Der Schleier über dem Kunstfund Gurlitt lüftet sich: In einer Doppelausstellung zeigen das Kunstmuseum Bern und die Bundeskunsthalle in Bonn (D) erstmals Werke der Öffentlichkeit. Untrennbar mit ihnen verbunden ist ein Stück dunkler europäischer Geschichte.
Die Doppelausstellung unter dem Titel "Bestandesaufnahme Gurlitt" präsentiert ab dem 2. November in Bern und einen Tag später in Bonn eine Auswahl von je rund 200 Werken aus dem Gurlitt-Nachlass und stellt sie in ihren historischen Kontext der 1930-er und 1940-er Jahre.
In Bern liegt der Schwerpunkt auf Werken der sogenannt "entarteten Kunst". Diese Werke liessen die Nationalsozialisten aus deutschen Museen entfernen. Thematisiert werden in Bern auch die politischen Vorgänge, die zur Diffamierung der Moderne als "entartet" und zu Zerstörung und Verkauf der Bilder führten.
In Bonn liegt der Schwerpunkt auf dem Aspekt der "Raubkunst", also Werken, die ihren Besitzern NS-verfolgungsbedingt entzogen wurden. Die Ausstellungsmacher standen damit vor der Herausforderung, einerseits die historischen Zusammenhänge aufzuzeigen, andererseits aber die Kunstwerke auch für sich selber sprechen zu lassen ohne sie mit historischem Kontext zu überladen.
Leben und überleben in Nazideutschland
Die Kunstwerke stammen aus dem Nachlass des deutschen Kunsthistorikers und Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt (1895-1956), dessen Interesse ganz besonders der modernen Kunst galt.
Von den Nationalsozialisten zunächst aus Amt und Würde gedrängt, tauchte Gurlitt später als privilegierter Kunsthändler des Regimes wieder auf.
Dank seiner Expertise sollte er Werke, die von den Nazis als "entartete Kunst" diffamiert wurden, für Hitlers Staatskasse im Ausland zu Geld machen. Gleichzeitig protegierte Gurlitt aber auch von den Diffamierungen betroffene Kunstschaffende.
Über diese Zeit schreibt die britische Journalistin und Autorin Catherine Hickley in ihrem Buch "Gurlitts Schatz": "Er kaufte Kunst von jenen, die von den Nationalsozialisten aus rassischen Gründen verfolgt wurden, und profitierte immer mehr von der antisemitischen Politik des Dritten Reichs, gegen das er gleichzeitig Widerstand leistete (...)". Doch allmählich habe Gurlitts Geschäftssinn seine Ressentiments geben die Nationalsozialisten überwogen, so Hickley.
Diskret gehütet
Hildebrand Gurlitt trug für sich ein beachtliches Konvolut von über 1500 Kunstwerken zusammen. Aus dem Entnazifizierungsverfahren nach Kriegsende ging er als unbelastet hervor. Nach Hildebrands Tod erbte Sohn Cornelius (1932-2014) schliesslich die Werke.
Der eigenbrötlerische Cornelius hütete Bilder, Skulpturen und Geschäftskorrespondenz seines Vaters in aller Verschwiegenheit in seiner Wohnung in München und einem Haus in Salzburg.
Eher zufällig stiessen die Behörden 2012 in der Wohnung des betagten Cornelius auf den Kunstschatz und beschlagnahmten ihn. Die Weltpresse berichtete daraufhin aufgeregt über einen bislang unbekannten, milliardenschweren Nazikunstschatz. Die Sammlung war von allem Anfang an mit Raubkunstverdacht behaftet.
Kurz vor seinem Tod im Jahr 2014 stimmte Cornelius Gurlitt zu, die Werke auf ihre Herkunft untersuchen zu lassen und von den Nazis geraubte Werke ihren Eigentümern zurückzugeben. Gurlitt unterwarf sich als privater Sammler dem Washingtoner Abkommen, das eigentlich nur Museen zur Aufarbeitung ihrer Bestände und zur Rückgabe verpflichtet.
Unterdessen ist klar, dass es sich nur bei relativ wenigen Werken des Konvoluts um Raubkunst handelt. Längst nicht bei allen Werken dürften sich aber die offenen Fragen restlos klären lassen.
Auch klar ist unterdessen, dass es sich nicht um einen milliardenschweren Kunstschatz handelt. Das Konvolut wird von Papierwerken dominiert, das heisst, Gouachen, Auqarelle, Farbholzschnitte, Zeichnungen und Druckgrafiken. In der Sammlung finden sich herausragende Kunstwerke des Expressionismus, der konstruktiven Kunst und der Neuen Sachlichkeit.
Der Kunsthändlerssohn Cornelius Gurlitt vermachte das Konvolut 2014 zu aller Überraschung dem Kunstmuseum Bern, das nach intensiven Abklärungen Annahme der schwierigen Erbschaft erklärte. Nach mehrjährigem Rechtsstreit kamen im vergangenen Sommer erste Werke nach Bern.
www.kunstmuseumbern.ch
Zurück zur Startseite