Massen-Demos «Da ist die Polizei hierzulande buchstäblich machtlos»

Von Lukas Meyer

26.4.2021

Rund 4000 Teilnehmer nahmen am Samstag an einer unbewilligten Demo in Rapperswil teil.
Rund 4000 Teilnehmer nahmen am Samstag an einer unbewilligten Demo in Rapperswil teil.
KEYSTONE

Am Samstag demonstrierten in Rapperswil 4000 Corona-Skeptiker, die Polizei liess sie gewähren. Welche Möglichkeiten hat sie bei einer solchen Masse? Nicht viele, sagt ein Experte.

Von Lukas Meyer

Rapperswil, Schaffhausen, Altdorf: Die unbewilligten Demos von Corona-Skeptikern häufen sich. Die Polizei geht unterschiedlich dagegen vor. In Altdorf schaffte sie es, dass die Masse aus der Innenstadt abzog. Vorletzte Woche in Schaffhausen und vergangenen Samstag in Rapperswil liess die Polizei die Menge mehr oder weniger gewähren, obwohl der Abstand nicht eingehalten wurde und kaum jemand Masken trug. Die Polizei war jeweils mit einem Grossaufgebot vor Ort. «Bei so vielen Leuten kann man nichts machen», sagte ein Polizist in Rapperswil laut «Tages-Anzeiger».

Bei so vielen Leuten – wie etwa auch bei der bewilligten Demo in Liestal mit 6000 Personen – sei die Polizei «hierzulande buchstäblich machtlos», sagt auch Markus Mohler auf Anfrage von «blue News». «Wir haben weder die rechtlichen noch faktischen Mittel, um derartige Massen zu kontrollieren oder aufzulösen», sagt der ehemalige Kommandant der Kantonspolizei Basel-Stadt.

Mit Mitteln, die eine Verletzung von Personen ausschliessen, könne die Polizei nichts gegen derartige Massenaufmärsche ausrichten. Zudem seien die Gesetzesverstösse – also die Versammlung ohne Bewilligung und die Verstösse gegen die Pandemievorschriften – nur Übertretungen, also geringfügige Straftaten, so Mohler. «Da erlaubt es das Verhältnismässigkeitsprinzip nicht, die körperliche Unversehrtheit zu beeinträchtigen.» 

«Hartes Durchgreifen rechtsstaatlich nicht zu verantworten»

Ähnlich argumentiert die Kantonspolizei St. Gallen: Man habe wegen der Verhältnismässigkeit entschieden, die friedlich verlaufende Demonstration nicht gewaltsam aufzulösen, erklärte Sprecher Hanspeter Krüsi auf Twitter. Die Einsatzleitung habe eine umfassende Güterabwägung vornehmen müssen. Sie müsse etwa die Möglichkeit von grösseren Sach- und Personenschäden sowie jene eines Kontrollverlustes in der Situation berücksichtigen.

«Dass dies aufseiten der Gegner der heutigen Veranstaltung auf Kritik stösst, ist verständlich – ein hartes Durchgreifen wäre rechtsstaatlich nicht zu verantworten gewesen», heisst es dazu ausserdem in einer Medienmitteilung der Kantonspolizei St. Gallen.

Die Kantonspolizei St. Gallen setzte auf Dialog – etwas zu sehr, finden einige. Ein Video einer unmaskierten Demonstrantin, die ein Mitglied des polizeilichen Dialogteams umarmt und ihm eine Blume überreicht, sorgte für Aufruhr. Corona-Skeptiker feiern die Aufnahme, Kritiker sehen es als Beleg für die fehlende Distanz der Polizei.

Ginge das auch anders? In Zürich etwa ging man hart gegen eine deutlich kleinere Demo von Frauenaktivist*innen vor, in Bern wurde eine Demo von Corona-Skeptikern mit grossem Aufwand aufgelöst. Die kantonalen Unterschiede sind für Markus Mohler nicht generell zu beantworten: «Hier spielt auch die politische Gewichtung der vorgesetzten Behörden insbesondere punkto Pandemie-Bekämpfung eine Rolle.» Die verfügbaren personellen Ressourcen hätten ebenfalls einen grossen Einfluss.

Verhältnismässigkeit bestimmen

Um eine Demo von vornherein zu verhindern, brauche es die personellen Mittel, um Wegweisungen und Sperren durchsetzen zu können und deeskalierend zu wirken. Wenn im Voraus zu Gewalt aufgerufen wird, seien auch Zwangsmittel möglich wie Tränenreizstoff oder vorläufige Festnahmen, so Mohler: «Es ist daran zu erinnern, dass nur friedliche Versammlungen vom Grundrechtsschutz der Versammlungsfreiheit erfasst werden.»

Bei der Entscheidung, ob eine Demo aufgelöst wird, müsse man das «zu schützende Rechtsgut einerseits und die Auswirkungen der notwendigen Massnahmen zu dessen Schutz» abwägen. Die «öffentliche Ordnung» allein reiche dabei nicht aus, es muss genauer bestimmt werden, was zu schützen ist. «Daraus wird die Verhältnismässigkeit nach Erforderlichkeit, Geeignetheit und Zumutbarkeit der einzelnen möglichen Massnahmen bestimmt. Das kann sich laufend verändern.»

Vor einem Monat feierten in Moutier zahlreiche Leute das Resultat der Abstimmung über den Kantonswechsel ohne Rücksicht auf die Corona-Massnahmen, die Behörden schritten nicht ein. Der St. Galler Polizeidirektor und KKJPD-Präsident Fredy Fässler sagte danach zu «blue News», dass die Arbeit für die Polizei derzeit sehr anspruchsvoll sei: «Unabhängig davon, was die Polizei macht, es ist für viele Leute einfach falsch.»