge des Volks folgt zum Schluss auch noch: «Und dies, obwohl eine klare Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer in zwei Volksabstimmungen die Corona-Massnahmen bestätigt hat. Ein weltweit einmaliges Mandat. Man müsste es allerdings auch nutzen.»

«Schweizer Omikron-Roulette»

«Das Virus galoppiert, doch die Regierung wartet lieber ab», ist auch ein Artikel auf «Focus Online» betitelt, der sich dem «Schweizer Omikron-Roulette» widmet. Die Autorin fragt: «Kann das gutgehen?» Relativ nüchtern zählt der Artikel die in der Schweiz geltenden Massnahmen auf – und kommentiert: «Das sind zwar für Schweizer Verhältnisse relativ strenge Regeln. Doch sind sie streng genug, um die Infektionsdynamik, die durch Omikron noch verstärkt wird, zu brechen?»

Um zu einer Antwort zu gelangen, lässt die Autorin dann aber lieber Schweizer Expertinnen und Experten sprechen, bevor sie zu einem ähnlichen Schluss wie ihr «Zeit»-Kollege kommt: «Am Ende bleibt die Pandemie-Politik der Schweiz zurückhaltend, geradezu abwartend. Und das, obwohl der Bundesrat im Falle einer Massnahmenverschärfung eigentlich mit der Unterstützung der Bevölkerung rechnen könnte.»

«Erst mal abwarten»

Ähnliches kommt zur Schweizer Corona-Politik auch von der «Süddeutschen Zeitung», die ihren Artikel knapp mit «Erst mal abwarten» überschrieb. Wie die «Focus»-Kollegin analysiert die Autorin: «Für Schweizer Verhältnisse gelten derzeit relativ strikte Regeln.»

Auch hier lautet der Tenor, dass die Schweizer Regierung «damit ihrer eher abwartenden, zurückhaltenden Linie» treu bleibe. Und auch hier wird des Volkes Unterstützung besonders herausgestellt: «Das ist umso bemerkenswerter, als sie eigentlich mit Rückendeckung rechnen kann, was coronabedingte Einschränkungen angeht.»

Mit dem Ja bei der Abstimmung vom Juni seien «die zeitweise sehr lauten und auch gewalttätigen Gegner der Schweizer Corona-Politik überstimmt» gewesen und «in den vergangenen Wochen wieder in den Hintergrund» geraten, schreibt die Autorin. Und weiter: «Zu raschen Verschärfungen führt dieser Umstand aber offenkundig nicht.»