Literatur heuteAutor Christian Haller findet zu sich selbst
SDA
31.8.2020 - 10:57
In Schritten von zwanzig Jahren schreibt Christian Haller in der «Fluss-Trilogie» sein Leben nach. Im dritten Band «Flussabwärts gegen den Strom» findet der Autor zum Schreiben. Das Buch ist ein guter Einstieg in sein Werk.
Krisen sind auch Chancen. Was abgedroschen klingt, bewahrheitet sich im Fall von Christian Haller gleich doppelt. Als vor Jahren, nach starken Regenfällen, ein Teil seines Hauses am Rhein grollend zusammenbrach, fiel auch er in ein tiefes Loch.
Haller hat das Signal zum Anlass genommen, dem eigenen Leben nachzuspüren und seinen Weg zu überprüfen. Entstanden sind daraus zwei Bücher, in denen er auf seine Jugend und die Arbeit am Gottlieb Duttweiler Institut zurückblickt. In «Flussabwärts gegen den Strom», seinem neuen dritten Band wendet er sich seinem Schreiben zu.
Es geschieht etwas Unvorhergesehenes: «Zwischen zwei und drei Uhr früh erlitt Pippa eine Hirnblutung.» Der Satz markiert eine Zäsur. Pippa, die Lebens- und Arbeitspartnerin, ist nach dieser Nacht halbseitig gelähmt. Damit zerschlagen sich die Pläne des Autors. Das Leben würde fortan anders verlaufen – nur wie?
Der Weg zur Erfüllung des Lebenstraumes als Autor ist beschwerlich. Haller erzählt in seinem neuen autobiografischen Werk, wie er und Pippa mit Geduld und Sorgfalt sich im neuen Leben einrichten und wie er mehr und mehr in ihr Arbeitsfeld, das Theater, hineinrutscht.
Steiniger Weg
Demgegenüber geht es mit dem Romanschreiben nicht recht voran. Er unternimmt mehrere Versuche, seine Erfahrungen am Gottlieb Duttweiler Institut literarisch zu verarbeiten. Doch selbst die renommierte Agentin Ruth Liepmann bringt diese Manuskripte vorerst nicht unter.
Haller schreibt von etlichen Niederlagen, bis er eines Tages den «Schlüssel zu seinem Stoff», zur Geschichte seiner Mutter, findet. Daraus entsteht 2001 der eindrückliche Roman «Die verschluckte Musik», mit dem er den Durchbruch schafft. Zwei weitere Romane schliessen bis 2006 die «Trilogie des Erinnerns» über die Geschichte seiner Familie ab. Damit endet nun die «Fluss-Trilogie», deren dritter Teil «Flussabwärts gegen den Strom» ist.
In diesem Werk macht Haller die zeitweise verzweifelte Lage mit eindrücklicher Schlichtheit spürbar. Pippas Unglück berührt, und einige seiner Erfahrungen als «junger» Autor klingen im Nachhinein geradezu haarsträubend. So wurde, als er 1991 bei den Solothurner Literaturtagen zu Gast war, seine Einladung von einem Mitglied der Programmkommission öffentlich als Fehler bezeichnet.
Dennoch geht Christian Haller auf Umwegen, doch unbeirrt, weiter, bis er den Zugang in die «Dunkelkammer meiner Familiengeschichte» findet, so aus der literarischen Krise herausfindet und sich seinen leidenschaftlich gehegten Traum erfüllt.
Fiktion und Leben
Spätestens sei dem Moment, als in Bukarest «die Wirklichkeit in alte, familiäre Fiktionen» hereinbricht, bilden Leben, Erinnerung und Fiktion eine Einheit in seinem Werk. Mit der «Erfahrung des zweiten Blicks», wie er es nennt, macht Haller das Vergangene «zu einem Gegenstand einer privaten Dichtung», mal fiktional, mal autobiographisch.
Die eigene Lebens- und Familiengeschichte bildet das Fundament seines Werks. Mit der literarischen Reflexion über das eigene Schreiben gewinnt die Lebensbeichte hier im dritten Band der Trilogie spürbar an Intensität und Dichte. Es ist eindrücklich, zu lesen, wie der Autor mit Krisen umgeht, welches Beharrungsvermögen er trotz vieler Niederlagen an den Tag legt, bis er, der 1943 geboren wurde, in fortgeschrittenem Alter am Ziel ist. Und: Christian Haller kommt ganz zu sich selbst. Das schützt nicht vor weiteren Krisen, doch sie treffen einen gefestigten Schriftsteller, der seinen Traum lebt.*
*Dieser Text von Beat Mazenauer, Keystone-SDA, wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert.
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