Cum-Ex-Geschäfte So wurde der deutsche Staat um Milliarden betrogen

lmy

22.12.2021

Gegen Hanno Berger läuft im hessischen Wiesbaden bereits ein Prozess. Er ist dort allerdings nicht erschienen, weshalb die deutsche Justiz ein Auslieferungsgesuch stellte.
Gegen Hanno Berger läuft im hessischen Wiesbaden bereits ein Prozess. Er ist dort allerdings nicht erschienen, weshalb die deutsche Justiz ein Auslieferungsgesuch stellte.
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32 Milliarden Euro sind deutschen Steuerämtern wegen sogenannter Cum-Ex-Geschäfte entgangen. Was steckt dahinter? Und welche Rolle spielte der deutsche Anwalt, den die Schweiz nun ausliefern will?

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Der deutsche Anwalt Hanno Berger darf an sein Heimatland ausgeliefert werden. Der 71-Jährige soll der Drahtzieher von sogenannten Cum-Ex-Geschäften sein, mit denen der Staat um rund 400 Millionen Euro geprellt worden sein soll. Er befindet sich momentan in Graubünden in Auslieferungshaft.

Die Justizministerien der Bundesländer Hessen und Nordrhein-Westfalen hatten ein Gesuch um Auslieferung gestellt, das vom Bundesamt für Justiz bewilligt worden war. Das Bundesstrafgericht hat nun eine Beschwerde dagegen abgewiesen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig und kann ans Bundesgericht weitergezogen werden.

Die deutschen Behörden führen gegen den Anwalt und weitere Personen ein Strafverfahren. Doch worum geht es überhaupt? Und was ist die Rolle von Berger?

Was funktionieren Cum-Ex-Geschäfte?

Die Beteiligten schoben um den Stichtag für die Ausschüttung von Dividenden Aktien mit («cum») und ohne («ex») Ausschüttungsanspruch rasch hin und her – so lange, bis dem Steueramt nicht mehr klar war, wem sie gehörten. Danach machten sie mehrfach Rückerstattungen für dieselbe Aktie beim Staat geltend. So erstattete der Staat die einmalig bezahlte Verrechnungssteuer mehrmals zurück.



Politik und Behörden schauten dem Treiben jahrelang zu und schritten erst spät ein. Mittlerweile wird gegen über 1000 Personen ermittelt. Mitte des Jahres hat der deutsche Bundesgerichtshof entschieden, dass gezielte Cum-Ex-Geschäfte als kriminell einzustufen sind.

Cum-Ex ist eine Form von sogenanntem Dividenden-Stripping, bei dem eine Aktie kurz vor dem Termin der Auszahlung verkauft und kurz danach zurückgekauft wird. Eine andere Form davon sind Cum-Cum-Geschäfte, bei denen man sich Verrechnungssteuern vom Staat erstatten lässt, obwohl überhaupt kein Anspruch darauf besteht.

Was war die Rolle von Berger?

Deutsche Medien bezeichnen Hanno Berger gern als den «Cum-Ex-Paten», eine Anklageschrift nennt ihn den «Spiritus Rector» der Geschäfte. Der ehemalige Finanzbeamte war zum Tatzeitraum als Anwalt und Steuerberater tätig.

Er gilt als einer der Architekten des Finanzmodells, das er laut den Behörden für reiche Privatkunden entwickelt und umgesetzt hat. Gegen aussen habe er die Geschäfte als rechtlich unbedenklich dargestellt. Von der Schadenssumme von insgesamt rund 400 Millionen Euro habe er 27 Millionen Euro erhalten.

Berger hatte sich vor neun Jahren ins Engadin abgesetzt, nachdem sein Büro in Frankfurt durchsucht worden war. Er hat die Vorwürfe stets bestritten und hält seine Geschäfte für ein legales Modell, um Steuern zu sparen. «Ich bin ein Mann des Rechts», sagte er etwa dem deutschen «Handelsblatt».

Wie gross ist der Schaden?

In Hessen geht es um 113 Millionen Euro, in Nordrhein-Westfalen um 279 Millionen Euro. Christoph Spengel von der Universität Mannheim schätzt den Schaden auf rund 55 Milliarden Euro, 32 Milliarden Euro davon seien deutschen Finanzämtern entgangen.

Laufen Prozesse zu Cum-Ex in der Schweiz?

Seit Kurzem nicht mehr – zwar standen ein deutscher Anwalt und zwei ehemaliger Mitarbeiter der Bank Sarasin vor Gericht. Den ehemaligen Bankern wurde vorgeworfen, dem Anwalt interne Dokumente zugespielt zu haben. Mithilfe dieser Dokumente soll dieser den Drogerie-Unternehmer Müller im Kampf gegen Sarasin vertreten haben.



In erster Instanz waren der Anwalt wegen Anstiftung zu Vergehen gegen das Bankengesetz und die ehemaligen Mitarbeitenden wegen Wirtschaftsspionage verurteilt worden. Doch das Zürcher Obergericht erklärte den ermittelnden Staatsanwalt wegen seiner Nähe zur Bank Sarasin für befangen und brach den Prozess ab.

Ist die Schweiz sonst nicht betroffen?

Doch, wobei das Ausmass unklar ist. Gemäss einer Untersuchung beläuft sich der Schaden für die Schweizer Steuerbehörden durch Cum-Ex-Geschäfte auf rund 5 Milliarden Euro. Die Eidgenössische Steuerverwaltung stoppte solche Tricks 2008 – im gleichen Jahr musste die Zürcher Kantonalbank nach einer Klage  112 Millionen Franken zurückzahlen, wie SRF berichtet. Im Kanton Waadt läuft derzeit eine Untersuchung gegen die dortige Kantonalbank.

Allerdings ist die rechtliche Situation nicht ganz klar, wie Juristin Monika Roth im Gespräch mit SRF ausführt. Die ESTV versuche, solche Geschäfte zu vermeiden, weil sie eine – illegale – Gesetzesumgehung seien. «Ob es deliktisch wäre im Sinne des Strafgesetzbuches, ist in der Schweiz nicht entschieden», so Roth.