Klimawandel Platz da, Herdöpfel – wie Exoten unsere Felder erobern

Von Gil Bieler

7.4.2020

Wegen des Klimawandels werden die Sommer extremer. Als Folge davon wird hierzulande der Anbau exotischer Sorten möglich. Schon von Quinoa, Süsskartoffeln und Sorghum aus der Schweiz gehört?

Trotz Lockdown, der nächste Sommer kommt bestimmt. Und es gibt eine reelle Chance, dass es ein heisser wird – die Hitzewellen häufen sich schliesslich in der Schweiz. Der Sommer 2019 war der drittheisseste seit Messbeginn 1864, und auch 2018, 2017 und 2015 waren von Hitze geprägt.

Für die Landwirtschaft ergeben sich dadurch Probleme, aber auch neue Möglichkeiten. So könnten in der Schweiz bald einmal neue Sorten angebaut werden, die besser für die Herausforderungen des Klimawandels angepasst sind. So experimentieren einige Landwirte mit Quinoa und Reis aus Nassanbau, und auch Süsskartoffeln und Sorghum, eine aus Afrika stammende Pflanze, werden immer beliebter.

Bei Agroscope, dem Kompetenzzentrum des Bundes für landwirtschaftliche Forschung, laufen seit 2018 Anbauversuche mit Sorghum für die Nutzung als ganze Pflanze. Im Mai wird am Standort Reckenholz in Zürich-Affoltern erneut gesät – sofern es die Coronavirus-Krise zulässt.

Eine Alternative zu Mais

Während Sorghum in Afrika zu Brei verkocht auch im Teller landet, dient es in der Schweiz bisher vor allem als Futtermittel, wie Jürg Hiltbrunner, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Agroscope, erklärt. Wird die ganze Pflanze geerntet, wird Sorghum wie Gras oder Mais verfüttert. Werden nur die Körner geerntet, ist es eine Alternative zu Körnermais. Und immerhin: Auch ein Whiskey-Produzent habe schon Interesse an den Körnern bekundet.



Die Forscher von Agroscope haben bereits zwischen 2009 und 2011 erste Versuche mit Sorghum für die Körnernutzung durchgeführt. «Wir sind aber keineswegs Pioniere», sagt Hiltbrunner. Auch verschiedene Landwirte hätten schon vor mehr als zehn Jahren damit begonnen, das afrikanische Getreide anzubauen. Die Anbaufläche blieb aber bisher bescheiden – knapp 300 Hektar, was rund 300 Fussballfeldern entspricht, dürfte sie etwa schweizweit messen. 

Nach dem heissen und trockenen Sommer 2015 wollte Agroscope die Forschung zu Sorghum aber wieder vorantreiben. «Wir hatten gesehen, dass viele der Bauern, die es mit Sorghum versucht haben, den Anbau bald wieder einstellten.» Bei den Anbauversuchen werden nun verschiedene Sorten untersucht und miteinander verglichen. Dabei habe sich gezeigt, dass der Ertrag einiger Sorten bei Trockenheit grösser sei als jener bei Mais, so Hiltbrunner. Was die Qualität angehe, seien noch aufwendige Laboranalysen nötig.

Den Krähen schmeckt Sorghum nicht

Im Vergleich zu Mais hat Sorghum Vorteile: Die Hitze- und Trockenheitsresistenz mache es etwa für den Anbau in Gegenden attraktiv, in denen im Sommer öfters das Wasser fehle – zum Beispiel in der Region Basel oder am Genfersee. Zudem verschonen Krähen und Wildschweine, die gern mal über Maisfelder herfallen, das exotische Gewächs. Auch Schädlinge wie Maiszünsler und Maiswurzelbohrer lassen die Pflanzen in Ruhe.

Hiltbrunner sieht in Sorghum eine Möglichkeit für Landwirte in geeigneten Regionen, das Risiko auf verschiedene Pflanzen zu verteilen: «Man weiss schliesslich immer erst im Nachhinein, wie das Wetter wird.» Setze ein Bauer neben Mais auch auf das afrikanische Gewächs, könne er im Falle eines Schädlingsbefalls oder extremer Trockenheit immerhin einen Teil des Futterbedarfs sichern.

Süsskartoffeln aus dem Seeland

Ebenfalls nach dem Extremsommer 2015 startete man bei Agroscope die ersten Versuche mit Süsskartoffeln. Das süssliche Gemüse stammt ursprünglich aus Zentralamerika und ist übrigens nicht mit unserem Herdöpfel verwandt. Die Süsskartoffel fühlt sich bei Temperaturen über 20 Grad wohl und hat eine sehr grosse Hitzetoleranz – Temperaturen unter zehn Grad dagegen verträgt sie nicht.



Seither haben immer mehr hiesige Landwirte das süssliche Gemüse entdeckt. Zwei Produzenten aus dem Seeland erhielten für ihre Süsskartoffel-Produktion 2018 sogar den Landwirtschaftlichen Innovationspreis des Kantons Freiburg.

Auch bei Agroscope ist man sich sicher: Der Anbau von Süsskartoffeln in der Schweiz ist nicht nur machbar, diese Nutzpflanze ist wegen ihrer Hitzebeständigkeit auch besser gegen «extreme Temperaturen» gewappnet, «wie wir sie in den letzten Jahren erlebt haben», sagt Brice Dupuis, Projektleiter bei Agroscope.

Weil ihr kalte Nächte nicht bekommen, eignet sich die Süsskartoffel vor allem für den Anbau im Flachland. «In der Höhe hat sie wahrscheinlich nicht genügend Zeit, sich zu entwickeln.» Ausserdem gibt es laut Dupuis einige Kriterien zu beachten, wie: Nicht zu früh einpflanzen, da im Frühling Temperaturstürze drohen. Und: Nach der Ernte müssten die Knollen gut eine Woche lang bei Temperaturen von 25 Grad bearbeitet werden, um die Haut zu härten. Sonst halten sie nicht lang.

Doch trotz wachsender Beliebtheit: Die Gefahr, dass wir in ein paar Jahren nur noch Süsskartoffeln statt Herdöpfel essen, sieht Dupuis nicht. «Man darf die Süsskartoffel nicht als Ersatz für die Kartoffel betrachten», sagt er. Sie sei vielmehr eine Ergänzung für jene Landwirte, die sich eine weitere Einnahmequelle erschliessen wollten. An der traditionellen Rösti wird also auch der Klimawandel vorerst nichts ändern.

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