Der Autor Daniel de Roulet ist Sohn eines Westschweizer Pfarrers und einer Deutschschweizerin. Seine Herkunft ist geprägt von zwei Sprachregionen; doch hüben und drüben der Saane wird er unterschiedlich wahrgenommen.
Seiner eigenen Herkunft geht Daniel de Roulet in seinem Briefroman «A la garde. Lettre à mon père pasteur» nach. In der Westschweiz ist das Werk vor einem Jahr erschienen. Die deutsche Übersetzung mit dem Titel «Brief an meinem Vater» legt nun der Zürcher Limmat-Verlag vor.
Gut ein Dutzend seiner Bücher hat der Verlag bis anhin übersetzt, das erste war 1996 «Die blaue Linie» («La ligne bleue», 1995). De Roulet erzählt, dass es der Verlag gleich drei Mal übersetzen liess, «ein Luxus». Er entschied sich für die Übersetzerin Maria Hoffmann-Darteville, mit der er seither für fast alle weiteren Übertragungen ins Deutsche zusammen gearbeitet hat. «Wir können während Stunden am Telefon über einzelne Wörter sprechen», so de Roulet gegenüber Keystone-SDA.
Wörter nicht länger als vier Silben
Ein Beispiel: Beim Schreiben verwendet er keine Wörter, die länger als vier Silben sind. Das verlangt er auch von seiner Übersetzerin. Er bittet sie jeweils, andere Formulierungen zu finden, wenn sie lange Wörter verwendet – «auch wenn das für sie nicht leicht sein mag», sagt er.
Daniel de Roulet ist im Pfarrhaus von St. Imier im Berner Jura aufgewachsen und hat lange Jahre als Architekt und Informatiker gearbeitet. Erst mit Mitte Dreissig wandte er sich dem Schreiben zu. Es sei bemerkenswert, dass dies gerade jetzt zum Thema werde, sagt er im Gespräch. «Soeben komme ich von der Beerdigung meines ersten Verlegers Maurice Born zurück, einem Jugendfreund aus St. Imier.» Born habe 1994 beim Verlag Le Seuil, den es heute nicht mehr gebe, sein erstes Buch «Virtuellement vôtre» (dt. «Mit virtuellen Grüssen», 1997) verlegt und ein Jahr später auch «La ligne bleue». Doch dann musste sich de Roulet einen neuen Verlag suchen, «weil ich zu viel geschrieben habe für den kleinen Verlag», erzählt er.
Seither schuf er unter anderem den Romanzyklus «La Simulation humaine», der aus zehn Bänden besteht. Darin erzählt er anhand einer schweizerisch-japanischen Grossfamilie ein Epos über die Atomkraft, von Hiroshima bis Fukushima, vom Triumph der Wissenschaft bis zur Kritik an ihrer Masslosigkeit. Deren fünfter Band ist «Die blaue Linie», der vor dem Hintergrund des New York-Marathons spielt.
Für Aufmerksamkeit sorgte de Roulet 2006 mit «Ein Sonntag in den Bergen» («Un Dimanche à la montagne»), das mit «Ein Bericht» überschrieben ist. Dort bekennt er sich zu dem bis dato nicht aufgeklärten Anschlag auf das Chalet des deutschen Verlegers Axel Springer bei Gstaad im Jahr 1975. De Roulet hielt Springer damals für einen Nazi. In der Schweiz waren die Reaktionen auf das Buch mehrheitlich negativ, in Deutschland und Frankreich hingegen positiv – wodurch sich die Meinung in der Westschweiz geändert habe, so de Roulet. «Der französischsprachige Journalismus ist immer noch sehr von Normen geleitet.«, sagt er.
Überhaupt wird der Autor diesseits und jenseits der Saane unterschiedlich wahrgenommen: «In der Westschweiz wird mir oft vorgeworfen, ich sei zu politisch.» Wenn er sich politisch äussere, sei die Resonanz in der Deutschschweiz jeweils grösser als in der Romandie. «In der Deutschschweiz ist es Tradition, dass sich ein Autor zu politischen Themen äussert», sagt de Roulet und verweist auf Max Frisch, Friedrich Dürrenmatt oder Niklaus Meienberg.
«Weder Gott noch Herr»
Und wie verträgt sich seine offensichtlich linke politische Einstellung mit seiner Herkunft aus dem calvinistischen Pfarrhaus? Darüber gibt er nun im biographischen Brief an seinen Vater Auskunft. Er habe den Protestantismus zugunsten eines Atheismus aufgegeben. «Ja, ich war und bin jemand, dessen Motto 'weder Gott noch Herr' lautet.» Doch die Zuordnung zur Generation der 68er ist für ihn ein Klischee: «Ich bin fast gleichaltrig wie Christoph Blocher, wie er bin ich Sohn eines Pfarrers, doch wir denken überhaupt nicht gleich.»
Aber auf Religion zu verzichten heisst für de Roulet nicht, dass es ihm an Moral fehle, und er beruft sich auf den Begriff des «gewöhnlichen Anstands» («common decency»), wie ihn der Anarchist George Orwell geprägt hat. «Wenn zum Beispiel einer das 10'000-fache dessen verdient, was ein anderer erhält, ist das unanständig und unmoralisch. Wenn mir jemand für ein Buch das 10'000-fache seines Werts anbieten würde, würde ich ablehnen». Und so hat er 2019, als ihm der Grosse Literaturpreis der Kantone Bern und Jura (CiLi) für sein Gesamtwerk zugesprochen wurde, die 15'000 Franken Preissumme gespendet.
Die Literatur biete ihm die Möglichkeit, Probleme auf eine dauerhafte, moralische Weise darzustellen. «Fiktion kann Licht in die Realität bringen». Mit Hilfe fiktionaler Literatur erzähle er die Geschichte «von unten». De Roulet möchte mit seinem Werk an einer Art Schweizer Nationalerzählung mitschreiben. «Es ist armselig, wenn wir das allein den Nationalisten überlassen. Wir hätten dann nur noch den Wilhelm Tell, Heidi und zwei oder drei Begebenheiten wie die Generalmobilmachung von 1939.»
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