Dresscode am PoolÄgypten diskutiert über den Burkini
AP/toko
16.8.2020
Eine Frau im Ganzkörper-Badeanzug wird im Schwimmbad eines Nobelhotels beschimpft — und ganz Ägypten diskutiert den Fall. Hintergrund ist ein komplizierter Mix aus gesellschaftlichen und religiösen Zwängen.
Beim Schwimmen mit ihrer Familie in einem Hotelpool zog Jasmin Samir den Zorn einer Fremden auf sich. Der Grund: Samir trug einen Burkini, einen Ganzkörper-Badeanzug für konservative muslimische Frauen. Weitere Augenzeuginnen schalteten sich und fingen ebenfalls an, Samir zu beschimpfen und zum Verlassen der noblen Anlage an der ägyptischen Mittelmeerküste aufzufordern. Eine von ihnen bezeichnete die Badende als Schandfleck.
«Am Anfang habe ich Panik bekommen», erinnert sich Samir, aber sie beschloss, nicht klein beizugeben. Videoaufnahmen von dem Zwischenfall im Juli an der Nordküste, einem beliebten Urlaubsgebiet für wohlhabende Ägypter, gingen viral. Darauf ist zu sehen, wie sich Samir und ihr Mann Mostafa Hassan, die ihre kleine Tochter bei sich haben, mit den Frauen streiten.
Was eine kleine Abkühlung von der ägyptischen Sommerhitze sein sollte, weitete sich aus zu einer landesweiten Debatte über die Frage, was Frauen tragen dürfen und wo. Sie wirft ein Schlaglicht auf komplizierte gesellschaftliche und religiöse Zwänge in dem konservativen, überwiegend muslimischen Land.
Appelle der «Religionsbehörden»
Die Mehrheit der Frauen trägt hier eine Kopfbedeckung und folgt damit den Appellen der Religionsbehörden. Doch Frauen, die ein Kopftuch, den sogenannten Hidschab, oder eben einen Burkini tragen, drohen Diskriminierung und Spott aus Kreisen der Oberschicht. Denn dort gelten solche Kleidungsstücke als rückschrittlich und typisch für die Unterschicht.
Die meisten Bars und Clubs verweigern Hidschab-Trägerinnen den Eintritt, weil sie deren Anwesenheit für unvereinbar halten mit dem Ausschank von Alkohol, denn der ist für fromme Muslime tabu. In vielen elitären privaten Strandclubs, die an den ägyptischen Küsten aus dem Boden schossen, stossen Burkinis auf Hohn. Doch für Frauen, die einen Badeanzug tragen wollen, sind sie oft die einzige Option. Zugleich verbieten viele private Schwimmbäder das Baden in Kleidung, was auch für Ganzkörper-Badeanzüge gilt, selbst wenn sie aus Lycra sind.
Die meisten Frauen schwimmen mit Hidschab und Kleidern
Auch auf der anderen Seite ist die Lage angespannt. An den wenigen öffentlichen Stränden des Landes, die viele ärmere Menschen besuchen, gehen die meisten Frauen mit Hidschab und langen Kleidern ins Wasser. Eine Frau im einteiligen Badeanzug oder Bikini würde aggressive Blicke und Belästigungen auf sich ziehen. Wer sich in sozialen Medien im Badeanzug zeigt, kann mit einer Welle von Beleidigungen rechnen.
Samir erntete für ihr Bad im Burkini indes auch Unterstützung von vielen Internet-Nutzerinnen, wie sie sagt. Die Frauen hätten erklärt, dass sie sich dadurch ermutigt fühlten, selbst im Burkini schwimmen zu gehen. Das Video von dem Streit wurde auf Facebook mehr als eine Million Mal abgerufen und war auch Thema einer Diskussion in der grössten regierungsnahen Talkshow des Landes, deren Teilnehmer sich überwiegend ebenfalls hinter Samir stellten.
Zu dem Streit kam es im Hotel «Stella Sidi Abdel Rahman». Ein Mitarbeiter betonte, das Resort habe keine Richtlinien gegen den Burkini solange er aus geeignetem Material hergestellt sei. Das ägyptische Tourismusministerium erklärte, Frauen, die wegen ihres Burkinis Probleme bekämen, sollten eine Beschwerde beim Ministerium einreichen.
Haftstrafen für Influencerinnen
Auch Doaa Mohamed hat leidvolle Erfahrungen mit dem Thema Kleidung gemacht. Sie trägt seit zehn Jahren Hidschab und wurde einmal von einer Bar in einem Kairoer Szeneviertel abgewiesen. Hinter dem Verbot von Kopfdeckungen stehe häufig eine leicht durchschaubare wirtschaftliche Diskriminierung, sagt sie: «Für die Lokale kommen Frauen mit Kopftuch aus der Unter- oder Mittelschicht, die sie nicht bedienen wollen.» In Städten wie Kopenhagen habe sie dagegen problemlos mit ihrem Hidschab in Clubs gehen können. In Tunesien und den Vereinigten Arabischen Emiraten sei sie im Burkini schwimmen gewesen.
Klassenzugehörigkeit, Moral und Vorurteile kreuzen sich in Ägypten häufig auf heikle und oft widersprüchliche Weise. Von Angehörigen der Unter- und Mittelschicht wird erwartet, konservativer zu sein. Frauen, die dagegen verstossen, droht die soziale Ächtung – oder Schlimmeres. Kürzlich wurden neun Frauen wegen der Beschädigung von «Familienwerten» und «Verführung» festgenommen, mehrere von ihnen wurden zu Haftstrafen verurteilt. Sie hatten Videos von sich auf der Plattform TikTok veröffentlicht. Unter Ägyptern der Oberschicht hätte allerdings keines davon ein Stirnrunzeln ausgelöst.
Auch Jussra Mohammed Hamuda wurde schon einmal bedroht, nachdem sie Bikini-Selfies gepostet hatte, wie sie erzählt. Sie führt solche Spannungen weniger auf die Religion als auf eine tief verwurzelte Frauenfeindlichkeit und Klassendiskriminierung zurück. «In der ägyptischen Gesellschaft herrscht ein paternalistisches Klassensystem», sagt die wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Amerikanischen Universität in Kairo, «das Frauen auf Basis ihrer Klassenzugehörigkeit beurteilt.»