Neueste Erkenntnisse Das wissen die Forscher über die Rolle der Kinder in der Pandemie

Von Maximilian Haase

31.5.2021

Immer wieder dreht sich alles um die Frage: Wie ansteckend können Kinder sein? (Symbolbild)
Immer wieder dreht sich alles um die Frage: Wie ansteckend können Kinder sein? (Symbolbild)
Sebastian Gollnow/dpa

Sind Kinder so ansteckend wie Erwachsene? Sollten 12-Jährige geimpft werden? Die Rolle von Kindern und Jugendlichen in der Pandemie ist noch immer nicht ganz geklärt. Was die Forschung aktuell weiss – und was nicht.

Von Maximilian Haase

31.5.2021

Erst lautete das Mantra, Kinder seien keine Treiber der Pandemie. Nun wird erwartet, dass der Impfstoff von Biontec/Pfizer bald auch für 12- bis 15-Jährige freigegeben wird. Während sich etwa im Kanton Zürich bereits ein Fünftel aller Schulkinder infiziert hat, heben Kantone wie St. Gallen, Graubünden und Schwyz die Maskenpflicht für Schüler der Sekundarstufe I auf. Gegen die Forderung, diese Aufhebung auf alle Kantone auszudehnen, wehrt sich wiederum der Lehrerverband.

Klar scheint vor allem: Geht es um Kinder und Jugendliche in Zeiten des Coronavirus, scheiden sich die Geister und Meinungen.



Das liegt auch an den noch immer unzureichenden wissenschaftlichen Erkenntnissen: Die derzeitige Literatur erlaube «keine präzise Bestimmung des Zusammenhangs zwischen dem Alter einer Person und der Wahrscheinlichkeit, sich mit dem Virus zu infizieren oder es zu übertragen», schreibt etwa die Covid-Taskforce in einer Stellungnahme zum Thema. Weitere Studien seien erforderlich. 

Doch was sagt der aktuelle Stand der Forschung zur Rolle der Kinder in der Pandemie? Welche Fakten gelten als gesichert? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Sind Kinder so ansteckend wie Erwachsene?

Auch nach Monaten der Forschung ist noch nicht endgültig klar, ob Kinder sich mit derselben Wahrscheinlichkeit anstecken wie Erwachsene und wie ansteckend sie im Vergleich zu Erwachsenen sind. «Jüngere Kinder scheinen weniger anfällig für eine Infektion zu sein, obwohl es dazu immer noch zu wenig verlässliche Daten gibt», schreibt das Bundesamt für Gesundheit (BAG).

Unklar ist die Lage auch mit Blick auf die Wahrscheinlichkeit, andere anzustecken: Der Zusammenhang zwischen Alter und Infektiosität sei «ungewiss», schätzt die Taskforce die Lage ein. Das liege erstens daran, dass Menschen «mit wenigen oder keinen Symptomen nicht routinemässig getestet» würden, was bei Kindern häufiger der Fall sei.

Zudem sei es schwierig, «die verschiedenen Faktoren zu entflechten, die die Übertragung beeinflussen können», etwa die Virusvariante, die Intensität und Dauer der Exposition. Studien deuteten jedoch darauf hin, «dass die Viruslast bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, die zum gleichen Zeitpunkt nach Auftreten der Symptome getestet wurden, ähnlich zu sein scheint».

Was sagen aktuelle Studien dazu?

Laut aktueller Ciao-Corona-Studie , die 2500 Schulkinder zwischen 6 und 16 Jahren untersuchte, sei der Anteil Kinder, die eine Infektion durchgemacht und Antikörper entwickelt haben, seit Juni 2020 von 2 auf 19 Prozent gestiegen. Die Infektionsrate sei «damit vergleichbar mit jener der Eltern und des Schulpersonals». 

Ähnliches gilt auch für die Infektiösität: Eine in der Zeitschrift «Science» veröffentlichte Studie eines Forschungsteams um den deutschen Virologen Christian Drosten habe den Eindruck «einer ungefähr gleich grossen Infektiosität aller Altersgruppen» bestätigt, hiess es in einer Mitteilung der Berliner Charité, deren Virologie-Institut Drosten leitet. 

Allerdings: In den Proben von Kindern bis 5 Jahren habe man die niedrigsten Viruslasten gefunden, während sich die Werte bei älteren Kindern und Jugendlichen mit steigendem Alter denen der Erwachsenen angeglichen hätten, heisst es in der Mitteilung. «Die Viruslast-Unterschiede bei den jüngsten Kindern liegen gerade noch unterhalb der Grenze dessen, was man als klinisch relevant betrachten würde», wird Drosten zitiert.

Aber woher kommen die Unterschiede? Bei Kindern würden laut Drosten «deutlich kleinere Abstrichtupfer eingesetzt, die weniger als halb so viel Probenmaterial in die PCR-Testung einbringen. Ausserdem werden bei ihnen statt der schmerzhaften tiefen Nasenrachen-Abstriche oft einfache Rachenabstriche gemacht, in denen sich noch mal weniger Virus findet». Man erwarte bei Kindern mit gleicher Virusvermehrung daher «von vorne herein geringere Viruslast-Messwerte in der PCR».

Beziehe man diese Unterschiede in die Analyse mit ein, bestätige sich Drosten zufolge «der anfängliche Eindruck, dass Kinder genauso infektiös sein können wie Erwachsene». Erste Daten der Studie waren bereits vor einem Jahr auf einem Preprint-Server veröffentlicht worden und hatten für eine Diskussion über korrekte Datenauswertung geführt.

Wiederum eine andere Studie, durchgeführt von der TU Berlin und der Charité, kam kürzlich zum Ergebnis, dass Kinder viel weniger Aerosole ausstossen als Erwachsene. «Kinder im Grundschulalter emittierten beim Sprechen eine Anzahl von Partikeln in der Grössenordnung wie Erwachsene beim Atmen, und beim Singen emittierten sie ähnlich viele Partikel wie Erwachsene beim Sprechen», sagte Dirk Mürbe, Direktor der Klinik für Audiologie und Phoniatrie an der Charité, der dpa.

Die geringere Anzahl der ausgestossenen Aerosole sowie Testkonzepte führten laut Mürbe «zu einer differenzierteren Bewertung der Infektionsgefahr und zu besseren Rahmenbedingungen im Unterricht und im ausserschulischen Bereich». Die Studie wurde jedoch noch nicht in einer Fachzeitschrift publiziert.

Welche Symptome zeigen Kinder bei einer Infektion?

Der Ciao-Corona-Studie zufolge bleiben zwei Drittel der Kinder und Jugendlichen symptomfrei. «Bei Kindern ist der Krankheitsverlauf meist weniger schwer und sie haben oft keine oder milde Symptome», meldet auch das Bundesamt für Gesundheit (BAG).

Zeigen sich bei ihnen Symptome, seien diese «im Allgemeinen milder als bei Erwachsenen», heisst es im Bericht der Covid-Taskforce. Wichtig sei es aber, zwischen den verschiedenen Altersgruppen zu unterscheiden.

Während Jugendliche oft ähnliche Symptome aufwiesen wie Erwachsene, hätten kleine Kinder «oft unspezifische Symptome wie Fieber, Husten oder auch Durchfall», zitiert SRF Christoph Berger, Leiter der Infektiologie am Kinderspital Zürich.

Wie gross ist das Risiko eines schweren Verlaufs bei Kindern?

Laut Taskforce sind schwere Verläufe weniger häufig als bei Erwachsenen. Kinder können «an Long-Covid leiden und können ein schweres Krankheitsbild entwickeln, das sogenannte Pädiatrische multisystemische inflammatorische Syndrom, das zeitlich mit Covid-19 assoziiert ist (PIMS-TS)». Häufigkeit und Merkmale dieser Verläufe seien jedoch noch nicht geklärt. 

Häufig von PIMS-TS betroffen seien Kinder zwischen 3 und 12 Jahren, sagt Christoph Berger zu SRF: «Diese Kinder zeigen verschiedene Manifestationen, werden ins Spital aufgenommen und fast die Hälfte von ihnen muss kurzfristig auf die Intensivstation.»

Der Ciao-Corona-Studie zufolge leiden 4 Prozent der infizierten Kinder und Jugendlichen an Symptomen, die den Long-Covid-Symptomen ähneln.  Aber: Bei Kindern, die keine Antikörper gegen das Virus gebildet haben, weisen ebenfalls 2 Prozent derlei Symptome auf. «Es bleiben 2 Prozent, die die Symptome vielleicht wegen Corona haben oder aus einem anderen Grund verzögert wieder fit werden», sagt Berger im Gespräch mit SRF. Er sei «nicht überzeugt, dass das wegen des Virus oder wegen der Gesamtsituation ist».

Virologe Christian Drosten sagte im NDR-Podcast «Coronavirus-Update» kürzlich, dass eine Corona-Infektion möglicherweise bei Kindern aber nicht so harmlos sei wie teils in der Öffentlichkeit dargestellt. Noch wisse man nicht, wie es sei, wenn sich grosse Gruppen von Kindern ansteckten. 

Sollten Kinder geimpft werden?

Offizielle Empfehlungen dazu gibt es in der Schweiz noch nicht. «Die Impfung von Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren ist derzeit nicht vorgesehen. Es fehlen momentan die entsprechenden Studiendaten für diese Altersgruppen», schreibt etwa das BAG noch auf seiner Seite. Allerdings vermutet das BAG, dass die Zulassung des Biontech/Pfizer-Impfstoffes für Kinder unter zwölf Jahren kurz bevorstehe.

«Wir müssen allmählich von der ‹Ausnahmesituation Pandemie› in die Zukunft schauen, und ob es möglich ist, Kinder zu impfen», zitiert SRF auch Christoph Berger. Dafür brauche es aber noch Studien.

Die Covid-Taskforce empfiehlt in ihrem Bericht von Ende April, die Möglichkeiten zu schaffen, auch Jugendliche und Kinder «durch Impfung zu schützen, sobald die Impfstoffe dafür zugelassen werden». Die Planung sollte laut Bericht darauf ausgerichtet werden, dass Adoleszente zwischen 12 und 16 Jahren ab Juli 2021 und Kinder unter 12 frühestens Ende 2021 geimpft werden könnten.

Mit Material von dpa