Vorfälle in LausanneEx-Polizist: «Das Ziel war es, Druck auf Afrikaner auszuüben»
tafi
23.6.2020
Seit dem Tod von George Floyd ist die Rassismusdebatte auch in der Schweiz angekommen. Nun gerät die Lausanner Polizei in Kritik. Beamte sollen unter anderem die Pässe von Schwarzen Menschen zerreissen.
Systematisch fremdenfeindlich sei die Polizei in Lausanne nicht, sagt Aline Bonard. «Aber gewisse Leute wären in einem anderen Beruf besser aufgehoben.» Die Anwältin berichtet in einer Reportage des «Tages-Anzeigers» von zahlreichen Fällen, in denen die Polizei der Westschweizer Stadt mit Gewalt gegen dunkelhäutige Menschen vorgeht.
Vor dem Hintergrund des Todes des Afroamerikaners George Floyd im US-Bundesstaat Minnesota ist die Rassismusdebatte längst in der Schweiz angekommen. Auch hierzulande ist institutioneller oder struktureller Rassismus ein Problem. «Er ist überall. Schwarze Menschen erleben ihn jeden Tag – durch die Polizei, die Zivilgesellschaft oder auf dem Arbeitsmarkt», sagt etwa der Zürcher Wilson A. gegenüber «Bluewin».
Der aus Nigeria stammende Familienvater sagt, er sei bei einer Kontrolle im Tram 2009 von Polizisten zusammengeschlagen und gewürgt worden. Einer hatte geglaubt, Wilson sei ein zur Fahndung ausgeschriebener Nordafrikaner.
Heftige Vorfälle in Lausanne
Auch in Lausanne sind Übergriffe auf dunkelhäutige Menschen keine Seltenheit, wie der «Tages-Anzeiger» recherchiert hat. Sozialarbeiter berichten, dass Polizisten die Pässe von Afrikanern zerrissen oder von den Leuten unter fadenscheinigen Gründen Geld konfiszierten, ohne Quittungen auszustellen. An einer Notschlafstelle hätten Polizisten Schlafsäcke mit Pfefferspray eingesprüht, um sie unbrauchbar zu machen.
2018 starb ein 40-jähriger Mann aus Nigeria nach einer Polizeikontrolle, 2006 wurde ein 16-Jähriger mit Pfefferspray eingenebelt und im Wald ausgesetzt worden. In einigen Fällen kommt es gemäss «Tages-Anzeiger» zur Anzeige, in vielen weist die Polizei jegliche Kenntnis solcher Vorfälle von sich.
Im Film «No Apologies» (Keine Entschuldigungen), der im Juli in der Deutschschweiz anläuft, hat sich ein schweizerisch-afrikanisches Künstlerkollektiv mit den Zuständen in Lausanne beschäftigt – und lässt Betroffene zu Wort kommen. Im Film reden ausschliesslich Menschen mit schwarzer Hautfarbe: Polizeigewalt sei Teil ihres Alltags. Auch wenn der Waadtländer SVP-Kantonsrat Fabien Deillon verbieten wollte, den Film in Schulen zu zeigen, wird er von vielen Lehrern bereits eingesetzt.
Korpsgeist schützt Rassisten
«Natürlich kann ich nicht behaupten, dass es nie vorkommt, dass ein Polizist oder eine Polizistin jemanden aufgrund der Hautfarbe anders behandelt. Aber wenn dies jemand tut, dann hat er keinen Platz bei uns», hatte Johanna Bundi Ryser, Präsidentin des Verbandes Schweizerischer Polizei-Beamter (VSPB), kürzlich gesagt.
Die Realität in Lausanne sieht offenbar anders aus. Wer die Polizei wegen rassistischer Vorfälle verzeigt, muss mit einer Gegenklage rechnen. Der junge Mann, der im Wald zurückgelassen wurde, wurde wegen Nachtruhestörung zu einem halben Tag gemeinnütziger Arbeit verdonnert. Er hatte beim Polizeihauptquartier Anzeige erstatten wollen.
USA: Unruhen nach dem Tod von George Floyd
Im texanischen Houston marschierten Zehntausende im Gedenken an den getöteten George Floyd.
Bild: Keystone/AP/David J. Philipp
Demonstrationen fanden am Dienstag unter anderem auch in Los Angeles, New York und Washington statt.
Bild: Keystone
Bei einem Gedenkmarsch in Los Angeles kniete Bürgermeister Eric Garcetti nieder.
Bild: Getty/Kent Nishimura
Der gewaltsame Tod von George Floyd bewegt in den USA die Gemüter. Der Afroamerikaner war am 25. Mai bei einem Polizeieinsatz in Minneapolis brutal getötet worden, obwohl er unbewaffnet war.
Bild: Keystone
Ein weisser Polizist hatte fast zehn Minuten lang sein Knie in den Nacken des am Boden liegenden Floyd gedrückt, bis dieser das Bewusstsein verlor. Floyd hatte mehrfach gesagt, er bekomme keine Luft.
Bild: Keystone
Die Polizei hat Floyd angehalten, weil er mit einer gefälschten Banknote bezahlt haben soll. Der Bruder des Opfers (im weissen T-Shirt) trauert an der Todesstelle in Minneapolis.
Bild: Keystone
Auch in zahlreichen anderen Städten gehen die Menschen auf die Strasse, um gegen Polizeigewalt gegen Schwarze zu demonstrieren. Hier etwa in New York ...
Bild: Keystone
... und in Charlotte im Bundesstaat North Carolina.
Bild: Keystone
Wie hier in Seattle verlaufen die Demonstrationen oft friedlich, doch ...
Bild: Keystone
... kommt es auch zu Gewalt, Sachbeschädigungen und Plünderungen. Hier haben Randalierer in Philadelphia ein Polizeiauto in Brand gesetzt.
Bild: Keystone
Los Angeles im Jahr 2020: In der Westküstenmetropole wecken solche Bilder Erinnerungen an die schweren Unruhen von 1992. Damals gab es Dutzende von Toten, nachdem Polizisten freigesprochen wurden, die den Afroamerikaner Rodney King bei einer Verhaftung massiv verprügelt hatten.
Bild: Keystone
Bereits wurden Tausende Festnahmen aus zahlreichen US-Städten gemeldet. Im Bild ein Demonstrant in Washington.
Bild: Keystone
«Black Lives Matter», auch die Leben von Schwarzen zählen – so lautet das Motto der Protestbewegung ...
Bild: Keystone
... die auch von vielen Weissen unterstützt wird.
Bild: Keystone
Am Montagabend, 1. Juni, liess US-Präsident Donald Trump die Polizei mit Tränengas gegen die Demonstranten vor dem Weissen Haus vorgehen.
Bild: Keystone
Der Grund dafür wurde später klar: Trump lief öffentlichkeitswirksam zu Fuss zum nahegelegenen Lafayette-Park ...
Bild: Keystone
... wo er sich mit einer Bibel in der Hand vor der historischen St.-John's-Kirche fotografieren liess. Für diese Aktion wurde Trump unter anderem von der für die Kirche zuständigen Bischöfin kritisiert.
Bild: Keystone
Auch nach einer Woche ist die Protestwelle noch nicht abgeflacht. Trump droht Staaten und Gemeinden, die «zu wenig» gegen die Proteste unternähmen, mit dem Militär.
Bild: Keystone
USA: Unruhen nach dem Tod von George Floyd
Im texanischen Houston marschierten Zehntausende im Gedenken an den getöteten George Floyd.
Bild: Keystone/AP/David J. Philipp
Demonstrationen fanden am Dienstag unter anderem auch in Los Angeles, New York und Washington statt.
Bild: Keystone
Bei einem Gedenkmarsch in Los Angeles kniete Bürgermeister Eric Garcetti nieder.
Bild: Getty/Kent Nishimura
Der gewaltsame Tod von George Floyd bewegt in den USA die Gemüter. Der Afroamerikaner war am 25. Mai bei einem Polizeieinsatz in Minneapolis brutal getötet worden, obwohl er unbewaffnet war.
Bild: Keystone
Ein weisser Polizist hatte fast zehn Minuten lang sein Knie in den Nacken des am Boden liegenden Floyd gedrückt, bis dieser das Bewusstsein verlor. Floyd hatte mehrfach gesagt, er bekomme keine Luft.
Bild: Keystone
Die Polizei hat Floyd angehalten, weil er mit einer gefälschten Banknote bezahlt haben soll. Der Bruder des Opfers (im weissen T-Shirt) trauert an der Todesstelle in Minneapolis.
Bild: Keystone
Auch in zahlreichen anderen Städten gehen die Menschen auf die Strasse, um gegen Polizeigewalt gegen Schwarze zu demonstrieren. Hier etwa in New York ...
Bild: Keystone
... und in Charlotte im Bundesstaat North Carolina.
Bild: Keystone
Wie hier in Seattle verlaufen die Demonstrationen oft friedlich, doch ...
Bild: Keystone
... kommt es auch zu Gewalt, Sachbeschädigungen und Plünderungen. Hier haben Randalierer in Philadelphia ein Polizeiauto in Brand gesetzt.
Bild: Keystone
Los Angeles im Jahr 2020: In der Westküstenmetropole wecken solche Bilder Erinnerungen an die schweren Unruhen von 1992. Damals gab es Dutzende von Toten, nachdem Polizisten freigesprochen wurden, die den Afroamerikaner Rodney King bei einer Verhaftung massiv verprügelt hatten.
Bild: Keystone
Bereits wurden Tausende Festnahmen aus zahlreichen US-Städten gemeldet. Im Bild ein Demonstrant in Washington.
Bild: Keystone
«Black Lives Matter», auch die Leben von Schwarzen zählen – so lautet das Motto der Protestbewegung ...
Bild: Keystone
... die auch von vielen Weissen unterstützt wird.
Bild: Keystone
Am Montagabend, 1. Juni, liess US-Präsident Donald Trump die Polizei mit Tränengas gegen die Demonstranten vor dem Weissen Haus vorgehen.
Bild: Keystone
Der Grund dafür wurde später klar: Trump lief öffentlichkeitswirksam zu Fuss zum nahegelegenen Lafayette-Park ...
Bild: Keystone
... wo er sich mit einer Bibel in der Hand vor der historischen St.-John's-Kirche fotografieren liess. Für diese Aktion wurde Trump unter anderem von der für die Kirche zuständigen Bischöfin kritisiert.
Bild: Keystone
Auch nach einer Woche ist die Protestwelle noch nicht abgeflacht. Trump droht Staaten und Gemeinden, die «zu wenig» gegen die Proteste unternähmen, mit dem Militär.
Bild: Keystone
Der Korpsgeist mache es schwer, so lässt sich aus der Reportage im «Tages-Anzeiger» herauslesen, den Rassismus in der Polizei zu bekämpfen. Wer Vorfälle meldet oder gegen Kollegen aussagt, wird ausgegrenzt oder eingeschüchtert. «Zieh dich zurück, sonst …!!!» habe auf einem Zettel gestanden, der einer Ex-Polizistin zugespielt worden sei, nachdem ihre Fenster eingeschlagen wurden. Sie hatte sich als Zeugin im Fall des 16-Jährigen zur Verfügung gestellt.
Ein weiterer Ex-Polizist berichtet von klar rassistischen Tendenzen: «Das Ziel war, Druck auf Afrikaner auszuüben, auch wenn sie sehr ruhig und friedlich waren.» Die Beamten hätten Afrikaner als «Bonobos» beschimpft, es seien erniedrigende Intimkontrollen durchgeführt, Leute gewürgt und ihre Handys zerstört worden.
Racial Profiling in der Schweiz
Alma Wiecken, Geschäftsführerin der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR), sagt, dass die Problematik des Racial Profiling auch in der Schweiz ein aktuelles Thema ist.
Die EKR sei in der Vergangenheit schon wiederholt mit der Konferenz der kantonalen Polizeidirektoren in Kontakt getreten, um sich zu diskriminierenden Polizeikontrollen und weiteren Fragen auszutauschen.
Vereinzelt haben Polizeikorps in den letzten Jahren auf Racial-Profiling-Vorwürfe reagiert. Die Stadtpolizei Zürich etwa hat neue Kriterien für Personenkontrollen festgelegt. Polizisten müssten dem Kontrollierten die Gründe für die Überprüfung angeben. Das Thema werde in der Polizeiausbildung vertieft angeschaut.
Auch die Basler Polizei wird das Thema vermehrt in der Grundausbildung und in Workshops thematisieren. Tarek Naguib von der Allianz gegen Racial Profiling sagt zum SRF: «Es ist naiv, zu glauben, dass das Problem mit einem Workshop gelöst werden kann.» Er plädiert auf ein Quittungssystem. «Wenn ein Polizist eine Quittung ausstellt, muss er eine Kontrolle begründen. Da entstehen wichtige Reflexionsprozesse.»
Lausannes Sicherheitschef bezieht Stellung
Auch davon weiss man offiziell nichts bei der Polizei. Sprecher Jean-Philippe Pittet sagt: «Sollten solche Bemerkungen gemacht werden, würden sie gegen die Polizeiethik verstossen und könnten unter das Strafgesetzbuch fallen. Eine Person, die glaubt, Opfer unangemessener Äusserungen geworden zu sein, kann die Angelegenheit dem Ethikbeauftragten melden.»
Klarer bezieht Lausannes Sicherheitschef Pierre-Antoine Hildbrand (FDP) Stellung. Er dulde keinen Rassismus und sagt, dass bereits Polizisten versetzt, mit neuen Aufgaben betraut oder auch mit Lohnkürzungen bestraft worden seien. Er wolle, so der «Tages-Anzeiger», zwar nicht illoyal gegenüber der Truppe sein, verteidige sie aber auch nicht auf der ganzen Linie.