Vergleich zu 2020 So steht die Schweiz zu Beginn des zweiten Corona-Herbsts da

Von Gil Bieler

9.10.2021

Eine weggeworfene Hygienemaske, fotografiert in Zürich. 
Eine weggeworfene Hygienemaske, fotografiert in Zürich. 
Bild: Keystone/Gaetan Bally

Im vergangenen Herbst erfasste eine heftige Corona-Infektionswelle die Schweiz. Wie stehen wir heute da? Ein Vergleich in vier Punkten.

Von Gil Bieler

9.10.2021

Der Herbst 2020 war für die Schweizerinnen und Schweizer ein böses Erwachen. Nach einer vergleichsweise entspannten Situation im Sommer schoss die Kurve der Corona-Fallzahlen im Oktober steil in die Höhe – und weit. Ende Oktober 2020 lag der 7-Tage-Schnitt bei rund 8060 Neuinfektionen pro Tag, am 2. November vermeldete das Bundesamt für Gesundheit (BAG) gar 10'561 Neuinfektionen – der bis dato höchste Wert überhaupt.

Wie präsentiert sich die Ausgangslage heute, zu Beginn des zweiten Corona-Herbsts?

Fallzahlen

Eine positive Nachricht zum Herbst 2021: Nach einem neuerlichen Anstieg im August zeigt die Kurve seit einigen Wochen wieder nach unten. Zuletzt lag der 7-Tage-Schnitt am 2. Oktober bei 1011 Fällen. Aber wohlgemerkt, das sind immer noch über 1000 Fälle pro Tag.

Am selben Datum im Herbst 2020 waren es noch 589 Neuinfektionen gewesen – also fast halb so viele. Jedoch entwickelten sich die Fallzahlen damals in die gegenteilige Richtung, nämlich nach oben – es war der Beginn der eingangs erwähnten zweiten Welle.

Das zeigt: Die Fallzahlen liegen zwar aktuell auf einem höheren Niveau, aber die Dynamik ist erbaulicher. Die Epidemiologin Emma Hodcroft von der Universität Bern analysiert die Entwicklung im Gespräch mit dem «Blick» wie folgt: Die Zahlen seien ermutigend. «Es wäre aber gefährlich, daraus zu schliessen, dass wir die Pandemie besiegt haben und alle Vorsicht fahren lassen können.»

Die Entwicklung der täglichen Corona-Fallzahlen seit dem 28. September 2020.
Die Entwicklung der täglichen Corona-Fallzahlen seit dem 28. September 2020.
Grafik: BAG

Intensivstationen

Die Situation auf den Intensivstationen ist für den Bundesrat entscheidend. Eine Überlastung des Gesundheitswesens müsse mit allen Mitteln verhindert werden – so begründet er auch die ausgeweitete Covid-Zertifikatspflicht.

Blick zurück: Am 7. Oktober 2020 lagen gemäss Zahlen des BAG 33 Covid-19-Patient*innen in Intensivpflege, dazu kamen 554 Patient*innen ohne Corona-Zusammenhang. Frei waren damals 285 Betten, was einem Anteil von 32,7 Prozent entsprach.

Aktuell liegen 158 Covid-Patient*innen auf den Intensivstationen, also fast fünfmal so viele wie im Vorjahr. Hinzu kommen 471 Personen ohne Corona-Zusammenhang (Stichdatum: 7. Oktober 2021). Mit 215 freien Betten liegt der Anteil an verfügbaren Intensivplätze bei 24,8 Prozent, was knapp 8 Prozent weniger sind als im Vorjahr.

Mehr Patient*innen, weniger freie Betten: Die Situation auf den Intensivstationen ist nicht entspannter als im Vorjahr. Immerhin zeigt die Kurve aber auch hier in die erwünschte Richtung: Während im Oktober 2020 gerade die zweite Welle anrollte, geht die Zahl der Covid-19-Patient*innen nun seit September wieder zurück.

Auslastung der Intensivstationen seit dem 28. September 2020.
Auslastung der Intensivstationen seit dem 28. September 2020.
Grafik: BAG

Beim Blick auf diese Zahlen darf nicht vergessen gehen: Wie viel Pflegepersonal im Einsatz steht, geht aus den BAG-Daten nicht hervor. Wegen der starken Belastung in der Pandemie hätten viele ihr Pensum reduziert oder seien gar ganz aus dem Beruf ausgestiegen, sagt Roswitha Koch vom Pflegeverband. Sie schätzt, dass es 10 bis 15 Prozent weniger Pflegepersonal gebe als noch vor der Pandemie.

Die Entwicklung geht in die gewünschte Richtung, dennoch liegen aktuell so viele Covid-Patient*innen auf den Intensivstationen wie seit dem Frühling nicht mehr. Und das, obwohl immer mehr Menschen gegen das Virus geimpft sind.

Todesfälle

Hier zeigt sich ein Unterschied zum Herbst 2020: Während der explosionsartige Anstieg der Fallzahlen damals auch zu deutlich mehr Todesfällen führte, bleibt die Kurve beim jüngsten Anstieg – verhältnismässig – flach.

Dennoch sterben täglich Menschen im Zusammenhang mit einer Coronavirus-Erkrankung: Zuletzt (Stichdatum: 2. Oktober 2021) lag der 7-Tage-Schnitt bei 3,86 Todesfällen pro Tag. Ein Jahr davor waren es noch 1,43 Todesfälle gewesen. 

BAG

Impfung

Ein Hauptunterschied zum Herbst 2020: Damals war in der Schweiz noch gar keine Corona-Impfung verfügbar. Geimpft wird erst seit Dezember. An Impfstoff mangelt es nicht – seit dieser Woche steht sogar ein Vektor-Präparat zur Verfügung für mRNA-Skeptiker*innen –, aber der Bundesrat vermisst Tempo und Überzeugung in der Bevölkerung.

Die vollständig geimpften Personen machen derzeit 59 Prozent der Bevölkerung aus, mit den teilgeimpften Personen sind es 64 Prozent. Das ist einer der tiefsten Werte in Europa und deutlich weniger als etwa in den skandinavischen Ländern, die nun fast alle Corona-Massnahmen wieder gelockert haben. In Schweden etwa haben mehr als 83 Prozent der Menschen im Alter von über 16 Jahren mindestens eine Corona-Impfdosis erhalten, über 76 Prozent auch schon ihre zweite.

Anteil der geimpften Bevölkerung seit 21. Dezember 2020.
Anteil der geimpften Bevölkerung seit 21. Dezember 2020.
BAG

In der Frage, wie hoch die Durchimpfungsrate in der Bevölkerung denn sein müsste, will sich der Bundesrat nicht genau festlegen. Zuletzt nannte er bei den über 65-Jährigen einen Wert von mindestens 90 Prozent als Zielmarke. Ein Blick auf die neuesten BAG-Zahlen zeigt, dass dies in Reichweite ist: 86,5 Prozent sind in dieser Altersgruppe bereits vollständig geimpft, weitere 2,4 Prozent teilweise. Macht zusammen 88,9 Prozent.

Bei den 18- bis 65-Jährigen hofft der Bundesrat auf mindestens 80 Prozent Durchimpfung. Hier braucht es noch deutlich mehr Anstrengungen, denn den neuesten BAG-Zahlen zufolge sind erst 64,4 Prozent vollständig geimpft. Mit den teilweise Geimpften sind es 71,3 Prozent.

Die 20- bis 29-Jährigen weisen den tiefsten Wert auf, mit 54,4 Prozent vollständig Geimpften.



Mit einer gross angelegten Impf-Offensive will der Bundesrat nun Zögernde überzeugen. Die geplanten Massnahmen sind bei den Kantonen in der Vernehmlassung, doch die Antworten fallen verhalten aus. Die Idee von 50-Franken-Gutscheinen für eine erfolgreiche Überredungsarbeit wird dabei in besonders hohem Bogen verworfen.

Einigkeit herrscht unter den Kantonen immerhin, dass es zusätzliche Überzeugungsarbeit brauche, und auch die Idee einer nationalen Impfwoche kommt gut an.

Entscheiden wird der Bundesrat nächste Woche – nicht nur über Massnahmen, sondern wohl auch darüber, wie sich der zweite Pandemie-Herbst in der Schweiz entwickelt.

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