Prozess Berner Gericht verurteilt Rocker zu teils langen Freiheitsstrafen

hn, sda

30.6.2022 - 08:51

Im Berner Rockerprozess hat das Gericht am Donnerstag teils lange Freiheitsstrafen verhängt. Der eine Hauptangeklagte wurde zu acht Jahren Freiheitsstrafe wegen versuchter vorsätzlicher Tötung verurteilt.

hn, sda

Bei der Auseinandersetzung verfeindeter Rockerbanden 2019 in Belp BE soll der 37-jährige Schweizer mit einer durchgeladenen Pistole einem Gegner auf den Kopf geschlagen haben. Ein Schuss aus der Pistole verletzte einen weiteren Mann.

Der Verurteilte habe bewusst in Kauf genommen, Menschen zu verletzen und zu töten, sagte der Gerichtspräsident in seiner Urteilsbegründung. Der Beschuldigte befindet sich bereits im vorzeitigen Strafvollzug.

Er ist Mitglied der Bandidos, genau wie der zweite Hauptangeklagte. Der 42-jährige gebürtige Spanier kam mit einer unbedingten Strafe von acht Monaten wegen Raufhandels davon. Vom Vorwurf der versuchten vorsätzlichen Tötung wurde er freigesprochen.

Ein weiterer Mann – auch er ein Bandido – wurde wegen versuchter schwerer Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 42 Monaten verurteilt. Es handelt es sich um einen 34-jährigen Österreicher. Der Mann wird zudem des Landes verwiesen.

19 weitere Angeklagte hatte das Gericht in der Mehrheit wegen Raufhandels zu beurteilen. In fünf Fällen gab es Freisprüche. In den übrigen Fällen sah es das Gericht als erwiesen an, dass die Angeklagten bei der Auseinandersetzung dabei waren und das Geschehen «physisch und psychisch» unterstützt hatten. Das Gericht fällte bedingte Freiheitsstrafen um die zehn Monate aus.

Beweise sprechen lassen

Vor Gericht hatten die meisten Angeklagten zur Tat eisern geschwiegen, so wie dies im Rockermilieu üblich ist. Angelegenheiten werden intern geregelt.

Der Gerichtspräsident kritisierte die Rechtsauffassung der Szene scharf: «Es kann nicht sein, dass gewisse Mitglieder unserer Gesellschaft eigene Regeln aufstellen, die dem Strafrecht zuwiderlaufen, und dann auch noch versuchen, diese zu legitimieren.»

Es liege genügend Beweismaterial mit DNA-, Blut- und Schmauchspuren vor Ort, Zeugenaussagen, Auswertungen von Telefon-Chats und rechtsmedizinischen Untersuchungen vor, befand das Gericht.

Es ging davon aus, dass die im Ausland aktiven Bandidos in der Schweiz ein eigenes Chapter gründen wollten, was den Platzhirschen – den Hells Angels und den mit ihnen befreundeten Berner Broncos – nicht passte.

Die Bandidos sollten daher mit Gewalt vertrieben werden, und zwar an einem Abend, als sie in Belp eine Party feiern wollten. Die Bandidos erhielten jedoch Wind vom Vorhaben der Gegner.

Beide Gruppierungen hätten gewusst, dass Stunk anstehe, so das Gericht. Sie hätten umgehend ihre Getreuen mobilisiert, wie eindeutig aus Chat-Protokollen hervorgehe. Auch habe man sich bewaffnet. Wer mit Schlagstöcken, Schlagringen und Messern auftauche, der wolle nicht bloss Konversation machen.

Die teilweise mit Schusswaffen ausgerüsteten Bandidos gewannen beim Kampf die Oberhand, worauf sich die Hells Angels und Freunde zurückzogen. Der Gewaltexzess forderte mehrere Schwerverletzte.

Diesmal ohne Ausschreitungen

Die Urteilsverkündung am Donnerstag zog sich mehr als vier Stunden hin. Vor dem Amtshaus fanden sich wiederum rund 300 Rocker ein, um ihre Kameraden moralisch zu unterstützen. Der gesamte Prozess fand unter grossen Sicherheitsvorkehrungen statt.

Beim Prozessbeginn Ende Mai hatten sich Mitglieder der Hells Angels und der Bandidos Scharmützel vor dem Berner Amthaus geliefert. Die Polizei setzte Gummischrot und Wasserwerfer ein, um die beiden Lager voneinander fernzuhalten.

Am Donnerstagmorgen blieb die Lage friedlich. Bandidos tauchten keine auf, die Polizei nahm keine Anhaltungen vor. Nach der Urteilsverkündigung zogen die Rocker alle ab. Berns Sicherheitsdirektor Reto Nause zeigte sich auf Anfrage «sehr zufrieden»: Die Polizei habe ausgezeichnete Arbeit geleistet, die Stadt habe einen ruhigen Morgen erlebt.

Motorradgangs wie die Hells Angels wurden in der Schweiz vor rund 50 Jahren populär. Lange wurden sie von der Öffentlichkeit vor allem als spleenige Aussenseiter auf schweren Töffs wahrgenommen. Doch die verschwiegene Szene ist durchzogen von Kriminalität.

Das erstinstanzliche Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Es kann an die nächsthöhere Instanz weitergezogen werden.