Lohnenswerte Ziele Darum werden in der Schweiz so viele Bancomaten gesprengt

Von Andreas Fischer

1.12.2022

So gefährlich sind Bankomat-Sprengungen

So gefährlich sind Bankomat-Sprengungen

Ziel einer Versuchsreihe von fedpol und dem Forensischen Institut Zürich war es, mittels geeigneter Messmethoden Aussagen zu der Durchführbarkeit, der Wirkung und dem Schadenspotenzial von Bankomatsprengungen zu machen. Die Versuchsreihe wurde von der Bankomatherstellerin NCR, einer Bank sowie von der Sicherheitsfirma MIB unterstützt. Neben den Auswertungen des Forensischen Instituts Zürich und der Bundespolizei fedpol führten die externen Partner im Rahmen der Sprengversuche zusätzlich eigene Versuche mit Bankomaten-Schutzsystemen durch.

01.12.2022

Diesmal war das Baselbiet betroffen: In der Schweiz nehmen Kriminelle immer häufiger Bancomaten ins Visier, häufig mit Sprengstoff. Die wichtigsten Fragen und Antworten einer gefährlichen Entwicklung.

Von Andreas Fischer

1.12.2022

1. Dezember: Füllinsdorf BL. 17. November: Wynau BE. 4. November: Aesch BL, gleich zweimal. Im Oktober gab es mehrere Fälle in den Kantonen Luzern, Graubünden, Aargau, Zürich ... – Die Liste liesse sich noch lange fortsetzen. In der Schweiz sind in diesem Jahr sind bereits an die 50 Bancomaten gesprengt oder aufgebrochen wurden, bis Ende Jahr könnte ein neuer Rekord aufgestellt werden.

Beim bislang jüngsten Fall in Füllinsdorf BL war ein Bancomat im Einkaufszentrum Schönthal gesprengt worden. Verletzte gab es bei der Sprengung gemäss Mitteilung der Baselbieter Polizei nicht. Die Täterschaft entkam, allerdings ohne Bargeld.

Alle Bancomat-Angriffe 2022

  • 25.02.2022 – Raiffeisen 3507 Biglen BE
  • 02.03.2022 – BCV 1342 Le Pont (L'Abbaye) VD (attempted)
  • 28.03.2022 – Raiffeisen 6033 Buchrain LU
  • 29.03.2022 – AKB 5036 Oberentfelden AG
  • 04.04.2022 – ZKB 8422 Pfungen ZH
  • 04.04.2022 – Valiant 3280 Murten FR
  • 23.04.2022 – BKB 4153 Reinach BL
  • 11.05.2022 – SLB 4573 Lohn–Ammannsegg (Bätterkinden BE)
  • 12.05.2022 – Raiffeisen 1426 Concise VD
  • 21.05.2022 – Raiffeisen 2732 Reconvilier BE
  • 04.06.2022 – BCGE 1214 Vernier GE (attempted)
  • 04.06.2022 – Bank CLER 1202 Genève GE
  • 06.06.2022 – Bank CLER 4123 Allschwil BL
  • 13.06.2022 – Postfinance 2740 Moutier BE (attempted)
  • 16.06.2022 – Raiffeisen 4114 Hofstetten SO
  • 17.06.2022 – Raiffeisen 1255 Veyrier GE (attempted)
  • 17.06.2022 – Raiffeisen 1644 Pont–en–Ogoz FR
  • 20.06.2022 – Postfinance 2730 Tramelan BE (attempted)
  • 21.06.2022 – Raiffeisen 1568 Portalban FR
  • 24.06.2022 – Raiffeisen 3063 Ittigen BE (attempted)
  • 27.06.2022 – Raiffeisen 2718 Lajoux JU (attempted)
  • 01.07.2022 – Valiant 2350 Saignelégier JU (attempted)
  • 04.07.2022 – Bank CLER 8953 Dietikon ZH
  • 04.07.2022 – Bank CLER 6214 Schenkon LU
  • 06.07.2022 – Raiffeisen 2406 La Brévine NE (attempted)
  • 07.07.2022 – Bank CLER 4303 Kaiseraugst AG (attempted)
  • 09.07.2022 – Bank CLER 4056 Basel BS
  • 13.07.2022 – Bank CLER 3073 Gümligen BE (attempted)
  • 15.07.2022 – Bank CLER 4123 Allschwil BL
  • 17.07.2022 – EURONET 1180 Rolle VD (attempted)
  • 25.07.2022 – Raiffeisen 4245 Kleinlützel SO (attempted)
  • 01.08.2022 – XXX Place de Curala 1934 Le Châble VS
  • 10.08.2022 – Raiffeisen 5619 Büttikon AG
  • 11.08.2022 – Raiffeisen 4412 Nuglar SO
  • 08.09.2022 – Raiffeisen 3176 Neuenegg BE
  • 09.09.2022 – Bank CLER 8957 Spreitenbach AG
  • 14.09.2022 – Migrosbank 1933 Sembrancher VS (attempted)
  • 16.09.2022 – Raiffeisen 6247 Schötz LU
  • 26.09.2022 – Raiffeisen 1873 Val–d'Illiez VS
  • 07.10.2022 – Raiffeisen 1728 Rossens FR
  • 10.10.2022 – EURONET 8406 Winterthur ZH
  • 11.10.2022 – Raiffeisen 5704 Egliswil AG
  • 18.10.2022 – Banca Popolare di Sondrio 7608 Castasegna GR
  • 20.10.2022 – EURONET 8340 Hinwil ZH
  • 22.10.2022 – Raiffeisen 6260 Mehlsecken LU
  • 25.10.2022 – Bernerlandbank 4952 Eriswil BE
  • 04.11.2022 – BLKB 4147 Aesch/BL
  • 10.11.2022 – EURONET 7516 Maloja GR
  • 17.11.2022 – Raiffeisen 4923 Wynau BE
  • 25.11.2022 – Raiffeisen 1643 Gumefens FR
  • 25.11.2022 – Postfinance 3930 Eyholz VS
  • 01.12.2022 – BLKB 4414 Füllinsdorf BL
  • Stand: 1.12.2022 / Quelle: Fedpol

Die Anzahl der Fälle von gesprengten oder anderweitig aufgebrochenen Bancomaten nimmt seit einigen Jahren deutlich zu. Das war zuletzt auch im Jahresbericht des Bundesamts für Polizei (Fedpol) zu lesen.«Seit 2018 ist die Anzahl der Bancomat-Angriffe generell angestiegen in der Schweiz», weiss Fedpol-Mediensprecherin Berina Repesa. «Das hat sicherlich damit zu tun, dass die Schweiz ein lohnenswertes Ziel für Bancomat-Angriffe ist», sagt sie im Gespräch mit blue News.

Warum werden Bancomaten zuletzt immer häufiger angegriffen?

Für die moderne Art von Banküberfällen ist die Schweiz ein lohnenswertes Ziel: «Lohnenswert im Sinne von: Wir haben in der Schweiz ein sehr dichtes Bancomaten-Netz. Dazu kommt, dass die Schweiz keine Insel ist: Die Angreifer können an vielen Grenzübergangen einreisen und nach der Tat schnell ausser Landes fliehen», erläutert Berina Repesa.

Vor allem das dichte Geldautomaten-Netz wissen die Täter zu schätzen. Gemäss einer Studie der Hochschule Luzern gab es im August 2022 6'570 Bancomaten in der Schweiz.

Angriffe auf Geldautomaten gibt es aber nicht nur in der Schweiz, sagt Repesa. «Weil aber zum Beispiel die Niederlande vor allem in der Prävention und der Sicherung der Bancomaten verstärkt dagegen vorgegangen sind, mussten sich die Automatensprenger andere Ziele suchen.» Es liesse sich vermuten, dass sich die kriminellen Aktivitäten aufgrund der verstärkten Abwehrmechanismen der Banken und des Drucks von Strafverfolgungsbehörden in anderen Ländern in die Schweiz verlagert haben. «Entsprechend gilt es, sich an den Best-Practices aus dem Ausland zu orientieren», fordert die Fedpol-Sprecherin.

Zudem haben Banken in den europäischen Nachbarstaaten einfache, aber wirksame Massnahmen ergriffen, um die Automaten zu schützen. Sie werden häufiger gefüllt, einige abends sogar geleert.

Wie gefährlich sind die Sprengungen?

Verwenden Kriminelle Explosionsmittel, entstehe nicht nur grosser Schaden, sondern die Sprengsätze bedeuteten ein ernsthaftes Risiko für Leib und Leben, schreibt das Fedpol im Jahresbericht. In Gefahr seien Anwohner*innen, Personen, die zur falschen Zeit am falschen Ort seien oder auch ausrückende Einsatzkräfte. Denn nach versuchten Sprengungen wurden mehrmals ungezündete Sprengladungen vorgefunden.

«Die Sprengungen haben zugenommen», sagt Berina Repesa. «Es wird vorzugsweise mit selbst hergestellten Sprengsätzen gearbeitet.» Davon gehe eine besondere Gefahr aus, vor allem wenn die Automaten in Wohnhäusern eingebaut sind. Wie gefährlich eine Bancomat-Sprengung ist, zeigen Testsprengungen*, die das Forensische Institut Zürich zusammen mit der Bundespolizei Fedpol zu Demonstrationszwecken gemacht haben – zu sehen im Video oben.

Wie viel Geld erbeuten die Täter bei Bancomat-Sprengungen?

Viele Bancomaten sind für die Banken ein Verlustgeschäft, weil sie zu wenig genutzt werden: Teilweise verzeichnen sie nur eine Transaktion pro Stunde. Um Kosten zu sparen, füllen die Banken diese Geldautomaten nur selten auf: Das heisst aber auch, dass nach einer Auffüllung des Bargeldbestands enorme Summen im Tresorfach lagern – in einigen Fällen mehr als 500'000 Franken, wie die «Aargauer Zeitung» berichtet.

Konkrete Zahlen geben die Banken nicht heraus, auch die Höhe der Beute wird unter Verschluss gehalten. Auf eine entsprechende Nachfrage von blue News antwortet die Raiffeisenbank als Betreiberin des schweizweit dichtesten Bancomaten-Netzes: «Aus sicherheitstechnischen Gründen äussert sich Raiffeisen nicht zu Schadens- und Deliktsummen.»

Wie viel Geld in den Automaten liegt, wisse auch das Fedpol nicht oder könne es nicht kommunizieren, sagt Repesa. «Nur so viel: Wenn es sich nicht lohnen würde, hätten wir nicht die hohe Anzahl von Sprengungen oder anderen Angriffen auf Bancomaten.»

Welche Regionen sind besonders von Bancomat-Sprengungen betroffen?

Betroffen seien nicht nur die Grenzregionen, sondern mittlerweile «die Mehrheit der Kantone», macht das Fedpol deutlich. Das habe auch wieder etwas mit der Grösse der Schweiz zu tun, wie Sprecherin Repesa sagt: «Auch aus Luzern kann man in ein, zwei Stunden die Schweiz verlassen.»

Die Täterschaft, die laut Fedpol aus unterschiedlichen europäischen Ländern, insbesondere aber aus osteuropäischen Ländern wie Rumänien sowie aus den Niederlanden und Frankreich stammt, nutze häufig gestohlene Fahrzeuge mit gestohlenen oder gar keinen Kontrollschildern. Die Kriminellen würden bewusst Kantons- und Landesgrenzen überschreiten, um die Chancen, erwischt zu werden, zu minimieren.

Bei den Angriffen auf Bancomaten würde sich laut Fedpol eine Art Stadt-Land-Graben auftun: «Bei Bancomaten, die etwas abgeschiedener sind, ist das Risiko viel grösser, dass sie einem Angriff zum Opfer fallen.» Die Erkenntnisse teile Fedpol mit den Banken und berate sie auch bezüglich der Standortwahl.

Sind die Bancomaten in der Schweiz ausreichend geschützt?

Allein schon ob der grossen Anzahl der Bancomaten sei dies schwierig zu beurteilen, sagt Repesa. «Es gibt durchaus Möglichkeiten, die Bancomaten zu schützen: mit Farbpatronen etwa.» Als besonders effektiv hätten sich im Ausland Klebstoffpatronen erwiesen. «Welche Massnahmen umgesetzt werden, liegt schlussendlich an den Banken.»

Raiffeisen Schweiz gibt aus sicherheitstechnischen Gründen keine Auskunft zu konkret getroffenen Schutzmassnahmen. Man analysiere das Sicherheitsteam die aktuelle Sicherheitslage detailliert und leite daraus allfällige Massnahmen ab, wie Mediensprecher Jan Söntgerath gegenüber blue News äussert. «Zudem steht Raiffeisen in regelmässigem Kontakt mit Vertreterinnen und Vertretern anderer Banken, der Polizei, der Fedpol und Bancomat-Lieferanten, um weitere Sicherheitsmassnahmen umzusetzen.»

Wird das Bancomaten-Netz jetzt ausgedünnt, insbesondere auf dem Land?

Die Bargeldversorgung in ländlichen Region könnte schwieriger werden, wenn die Banken dort aus Angst vor Angriffen keine Bancomaten mehr aufstellen. «Wo die Bancomaten aufgestellt und wie sie geschützt werden, entscheiden die Banken. Wir können sie nur beraten», sagt Repesa.

Bereits seit 2020 nimmt die Zahl der Bancomaten generell wieder etwas ab. Damals waren 7240 Geldautomaten schweizweit im Einsatz. Im August 2022 waren es 10 Prozent weniger. Dennoch findet der grösste Teil der Schweizer Bevölkerung (92 Prozent), dass es genug Möglichkeiten gibt, um Bargeld zu beziehen, wie die Hochschule Luzern aus einer Zahlungsmittelumfrage der Schweizerischen Nationalbank zitiert.

«Der Entscheid, wie viele und an welchen Standorten Bancomaten geführt werden, liegt in der Verantwortung der einzelnen Raiffeisenbanken und Niederlassungen von Raiffeisen Schweiz», erklärt Jan Söntgerath. «Vereinzelt wurden vor allem exponierte Bancomaten an Drittstandorten und in Grenznähe nach Angriffen nicht mehr ersetzt.» Insgesamt rechnet man bei Raiffeisen Schweiz aufgrund veränderter Bedürfnisse der Bankkundinnen und -Kunden «in den kommenden Jahren mit einer langsamen, aber stetigen Reduktion der Bancomaten-Population.»

* Ziel der Versuchsreihe war es, mittels geeigneter Messmethoden Aussagen zu der Durchführbarkeit, der Wirkung und dem Schadenspotenzial von Bancomatsprengungen zu machen. Die Versuchsreihe wurde von der Bancomatherstellerin NCR, einer Bank sowie von der Sicherheitsfirma MIB unterstützt. Neben den Auswertungen des Forensischen Instituts Zürich und der Bundespolizei Fedpol führten die externen Partner im Rahmen der Sprengversuche zusätzlich eigene Versuche mit Bancomaten-Schutzsystemen durch.