Gefälschte Unterschriften Wie stark ist unsere Demokratie nun beschädigt, Herr Hermann?

Samuel Walder

3.9.2024

Michael Hermann, Politologe: «Es ist ein Weckruf.» Jetzt müsse gehandelt werden, damit so ein Missbrauch nicht mehr stattfinden könne. (Archivbild)
Michael Hermann, Politologe: «Es ist ein Weckruf.» Jetzt müsse gehandelt werden, damit so ein Missbrauch nicht mehr stattfinden könne. (Archivbild)
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Ein Betrugsskandal erschüttert die Schweiz: Unterschriften für Initiativen sind im grossen Stil gefälscht worden. Ist das Vertrauen in die Schweizer Demokratie nachhaltig beschädigt? Ein Polit-Experte ordnet ein.

Samuel Walder

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • In der Schweiz ist am Montag ein Fälschungsskandal ans Licht gekommen.
  • Eine Firma hat gewerbsmässig Unterschriften für politische Initiativen gesammelt. Wie nun herausgekommen ist, hat diese Firma einen Teil der Unterschriften gefälscht.
  • Politologe Michael Hermann schätzt die Gefahr für die Schweizer Demokratie ein.

Ein Politskandal wühlt gerade die Schweiz auf. Das Westschweizer Unternehmen Incop hat für Initiativen Unterschriften gefälscht. Politologe Michael Hermann ist froh um die aufgedeckten Betrugsfälle, überrascht ist er aber nicht.

«Grundsätzlich erstaunt mich das gar nicht. Es war nur eine Frage der Zeit, bis so ein Betrug stattfinden würde», sagt er. Dass man Geld für Firmen ausgibt, die Unterschriften liefern, ist bekannt. «Oft sind es keine etablierten Firmen, die einen Ruf verlieren könnten, sondern Firmen ohne professionelle Struktur, die einfach Geld verdienen wollen», so Hermann. Das System der Unterschriftenbeschaffung verleite die Organisationen zu betrügen, da Kontrollen zwar stattfinden, aber diese schwierig umzusetzen seien. Denn Unterschriften zu fälschen, sei eine einfache Sache.

«Die Politik muss jetzt handeln»

Das Problem sei die Art, wie man Unterschriftenblätter kontrolliert. «Heutzutage ist es zwar einfacher Unterschriften zu sammeln, da alles digitalisiert ist. Die Unterschriften sind aber trotzdem von Hand geschrieben und teilweise nicht wirklich zu entziffern», erklärt Hermann. Umso mehr sollte nun nach einer Lösung verhandelt werden.

«Die Politik muss jetzt handeln und eine Regelung finden, um solche Missbräuche zu verhindern», sagt Hermann. Einerseits könnte man ein Verbot aussprechen und das Sammeln von Unterschriften nicht mehr finanziell unterstützen. «Andererseits spricht man auch darüber, bessere und strengere Regelungen zu verhängen. Zum Beispiel könnten in Zukunft solche Organisationen besser kontrolliert oder sogar geprüft werden.»

(KEYSTONE/Christian Beutler)
(KEYSTONE/Christian Beutler)
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Für Hermann ist klar: Das Schweizer Politiksystem ist geschützt. Die Frage, ob der Betrug die Abstimmungen oder gar die Durchsetzung von neuen Gesetzen beeinflusst hat, verneint der Politologe. «Durch die direkte Demokratie konnte das Volk bei jeder Abstimmung die eigene Meinung abgeben. Deswegen spielt es keine Rolle, ob die Initiative überhaupt vor das Volk kam oder nicht», erklärt Hermann. 

Was ist passiert?

Noémie Roten ist Co-Präsidentin der Service-Citoyen-Initiative. Ihr fiel der Betrug auf, wie Tamedia-Recherchen zeigen. Franck Tessemo ist Inhaber der Firma Incop und arbeitete mit Roten zusammen. Der Deal war es, «dass Incop innerhalb eines Monats 10'000 Unterschriften zu einem Preis von 4.50 Franken pro Unterschrift liefert», wie Tamed-Zeitungen schreiben. Dies ist zunächst ein günstiger Preis, denn Incop versicherte nur gültige Unterschriften zu liefern. Im Vergleich: bei der Beschaffung von Unterschriften bei der AKW-Initiative zahlten die Initianten 7.50 pro Unterschrift, also über 75'000 Franken. Auch da wurden falsche, Unterschriften aufs Unterschriftenblatt geschummelt.

Von 1159 Unterschriften aus Lausanne waren 423 davon ungültig. In Freiburg waren 61 von 167 ungültig und in Coppet 12 von 13. Eine so hohe Quote ungültiger Unterschriften ist auffallend. Weitere Recherchen zeigen, dass bei Dutzenden Initiativen Unterschriften gefälscht wurden.