«Carlos»-Prozess Richter verhängen «kleine Verwahrung» gegen «Carlos»

Von Silvana Guanziroli

6.11.2019

Das Urteil im Prozess gegen den wohl bekanntesten jugendlichen Straftäter der Schweiz steht: Die Freiheitsstrafe gegen «Carlos» wird zugunsten der «kleinen Verwahrung» aufgeschoben. Die Staatsanwaltschaft leitete zudem eine weitere Untersuchung ein.

Gerichtspräsident Marc Gmünder eröffnete das Urteil heute um 16 Uhr am Bezirksgericht in Zürich. Das Gericht sprach «Carlos» in allen Anklagepunkten schuldig. Es verurteilte den 24-Jährigen zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten.

Doch die Haftstrafe wird zugunsten einer stationären therapeutischen Massnahme nach Art. 59 des Strafgesetzbuches aufgeschoben. Das heisst, der jugendliche Straftäter wird auf die forensisch-psychiatrische Abteilung der Justizvollzugsanstalt Pöschwies verlegt oder in eine geschlossene Abteilung einer psychiatrischen Klinik.

Urteilen musste das Gericht zu folgenden Vergehen: Es ging um Übergriffe, die «Carlos» während seiner Zeit im Gefängnis begangen hatte. Die Staatsanwaltschaft hatte den Sohn eines Schweizers und einer Brasilianerin wegen insgesamt 19 Delikten angeklagt – mit richtigem Namen heisst «Carlos» Brian.

«Carlos» will mittlerweile von diesem Pseudonym nichts mehr wissen. In einem telefonisch geführten Interview mit der SRF-Sendung «Rundschau» fordert er die Medien auf, ihn bei seinem richtigen Namen Brian zu nennen.
«Carlos» will mittlerweile von diesem Pseudonym nichts mehr wissen. In einem telefonisch geführten Interview mit der SRF-Sendung «Rundschau» fordert er die Medien auf, ihn bei seinem richtigen Namen Brian zu nennen.
Bild: Keystone

Bevölkerung vor «Carlos» schützen

Während der Hauptverhandlung letzten Mittwoch präsentierte der Staatsanwalt seinen Strafantrag. Er wollte «Carlos» für weitere siebeneinhalb Jahre hinter Gittern schicken. Und damit nicht genug: Die Bevölkerung müsse vor dem Beschuldigten geschützt werden, wie der Staatsanwalt vor Gericht ausführte. Deshalb verlangte er zudem eine Verwahrung nach Artikel 64 des Strafgesetzbuches. 

Das Bezirksgericht folgte heute nur teilweise den Anträgen der Staatsanwaltschaft. Es kam zum Schluss, dass zwar für jedes der angeklagten Delikte eine Freiheitsstrafe auszusprechen sei. Straferhöhend wertete es zudem die «Uneinsichtigkeit und Renitenz» des Angeklagten, wie Gerichtspräsident Marc Gmünder sagte. Als strafmildernd führte er dagegen die schwere Kindheit des jugendlichen Straftäters sowie seine Geständnisse an.

Deshalb lag das Gericht mit vier Jahren und neun Monaten deutlich unter den Anträgen der Anklagebehörde. Schliesslich sprach es eine Warnung an den Verurteilten aus: Sollte Brian in Zukunft erneut zuschlagen, dürfte sich das Strafmass aufgrund der Wiederholungstat deutlich erhöhen. «Die Zeit der Jugendstrafen ist vorbei», so der Gerichtspräsident. Tatsächlich hat Brian in der Zwischenzeit bereits wieder gedroht und Gewalt angewendet, wie Gmünder ausführte. Die Staatsanwaltschaft hat deshalb schon eine weitere Untersuchung eingeleitet betreffend den Zeitrahmen August 2018 bis heute.

Begründung für die «kleine Verwahrung» 

Gemäss dem Gerichtspräsidenten hat der Beschuldigte nicht nur Gefängniswärter angegriffen, sondern auch Mithäftlinge. Aufgrund eines für den Prozess erstellten Gutachtens wurde deshalb der Schluss gezogen, dass von einer hohen Rückfallgefahr auszugehen sei. «An dieser Stelle muss erwähnt werden, dass die Opfer von Brian in dieser Verhandlung nur am Rande zur Geltung kommen», so Gmünder. «Er hat Angst gesät. Auch die Opfer haben Anspruch auf Unterstützung.»

Das wurde Brian vorgeworfen

Der schwerwiegendste Vorwurf ist der Angriff auf einen Gefängniswärter im Juni 2017 in der Justizvollzugsanstalt Pöschwies.

Brian soll an diesem Tag in die Sicherheitsabteilung verlegt werden. Als der Leiter der Gefängnisabteilung ihm dies eröffnet, verliert der Jugendliche die Beherrschung. Zuerst droht er: «Jetzt erkläre ich euch den Krieg.» Dann greift er zu einem Stuhl und wirft ihn quer durch den Raum. Ein ebenfalls anwesender Gefängniswärter drückt den Alarmknopf. Just in dem Moment schlägt Brian zu. Er prügelt mindestens zweimal mit der Faust auf den Kopf des Mannes ein. Er trifft ihn so hart, dass dieser zu Boden geht. Erst eine sechsköpfige Interventionseinheit, die zur Sicherheit im Nebenzimmer postiert war, kann Brian von seinem Opfer wegzerren.

Neben tätlichen Angriffen stösst der Straftäter auch immer wieder verbale Drohungen gegen die Gefängniswärter aus. So kündigt er mehrfach an, er schlage jeden kaputt, der in seine Zelle komme: «Ich bringe euch alle um.»

Die Zürcher Staatsanwaltschaft hat Brian wegen versuchter schwerer Körperverletzung, mehrfacher einfacher Körperverletzung, mehrfacher Sachbeschädigung, mehrfacher Drohung, mehrfacher Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte sowie wegen mehrfacher Beschimpfung angeklagt. 

TV-Film machte ihn berühmt-berüchtigt

Brian erlangte im August 2013 traurige Berühmtheit durch die SRF-Sendung «Der Jugendanwalt». Im TV-Film wurde der damals 17-Jährige porträtiert, der in einem behördlichen Sondersetting untergebracht war. Trotz seiner jungen Jahre war Brian damals bereits wegen 34 Delikten verurteilt worden.

Die Reaktionen in der Bevölkerung waren heftig und zogen sich über Monate hin. Denn die Kosten des Sondersettings betrugen monatlich 29'200 Franken, und eine Massnahme zur Rehabilitierung des gewaltbereiten Jugendlichen war ausgerechnet ein Box-Training.

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