Ghost in ZürichPassen Sie auf Frauen und Kinder auf: Diesen Satansbraten lieben alle
Von Lukas Rüttimann
17.12.2019
Haben Sie Kinder? Dann wäre es mal wieder an der Zeit, ein bisschen reinzuhören, was der Nachwuchs derzeit auf seiner Spotify-Liste hat. Respektive: was für Teufelszeug an den Konzerten gespielt wird, zu denen die Kids pilgern.
Ghost gelten als kommende Superstars. Bei ihrem Konzert im Zürcher Hallenstadion lieferten die Schweden Argumente für diese These – aber auch dagegen.
«Hear our Satan prayer, our anti nicene creed, hear our Satan prayer, for the cuming of seed», tönte es etwa am Samstagabend im Hallenstadion bei Ghost von der Bühne. Deutsch übersetzt: «Höre unser Satansgebet, unser anti-Nizänisches Glaubensbekenntnis, höre unser Satansgebet, damit wir unseren Samen abspritzen können» (aus «Satan Prayer»). Oder in «Year Zero»: «Hail Satan, Archangelo, hail Satan, welcome year zero». Das versteht man auch ohne Übersetzung.
Dargeboten werden solche Texte von einer Band, bestehend aus namenlosen Musikern mit silbernen Masken – sogenannten Ghuls –, denen ein als Geistlicher mit Zombie-Make-up verkleideter Sänger vorsteht. In frühen Jahren, als Papst-Inkarnation (Papa Emeritus) unterwegs war, tritt Ghost-Frontmann Tobias Forge inzwischen als Kardinal (Cardinal Copia) auf. Seine Zürcher Fans entlässt der Ghost-Chef nach knapp zwei Stunden Konzert mit folgenden Worten in die Nacht: «Hattet ihr Spass? Ja? Gut, dann geht jetzt nach Hause und vögelt euch richtig durch!»
Massentauglicher Okkult-Rock
Bevor nun besorgte Eltern die Alben der Band aus dem Fenster schmeissen oder die Jugendberatung anrufen, muss gesagt sein: Das Ganze ist vor allem Theater. Es ist mehr Show als Teufelsbeschwörung und stets mit einem gewissen Augenzwinkern versehen. Ghost bieten okkulten Rock oder Metal, wie es ihn seit Jahren und en masse gibt. Der Unterschied ist jedoch, dass Mütter und Väter durchaus Gefahr laufen, selbst zu Fans zu werden. Denn der Sound der Band ist so eingängig und packend, dass sich davon fast alle Altersgruppen und Musikfans angesprochen fühlen. Wen kümmert es, dass in den Texten dem Leibhaftigen gehuldigt wird?
Tatsächlich gelten Ghost in Fachkreisen als eine der ganz wenigen Bands, die dereinst in die Fussstapfen der heutigen Superstars der Szene treten können. Denn um den Nachwuchs sorgt sich die Rock- und Metal-Gemeinde schon seit geraumer Zeit. Stadionfüllende Acts wie Iron Maiden, Rammstein oder Metallica – deren Vorband Ghost beim diesjährigen Konzert im Zürcher Letzigrund waren – werden nicht jünger; viele aktuell erfolgreiche Bands haben ihren Zenit überschritten, auf eine neue grosse Genre-Band wartet man schon seit Jahren.
Mit ihrem cleveren Okkult-Konzept und dem massentauglichen Sound-Mix aus Black Sabbath, The Doors und Abba könnten Ghost diese Lücke füllen. Zumal sie mit Top-Platzierungen in den Charts – das letzte Album «Prequelle» erreichte Platz 2 in Deutschland und der Schweiz, Platz 1 in Schweden und Platz 3 in den USA – starke Argumente liefern.
Junge Frauen mit Zombie-Schminke
Der Besuchermix im Zürcher Hallenstadion am Samstagabend unterstrich denn auch die Massentauglichkeit der schwedischen Band. Alt und Jung, Frauen und Männer, Metalheads und Popfans ergaben ein bunt gemischtes Publikum in Erwartung einer grossen Show. Denn das Konzert hatte aufgrund der aufwändigen Produktion von der Halle 622 ins grössere Hallenstadion verlegt werden müssen. Zu füllen vermochte die Band das riesige Rund jedoch nicht; die Bühne stand ungefähr in der Mitte der Halle.
Die vielen jungen Frauen – manch eine in Anlehnung an das Bandkonzept als Nonne mit Horror-Make-up – und Pärchen im Publikum waren dennoch augenfällig. Denn während Rock- und Metal-Konzerten oft eine eindeutige Sache sind, was die Geschlechterverteilung angeht, gelingt Ghost ein erstaunlicher Spagat: Zu fröhlichen Nummern wie «Dance Macabre» lässt es sich prima mit der Partnerin oder dem Partner schunkeln. Und dank zweideutigen Texten wie «just wanna be, I wanna bewitch you all night» können dabei selbst harte Jungs ihr Gesicht wahren.
Mit einem anderen Hit – «Rats» vom «Prequelle»-Album – starteten der Kardinal und seine Ghuls ihren Schweizer Auftritt. Dabei wurden sowohl Stärke wie auch Schwäche der Band offensichtlich. Das imposante Bühnenbild mit seiner Kathedralen-Ästhetik sorgte sofort für das Gefühl, einer Superstar-Show beizuwohnen. Und wer sein Konzert mit einem Hit von dieser Dimension eröffnen kann, muss mehr als nur ein paar gute Songs in petto haben.
Auf der anderen Seite klang die Stimme von Cardinal Copia einmal mehr ein wenig dünn. Dabei weiss man, dass Forge kein begnadeter Sänger ist. Doch was auf Platte korrigiert werden kann, ist live ein Dämpfer. Immerhin steigerte sich der Frontmann mit der Show. Am gegen Ende klang seine Stimme sogar erstaunlich satt.
Der Kardinal ist keine Rampensau
Stärker ins Gewicht fiel seine Bühnenpräsenz. Forge ist trotz seiner Maskerade alles andere als eine Rampensau. Seine Ansagen und Publikumsanimationen wirkten oft unbeholfen («Fühlt ihr auch gut? Gut. Ich will, dass es euch gut geht.»). Ob das Teil seiner Bühnenfigur oder seiner echten Persona ist, weiss man nicht. Doch die oft länglichen Ansagen bremsten den Fluss der eigentlich tollen Show beträchtlich. So stecken Ghost im Dilemma, dass die Hauptfigur gleichzeitig Erfolgsrezept und Nachteil der Band ist.
Denn eines muss man Ghost lassen: In Sachen Songwriting macht Forge derzeit kaum jemand etwas vor. «He Is», «Ritual», «From the Pinnacle to the Pit» – der in Metal-Riffs verpackte Schweden-Pop entfaltete auch in Zürich seine hymnische Wirkung. Dabei wurde offensichtlich, dass Ghost ihren Höhepunkt keineswegs überschritten haben.
Im Gegenteil. Ihren vielleicht besten Song, «Square Hammer», veröffentlichte die seit 2010 aktive Band Anfang 2017 auf einer EP. Das letztjährige «Prequelle»-Album ist gespickt mit Hits – und die beiden im September als Single veröffentlichten Songs «Mary On A Cross» und «Kiss the Go-Goat» gehörten auch in Zürich zu den Highlights.
So dürften die Stimmen, die der Band eine grosse Zukunft versprechen, auch nach dem Konzert in Zürich kaum leiser werden. Denn Theatralik hin, holprige Ansagen her: Gute Songs sind gute Songs – und noch immer die Essenz für jeden Act, der Stadien füllen will. Ob die Bühne beim nächsten Ghost-Konzert im Hallenstadion wieder in der Mitte stehen wird? Es müsste schon mit dem Teufel zugehen.
«Slaaaaaayeeeeer!» Wenn Fans von Heavy-Metal-Musik einen Luxusdampfer entern, entsteht ein ungewohntes Bild.
Bild: Tom Couture/70'000 Tons
Schliesslich denkt man bei Kreuzfahrtschiffen eher an gediegenes Ambiente statt an langhaarige Rocker.
Bild: 70'000 Tons of Metal
Mit einer Horde Metal-Fans an Bord sieht das dagegen eher so aus. Seit 2011 sticht dieses Kreuzfahrt-Festival alljährlich in Fort Lauderdale, Florida, in See.
Bild: 70'000 Tons of Metal
70'000 Tons of Metal nennt sich der laute und bierselige Spass. Gründer ist Andy Piller, der Schweizer und deutscher Doppelbürger ist.
Bild: 70'000 Tons of Metal
60 Bands sorgen dafür, dass die rund 3'000 Fans aus aller Welt etwas auf die Ohren bekommen. 2019 waren über 70 Nationalitäten an Bord vertreten.
Bild: Tom Couture/70'000 Tons
Festival-Gründer Andy Piller spricht nicht ohne Stolz von «den vereinten Nationen des Heavy Metal».
Bild: Jens Hecker/70'000 Tons
Hauptattraktion ist die Bühne auf dem Pooldeck, wo es bis in die Nacht hoch her geht.
Bild: Kabo Photografix/70'000 Tons
Headbanging im Pool während eines Konzerts? Hat was.
Bild: Stagepix.de/70'000 Tons
Wer will da überhaupt an Land gehen? Und wenn, dann sicher nicht ohne Bier!
Bild: 70'000 Tons of Metal
Im Januar 2020 geht 70'000 Tons of Metal in die bereits zehnte Runde. Hatte Piller diesen Erfolg erwartet?
Bild: Chris Joao/70'000 Tons of Metal
Das Ganze habe zwar als Bieridee begonnen, sagt Piller. Doch: «Man investiert nicht Jahre seines Lebens in etwas, ohne davon überzeugt zu sein.»
Bild: 70'000 Tons of Metal
Pillers schwimmendes Metal-Festival ist übrigens nicht das einzige, war aber gemäss Eigenwerbung das erste seiner Art.
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