Waadtländer Finanzdirektorin Schmückt sich Valérie Dittli zu Unrecht mit einem Doktortitel?

Von Monique Misteli

8.3.2023

Valérie Dittli nach der Präsentation des kantonalen Jahresbudgets 2023.
Valérie Dittli nach der Präsentation des kantonalen Jahresbudgets 2023.
Keystone

Um die Waadtländer Finanzdirektorin, die wegen ihrer Steuern in Bedrängnis geraten ist, tauchen neue Ungereimtheiten auf. Dies, obwohl sie mehr Transparenz versprochen hat. 

Von Monique Misteli

8.3.2023

«Transparenz» ist einer jener Werte, die mir extrem wichtig sind» hat Valérie Dittli (Die Mitte /VD) am Freitagabend in der Nachrichtensendung «Forum» des Westschweizer Radios RTS gesagt und vollumfängliche Klarheit versprochen. 

Neue Recherchen des «Tages-Anzeigers» zeigen nun, dass anstelle der angekündigten Transparenz neue Unstimmigkeiten und Irrtümer bei der Waadtländer Finanzdirektorin aufgetaucht sind. 

Nach der Steueraffäre, die am vergangenen Wochenende öffentlich wurde, geht es diesmal um Dittlis Anstellungsverhältnis an der Universität Lausanne sowie ihren Doktortitel.

50 oder 100 Prozent?

Der 30-Jährigen zufolge soll sie zwischen 2016 und 2020 mit einem 50-Prozent-Pensum an der Universität Lausanne als Doktorandin tätig gewesen sein. Auf Wunsch ihres Rechtsprofessors, an dessen Institut sie als Assistentin arbeitete, habe Dittli die meiste Zeit zu Hause in Oberägeri im Kanton Zug gearbeitet. 

Parallel dazu habe sie 50 Prozent für ein Projekt des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) gearbeitet und einen Rechtskommentar zum Erwachsenenschutz vom Französischen ins Deutsche übersetzt.

Doch: Gemäss der SNF-Datenbank war Dittli für kein Forschungsprojekt des Nationalfonds engagiert. Dementsprechend bezog sie auch kein Geld. Selbst ihr Professor, für den sie als Assistentin tätig war, hat gemäss Angaben des SNF nach 2014 kein Forschungsprojekt mehr durchgeführt.

Hinzu kommt, dass ein Arbeitspensum unter 60 Prozent von Professor*innen und Doktoranden an der Universität Lausanne nicht erlaubt ist. Dies, um den akademischen Nachwuchs vor beruflicher Ausbeutung zu schützen. Ausnahmen könnten nur mittels einer Spezialbewilligung genehmigt werden.

Im Fall Dittli ist keine Spezialbewilligung für ein geringeres Pensum eingereicht worden, wie ihr Rechtsprofessor, Philippe Meier auf Anfrage des «Tages-Anzeigers» mitteilt. Dittli sei laut Meier zu 100 Prozent an der Uni Lausanne angestellt gewesen, wovon sie die Hälfte ihrer Arbeitszeit für ihre Dissertation und die übrigen 50 Prozent für die Mitarbeit in Meiers Projekt verwendete. 

Doktorarbeit noch nicht veröffentlicht

Weitere Ungereimtheiten gibt es bezüglich Dittlis Doktortitel. Ihre Dissertation ist offenbar fertig, die die Finanzdirektorin im Sommer 2021 bei der sogenannten Disputation verteidigt hat. Doch die Doktorarbeit wurde bis heute nicht publiziert und der Lausanner Universitätsbibliothek bis heute keine Exemplare zur Verfügung gestellt – was das Reglement der Universität vorschreibt: Den Doktortitel darf nur tragen, wer seine Dissertation publiziert, und somit überprüfbar macht und der Bibliothek die verlangten Exemplare aushändigt. Gemäss eigenen Angaben der Uni würde die Doktoratsurkunde erst verschickt, wenn sämtliche Promotionsformalitäten erledigt seien.

Demnach dürfte die Waadtländer Finanzdirektorin ihre Urkunde bis heute nicht bekommen haben und den Doktortitel demnach noch nicht verwenden, wie der «Tages-Anzeiger» schreibt. 

Das ist insofern interessant, als dass Dittli während der Kandidatur für den Waadtländer Staatsrat im vergangenen Jahr als promovierte Rechtswissenschaftlerin auftrat. Auch auf der Website ihres Departements trägt Dittli den Titel Dr. iur., als Doktorin der Jurisprudenz.

«Es braucht Zeit, Verlage zu kontaktieren.»

Auch Dittlis Doktorvater, Rechtsprofessor Denis Piotet, hat keine Erklärung, warum die Dissertation noch nicht veröffentlicht sei. Er schreibt auf Anfrage: «Es braucht Zeit, Verlage zu kontaktieren und Vergleichsangebote einzuholen und allenfalls einen Zuschuss für die Publikationskosten zu beantragen.» Im Falle Dittli könne er nicht beurteilen, ob sie Zeit dafür hatte und könne die Frage deshalb auch nicht beantworten.

Steuersitz Zug oder Lausanne?

Die Medienberichte über den früheren Steuersitz der Waadtländer Finanzdirektorin Valérie Dittli (Mitte) im Kanton Zug haben am Dienstag auch im Grossen Rat hohe Wellen geworfen. Von linker Seite wurden Stimmen laut, die ein unabhängiges Steuergutachten fordern.

Der Präsident der SP Waadt, Romain Pilloud, forderte die Kantonsregierung dazu auf, ein solches Gutachten in die Wege zu leiten. «Es geht nicht darum, anzuklagen, sondern zu verstehen», sagte der SP-Abgeordnete am Dienstag im Kantonsparlament und kündigte an, dass seine Partei einen entsprechenden Vorstoss einreichen werde.

Dittli hatte in den Medien erklärt, sie habe einen Experten beauftragt, um Licht in ihre Steuersituation zu bringen. Für Pilloud ist es jedoch nicht Sache der Finanzministerin, ein solches Gutachten in Auftrag zu geben. Er forderte einen «neutralen» Prozess, der «frei von Interessenkonflikten» ist.

Hadrien Buclin erklärte für die Fraktion «Ensemble à Gauche/POP», neben einem unabhängigen Steuergutachten müsse auch die Problematik der «Abzüge für die Transportkosten zwischen Lausanne und Zug» angesprochen werden.

Das Westschweizer Fernsehen RTS hatte am vergangenen Freitag berichtet, dass die gebürtige Zugerin Dittli ihren steuerlichen Wohnsitz erst Anfang 2022 in Lausanne eingerichtet hatte, als sie sich für den Staatsrat bewarb. In den sechs Jahren zuvor hatte sie Steuern im Heimatkanton Zug bezahlt – trotz eines aktiven Lebens im Waadtländer Hauptort, etwa als Assistenzdoktorandin für Recht an der Universität Lausanne oder Mitte-Politikerin.

Dittli wies im TV den Vorwurf, Steuertourismus betrieben zu haben, von sich. Trotz ihres Engagements an der Universität Lausanne, aber auch in der Politik, sei sie damals immer davon ausgegangen, dass «ihr Lebensmittelpunkt» in Zug geblieben sei.

«Wir sprechen von meinem Leben als Studentin, Doktorandin, Praktikantin, in einem Alter, in dem man sich noch sucht, in dem alles offen ist», sagte sie und betonte, dass sie damals noch nicht gewusst habe, dass sie Staatsrätin werde, wie ihre berufliche Laufbahn aussehen und in welchem Kanton sie diese absolvieren werde.

Die 30-jährige Mitte-Politikerin versicherte, wenn ein Rechtsgutachten zum Schluss komme, dass sie zwischen 2016 und 2021 im Kanton Waadt hätte Steuern zahlen müssen, werde sie sich dem fügen und «die Konsequenzen ziehen».

* mit Material der Nachrichtenagentur SDA.

Deine Meinung interessiert uns

Findest du, man sollte den Doktortitel erst nach Publikation der Dissertation verwenden können?