Abgestürzte Gondel in Italien Wie streng kontrollieren die Seilbahn-Prüfer in der Schweiz?

uri

25.5.2021

Rettungskräfte stehen am Sonntag, 23. Mai 2021, bei der abgestürzten Gondel der Seilbahn Stresa-Mottarone. 
Rettungskräfte stehen am Sonntag, 23. Mai 2021, bei der abgestürzten Gondel der Seilbahn Stresa-Mottarone. 
Bild: Keystone

Nach dem Seilbahnunglück mit 14 Toten am Lago Maggiore suchen die Ermittler nach der Ursache des Gondel-Absturzes. Wie steht es um die Sicherheit der Schweizer Seilbahnen?

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Die Trauer in Italien ist gross, nachdem am Pfingstsonntag eine mit 15 Personen besetzte Kabine der klassischen Zweiseil-Pendelbahn zwischen Stresa am Lago Maggiore und dem 1491 Meter hohen Monte Mottarone in unwegsamen Gelände abstürzte. Nur eine Person in der Gondel – ein fünfjähriger Bub aus Israel – überlebte.

War die Gondel überfüllt?

Laut dem Südtiroler Seilbahnbauer Leitner, der auch die regelmässigen Wartungen der Bahn zwischen Stresa und dem Lago Maggiore durchführt, war die Kabine bei Weitem nicht überbelegt. Sie sei normalerweise für 35 Personen ausgelegt, aufgrund der Corona-Pandemie seien indes nur 20 Menschen erlaubt gewesen. In der Gondel befanden sich mit 15 Personen sogar noch weniger Menschen als derzeit erlaubt.

Wie kam es zum Unglück?

Noch wird zum Unglück ermittelt – die definitive Ursache ist noch nicht bekannt. Am Sonntag noch erklärte Nicola Barbolini, geschäftsführender Direktor im Amt für Seilbahnen, der öffentlich-rechtlichen italienischen Rundfunkanstalt Radiotelevisione Italiana Rai, das Tragseil der klassischen Zweiseil-Pendelbahn habe sich gelöst. Die Gondel sei daraufhin abgestürzt, weil das intakte Zugseil nicht die Tragfähigkeit besitze, «um praktisch die gesamte Kabine zu tragen».

Wie indes ein ermittelnder Carabinieri-Kommandeur auf einer Pressekonferenz am Pfingstmontag sagte, sei das Zugseil an der Seilbahn gerissen. Offenbar hat hierbei auch das Notbremsen-System, die sogenannte Fang- oder Tragseilbremse, versagt. Sie soll eigentlich verhindern, dass die Kabine auf dem Tragseil talabwärts rollt.

Die bereits kurz vor der Bergstation am Monte Mottarone angelangte Gondel sei daraufhin nach unten geschossen und mit dem nächsten Masten kollidiert. Dann stürzte die sie angeblich am steilsten Teilstück in ein Waldstück, wo sie sich mehrfach überschlug und weiter abwärts rutschte, bis sie an zwei Baumstämmen zum Stehen kam.

Wie stand es um die Wartung?

Der Südtiroler Seilbahnbauer Leitner wartet die von der Gesellschaft Ferrovie del Mottarone betriebene Seilbahn seit einigen Jahren regelmässig. Leitner-Chef Anton Seeber sagte der Nachrichtenagentur Agi: «Wir führen seit 2016 jährliche Kontrollen an der Anlage und auch an den Seilen durch.» Laut Seeber habe man nach der Generalüberholung der Seilbahn im Jahr 2016 alle elektronischen Bestandteile an der Kabine und am Fahrgestell ausgetauscht.

Laut einer Mitteilung der Firma Leitner von Montagnacht war zudem die hydraulische Bremsanlage der Fahrzeuge zuletzt am 3. Mai gewartet worden. Zwischen 29. März und 1. April diesen Jahres habe man zerstörungsfreie Prüfungen an allen mechanischen Sicherheitskomponenten der Anlage vorgenommen.

Ebenfalls habe man am 18. März 2021 das gesamte Antriebssystem einer Funktionsprüfung unterzogen, am 4. und 5. März 2021 die Laufrollen und Seilscheiben in den Stationen geschmiert und kontrolliert. Bereits am 1. Dezember 2020 sei an beiden Kabinen ein Test inklusive der Simulation des Zugseilrisses mit «anschliessendem Einfallen der Tragseilbremse» durchgeführt worden. Die letzte magnetinduktive Seilprüfung im November 2020 habe zudem «keine Unregelmässigkeiten» erbracht. Für die täglichen und wöchentlichen Kontrollen liege die Verantwortung laut Leitner hingegen bei der Betreibergesellschaft Ferrovie del Mottarone.

Wie steht es um die Sicherheit der Schweizer Seilbahnen?

Luftseilbahnen mit Pendelbetrieb stellen neben den Standseilbahnen und den Schleppliften die dritte Kategorie der Seilbahnen dar. In der Schweiz verkehren Pendelbahnen mit geschlossener Kabine und mehr als sechs Plätzen wenigstens an rund 130 Orten in der Schweiz, wie Wikipedia auflistet.

Seilbahnen Schweiz bezeichnet Skilifte und Seilbahnen generell als das «mit Abstand sicherste Verkehrsmittel». Dennoch kommt es immer wieder zu schweren Unglücken. 2008 etwa entgleiste im Föhnsturm die Sesselbahn «Fallboden» im Skigebiet Scheidegg-Grindelwald. Dabei starb eine Person, drei weitere wurden verletzt.

Zuletzt kollidierten bei einer Sonder-Talfahrt der Sesselbahn Stoos-Fronalpstock am 6. Februar 2020 ein Vierersessel mit dem gespannten Windenseil einer Pistenwalze. Der Sessel stürzte daraufhin rund zehn Meter vom Förderseil ab. Zwei Personen erlitten dabei lebensbedrohliche Verletzungen, zwei weitere schwere. Sechs Leute aus anderen Sesseln mussten daraufhin mit dem Helikopter geborgen werden.

Laut den letzten Zahlen des Bundesamts für Statistik BfS haben sich im Jahr 2019 «fünf Personenunfälle mit Luftseilbahnen ereignet». Dabei sei eine bei einem Seilbahnunternehmen arbeitende Person gestorben und acht Personen, darunter drei Fahrgäste, schwer verletzt worden.

Das BfS hält dazu auch fest: «In den vergangenen Jahrzehnten ist die Anzahl Personenunfälle mit Luftseilbahnen tendenziell gesunken.» Ähnlich äussert sich auch Alessandro Beffa, der Leiter des im letzten Jahr ins Leben gerufenen Tessiner Kompetenzzentrums für Seilbahnen. Der SRG-SSR-Tochter SwissTXT sagte er: «Hundertprozentige Sicherheit gibt es leider nicht», allerdings seien Unfälle bei den Seilbahnen «wirklich selten». Man versuche hinsichtlich der Vorschriften mit der Zeit zu gehen. Im Vergleich mit anderen Transportmitteln seien die Seilbahnen unter den sichersten.

Wie werden die Schweizer Bahnen überprüft?

Wie Seilbahnen Schweiz auf der eigenen Website darlegt, werden die Bahnen hierzulande systematisch innerhalb verschiedener Intervalle überprüft: Täglich werde demnach vor der ersten Fahrt mit Passagieren eine Dienstfahrt durchgeführt. Zudem unterliege der Hilfsantrieb «einer wöchentlichen, die Betriebs- und Sicherheitsbremsen einer monatlichen, die Zug- und Tragseile einer halbjährlichen Prüfung».

Obendrein müsste einmal im Jahr bei jeder Seilbahnanlage eine Bergungsübung durchgeführt werden und alle zwei Jahre seien die Zugseilbefestigungen an den Laufwerken zu überprüfen. Das Bundesamt für Verkehr (BAV) lege in Verordnungen detailliert fest, «welche Teile auf welche Weise kontrolliert und in welchen Intervallen sie einer Revision unterzogen werden müssen».

Für die laufende Überwachung der Sicherheit der über 600 eidgenössisch konzessionierten Anlagen sei das BAV verantwortlich, während die Kontrollstelle des Interkantonalen Konkordats für Seilbahnen und Skilifte (IKSS) die Skilifte und die etwa 200 kantonal bewilligungspflichtigen Kleinluftseilbahnen prüfe.

Berno Stoffel, Direktor der Schweizer Seilbahnen, sagte gegenüber SRG SSR, die Sicherheitsvorschriften für Seilbahnen in der Schweiz und den anderen europäischen Ländern seien dabei gleich. Die Kontrollen seien «streng und rigoros». Neue Kabel bei den Bahnen würden zunächst alle drei Jahre überprüft, später alle zwei Jahre. Bei Problemen, etwa wenn ein Kabel vom Blitz getroffen worden sei, greife man sofort ein, um einen möglichen Schaden und die Notwendigkeit einer Reparatur zu beurteilen.

In Italien ist nun die Staatsanwaltschaft am Zug. Sie muss herausfinden, ob Betreiber, Hersteller oder eine Einzelperson Schuld am Unglück trifft. Die Seilbahn auf den Monte Mottarone war zuletzt wegen der Corona-Pandemie mehrere Monate stillgestanden. Bereits am Samstag – dem ersten Tag, an dem die Seilbahnen in ganz Italien wieder Ausflügler transportieren durften – soll sie wegen eines technischen Problems aber einen halben Tag ausser Betrieb gewesen sein. Die Ermittler haben inzwischen alle Wartungsbücher beschlagnahmt und sichten das Video einer Überwachungskamera – die Seilbahn dürfte sicher noch länger stillstehen.