Task-Force-Chef im Interview«Wir testen im Moment deutlich weniger»
Von Jennifer Furer
21.8.2020
Martin Ackermann ist seit August der neue Präsident der Covid-19-Taskforce. Der Schwyzer äussert sich im Interview zur Aufhebung der 1000er-Grenze, und wo es neue Massnahmen braucht.
Herr Ackermann, wie beurteilen Sie die Lage, in der wir uns derzeit befinden?
Wir haben aktuell fast zehnmal so viele Fälle pro Tag wie Anfang Juni. Hohe Fallzahlen sind schädlich für die Wirtschaft und bedeuten weniger Freiheiten für uns alle. Wir müssen also schauen, wie wir Ansteckungen besser verhindern. Das haben wir – die Menschen in der Schweiz – auch selber in der Hand.
Die Sommerferien sind vorbei, einige Schweizerinnen und Schweizer aus dem Ausland zurückgekehrt. Befürchten Sie jetzt einen weiteren Anstieg der Fallzahlen?
Leider wissen wir heute noch zu wenig genau, wer sich wo ansteckt. Hier brauchen wir dringend bessere Daten. Das ermöglicht es uns auch, gezieltere Massnahmen zu ergreifen, wenn irgendwo die Fallzahlen steigen.
Rechnen Sie mit einer zweiten Welle?
Wir müssen davon ausgehen, dass die Fallzahlen regional zwischendurch wieder ansteigen werden. Wichtig ist, dass die Behörden dann schnell und gezielt eingreifen können.
Welche Massnahmen gilt es jetzt umzusetzen?
Das kann man nicht so generell beantworten. Die Regel sollte lauten: Wo die Fallzahlen steigen, braucht es mehr Massnahmen, wo es weniger Fälle gibt, sind Lockerungen möglich. Genau dieses Vorgehen sieht auch die Eindämmungsstrategie des Bundes vor.
Braucht es eine erweiterte Maskenpflicht?
Wo die Fallzahlen steigen, kann das durchaus eine sinnvolle Massnahme sein. Wir wissen heute, dass Masken einen wertvollen Beitrag leisten, dass das Virus sich nicht weiterverbreitet.
Umfrage
Befürworten Sie eine verschärfte Maskenpflicht?
Was halten Sie von der Maskenpflicht in Schulen?
Das Recht auf Bildung und Chancengleichheit sind zentrale Pfeiler unserer Gesellschaft. Deshalb sollten wir alles daransetzen, damit Kinder möglichst gut lernen können. Das muss man meiner Meinung nach bedenken, wenn man Schutzkonzepte für Schulen entwickelt. Ich denke schon, dass dabei Masken auch an Schulen nützlich sein können.
In einem Interview sagte der ehemalige Coronadelegierte Daniel Koch, dass mehr getestet werden müsse und dass dies einfacher sein sollte. Wird derzeit genug getestet?
Wir testen im Moment deutlich weniger als Anfang Juli. Wenn wir mehr testen, können wir mehr infizierte Personen erkennen und Infektionsketten unterbrechen. Deshalb ist es wichtig, sich auch schon bei geringen Symptomen testen zu lassen.
Die Aufhebung der 1000er-Grenze sorgte nicht nur für Jubel. Wie ist Ihre Position diesbezüglich?
Ich habe mich im Vorfeld des Entscheids mehrfach dazu geäussert, möchte diesen aber im Nachhinein nicht mehr kommentieren – es ist ein politischer Entscheid.
Das sagte Ackermann zu Grossevents
In der «Sonntagszeitung» sagte Ackermann Anfang August, dass es der «falsche Moment» für Grossveranstaltungen sei. Die Fallzahlen in der Schweiz seien nahe an einem exponentiellen Wachstum. Das Land habe deshalb praktisch keinen Spielraum mehr für weitere Lockerungen.
Der Bundesrat lässt immer wieder verlauten, dass die Wissenschaft nicht die einzige Stimme ist, die er anhört. Es gelte auch, andere Interessen zu berücksichtigen.
Das ist richtig so. Anderer Meinung zu sein und sich darüber auszutauschen, ist in einer so aussergewöhnlichen Situation dringend notwendig – sonst würde man sich womöglich in eine Richtung verrennen. Also diskutiert die Taskforce intensiv mit den Behörden und vor allem mit dem Bundesamt für Gesundheit (BAG). Und wir kommunizieren unsere Sichtweise und Argumente auch der Öffentlichkeit.
Wenn Sie alleine entscheiden könnten: Wie würden Sie jetzt vorgehen?
Ich höre oft, dass wir abwägen müssen zwischen Gesundheit, Wirtschaft und Freiheit der Menschen. Das ist zum Glück nicht so. Wenn wir das Virus unter Kontrolle halten, dann können sich auch die Wirtschaft und die Gesellschaft am besten erholen. Ich würde diese Einsicht noch viel mehr in den Vordergrund stellen.
Glauben Sie, dass die Stimme der Wissenschaft genug Platz bekommt?
Ich bin froh, dass in der Schweiz die Stimme der Wissenschaft gehört und geschätzt wird. In der Taskforce arbeiten 70 Forschende aus ganz unterschiedlichen Fachgebieten alle freiwillig, unentgeltlich und mit grossem Engagement, um die Behörden und die Bevölkerung im Umgang mit Covid-19 zu unterstützen. Ich bin stolz, dass in der Schweiz so etwas möglich ist.
Das Interview wurde auf Wunsch von Herrn Ackermann schriftlich geführt.